Als sich Michael Weible dann Anfang Mai auf den Weg nach Afrika macht, ist es Müller zwar gelungen, ihn „auf den Punkt fit zu machen“, aber an Gewicht hat er nicht zugelegt. Er fliegt von Frankfurt aus, der Bankenmetropole Europas. Als er gut acht Stunden später in Nairobi landet, könnte der Kontrast kaum größer sein. Er sieht kleine und große Armengettos, Hunderttausende leben hier in Hütten ohne Strom.
Laut der Volkszählung von 2009 ist jeder Fünfte der drei Millionen Einwohner der Hauptstadt arm. Die Zahl könnte inzwischen deutlich höher liegen. Seit 2005 wuchs Kenias Wirtschaft in den meisten Jahren um mehr als fünf Prozent. Im gleichen Zeitraum stieg das Pro-Kopf-Einkommen um mehr als 1000 US-Dollar. Aber das Ungleichgewicht ist gewachsen. Die soziale Spaltung entzweit das Land.
Mehr als ein Drittel der 50 Millionen Einwohner Kenias lebt nach Angaben des Bundesentwicklungsministeriums unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Es sind Menschen wie Alex, elf Jahre alt und das Patenkind von Michael Weible. Auf Bildern sieht man einen Jungen in Jeanshose, Jeanshemd und roter Jacke, wie er seinem Paten aus Deutschland in die Arme fällt.
Es ist die erste Begegnung der beiden überhaupt. Michael Weible wird nicht nur den Jungen treffen, für den er regelmäßig Geld nach Kenia überweist, er wird auch die Großmutter kennenlernen, die Alex bei sich aufgenommen hat, seitdem Mutter und Vater ihn verlassen haben. Er wird die Unterkunft besuchen, in der Alex mit Großmutter, Großvater und einem älteren Bruder lebt, ein bescheidenes Häuschen mit Mauern aus Wellblech und zwei Räumen, in einem der kranke Großvater, aber fast schon Luxus gegenüber den windschief gezimmerten Hütten aus Tüchern und Müll in den Slums, in denen Ziegenköpfe über offenem Feuer rösten und wo es nachmittags gefährlich wird, wenn der Alkohol die Menschen enthemmt. Für Michael Weible sind die Bilder Beweis genug, was sich bewegen lässt – „auch wenn man nicht steinreich ist“.
Es sind diese Eindrücke, mit denen sich der Iphöfer später auf den Weg macht – gemeinsam mit 25 Gleichgesinnten, ein paar wenige aus Deutschland. Um 6.30 Uhr fällt der Startschuss zum Marathon. Es geht durch eine Art Geröllwüste, eine karge und staubige Hochebene, getüncht von der gleißenden Morgensonne, am Horizont der eisbedeckte Mount Kenya, 5199 Meter hoch. Der Gipfel verhüllt von einem Wolkenschleier, der Legende nach der Sitz des Gottes Ngai.
Weible geht es nicht um einen Rekord
Bei angenehmen 25 bis 30 Grad, aber hoher Luftfeuchte müssen die Läufer zwei kleine Runden und eine große drehen. Ab und zu kommt Weible an Hütten vorbei, die hier übers Land gestreut sind, bisweilen sieht er keine Menschenseele – keiner vor ihm, keiner hinter ihm. Ein Iphöfer allein mit sich und seinen Gedanken, in der Weite Afrikas. „Mir ging es nicht um einen Rekord“, sagt er. Da ist nur der Reflex, Gutes zu tun im Vertrauen auf Gott, und vielleicht ist es diese Unbeschwertheit, die Kopf und Beine lockert und Michael Weible doch zu Höchstleistung antreibt.
Seine Durchschnittszeit je Kilometer liegt bei starken 4:55 Minuten. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so gut läuft.“ Aber er weiß: „Die Schwierigkeit kommt bei Kilometer 30 bis 32. Vorher solltest du dich nicht freuen.“ In dieser heiklen Phase streiken die Kopfhörer, über die Weible bis dahin mit Musik versorgt wird. Erst ab Kilometer 38 funktionieren sie wieder. „Da wusste ich: Ich schaffe es.“
Als er ins Ziel kommt, empfangen ihn Soldaten in Uniform und Massai in bunten Trachten. Bei 3:28,43 Stunden ist die Uhr für Weible stehen geblieben – eine Fabelzeit. Sie liegt noch unter der ambitionierten Vorgabe, die ihm sein Trainer mit auf die Reise gegeben hat: 3:30 Stunden. „Da kann er stolz sein“, sagt Ralph Müller im Nachgang.
Die 21000 Euro gehen an Arme und Schwache
Stolz ist Michael Weible vor allem auf eine andere Zahl: 21 000 Euro an Spenden hat der Iphöfer mit seinem Lauf gesammelt, den Löwenanteil bei Verwandten und Freunden. Das Geld fließt – als Pauschale oder in Form von Patenschaften – an drei Hilfsorganisationen: Compassion, Open Doors und A21. Diese setzen sich laut Selbstauskunft dafür ein, Kinder aus Armut zu befreien, Frauen und Mädchen aus der Sexsklaverei zu helfen und Menschen zu unterstützen, die aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden.
Compassion kooperiert dabei nach eigenen Angaben ausschließlich mit christlichen Kirchen und Gemeinden in Entwicklungsländern und ist Mitglied des Deutschen Spendenrats, der auch von der Stiftung Warentest als seriös eingestuft ist. Die beiden anderen Organisationen sind gemeinnützige Vereine. Mit dem Geld werden Brunnen oder Toiletten gebaut.
Beim Abschied nennen sie Michael Weible respektvoll den weißen Kenianer – weil er so grazil und flink unterwegs war. Als er zurück ist in Deutschland, spendet einer seiner alten Schulfreunde 70 Euro. Der Betrag soll ein Ausgleich sein für die 3,1 Tonnen Kohlendioxid, die Weible laut CO2-Rechner mit den Flügen von Frankfurt nach Nairobi und zurück verursacht hat.
Was ist der Muskathlon?
Der Muskathlon ist ein Marathon an entlegenen Orten rund um den Globus und findet in Ländern statt, die von Hunger, Not, Armut und Menschenhandel betroffen sind. Seit 2012 organisieren die internationale christliche Männerbewegung „Der 4te Musketier“ und das Kinderhilfswerk Compassion Muskathlons auf der ganzen Welt. Jeder Teilnehmer sammelt im Voraus 10 000 Euro Spenden oder vermittelt zehn Patenschaften für bedürftige Kinder in den ärmsten Regionen der Welt. Wie es in einem Bericht des christlichen Medienmagazins „Pro“ vom Mai 2017 hieß, kamen seit dem ersten Muskathlon in Ruanda, an dem 30 Läufer teilnahmen, insgesamt mehr als elf Millionen Euro Hilfsgelder zusammen. Seit 2014 beteiligen sich auch deutsche Athleten an dem Spendenmarathon. Die Arbeit von Compassion in Kenia begann nach den Angaben der Organisation 1980. Heute besuchen etwa 100 000 Kinder über 370 Kinderzentren. Sie werden von örtlichen christlichen Gemeinden und Kirchen geführt.