Der Versuch eines Flirts

2 Min
Die Woche
Die Woche

Achtung, Anmache: Na, lieber Leser, hast lange nichts von dir hören lassen. Warum eigentlich nicht? Kein Vertrauen mehr zu uns? Wir warten auf Antwort.

In meiner Anfangszeit als Journalist wurde mir häufig die Frage gestellt, was ich denn gegen die Leere im Kopf täte, wenn ich da vor einem weißen Blatt Papier säße und der Redaktionsschluss nahte. Nun, mal abgesehen davon, dass ich nie vor einem weißen Blatt saß – das ist diese romantische Vorstellung vom Schriftsteller, der in einer einsamen Strandhütte vor der Schreibmaschine grübelt –, sondern allenfalls vor einem schwarzen Bildschirm: Ich hatte selten so eine Schreibblockade. Ich konnte die Leute also immer beruhigen. Vielleicht fragen deswegen viele nicht mehr.

Dabei wäre das Thema mal wieder angebracht. Denn in der Tat fällt es nicht leicht, diese Kolumne Woche um Woche mit Leben zu füllen. Bei Google habe ich eingegeben: Was schreibt man, wenn einem nichts mehr einfällt? Seufz. Die erhoffte Antwort war nicht dabei. Ich solle doch mal Urlaub machen, schrieb einer. Gute Idee. Hab ich aber gerade hinter mir.

Ich fand auch noch den Eintrag: Was kann man schreiben, wenn man gerade mit seinem Traumtyp chattet? Irgendwelche Teenies geben sich da mehr oder weniger nützliche Tipps. Hilft mir aber bei meinem Problem nicht weiter. Natürlich, ein Facharbeiter kann sich auch nicht darüber beklagen, er wisse gerade nicht, wie er aus all den Teilen eine Waschmaschine bauen solle.

Schließlich werde auch ich dafür bezahlt, Woche für Woche sinnreiche Texte zusammenzustöpseln, da werden mir doch die läppischen 115 Zeilen für diese Kolumne einfallen. Schon gut. Bin ja gerade dabei. Doch diese Spalte lebt nicht so sehr von wiederkehrenden Ereignissen und Terminen, sondern vornehmlich von der Interaktion mit dem Publikum.

Unser Publikum ist der Leser, oder sollte man sagen: der User? Dieser User war nie vernetzter als heute. Und uns nie fremder und anonymer. Wie erreicht man dieser Tage den Leser, das zunehmend unbekannte Wesen? Nicht nur uns beschäftigt tagtäglich diese Frage, sondern die ganze überhitzte Branche, besser gesagt: das, was von ihr noch übrig ist.

Warum ist das einst gegenseitige Zutrauen heute meist nur noch auf Einseitigkeit angelegt? So wie beim Flirt, der kein Echo findet. Man redet beherzt auf sein Gegenüber ein, versucht es zu bezirzen, in all seiner Verzweiflung auch mal den dicken Maxe raushängen zu lassen, gelegentlich auch mal zu übertreiben. Aber man kriegt bloß die kalte Schulter gezeigt.

Man zieht weiter, sucht sich den nächsten Gesprächspartner, geht zum übernächsten . . . Selbstmitleid? Ach was. Eher die Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die lieber um sich selbst kreist, der alles leidlich egal geworden scheint.

Deren Mitglieder gerne unsichtbar bleiben und sich mehr und mehr in ihr gut geschütztes Schneckenhaus verkriechen.

Was ist das Rezept gegen diese Vereinsamung? Soll man die Menschen mehr kitzeln – in unserem Fall durch noch steilere Thesen, noch kühnere Behauptungen? Soll man sich den Stil zu eigen machen, der in sozialen Netzwerken und von Politikern gepflegt wird: durch alternative Fakten eine Diskussion anzuzetteln, die es auf der Basis seriöser Tatsachen gar nicht gäbe?

Nun, die Versuchung ist groß. Aber der Effekt würde sich rasch abnutzen, und gewonnen wäre rein gar nichts. Also bleibt nichts anderes übrig, als jede Woche einen neuen Flirtversuch zu starten.

Einer der Antworten im Internet, Sie wissen schon, auf die Frage: Was schreibt man, wenn . . .? geht so: „Ich würde das Gespräch mit einem ganz normalen Hallo, hey, na aufbauen.“ Alles klar, ich versuch's mal: Hey, geneigter Leser, wie wär's mit uns zwei Hübschen? Lass uns ein bisschen reden, äh, chatten. Interessiert? Dann schreib mir kurz was Nettes. „Wenn er dir zurückgeschrieben hat, kannst du ihn ja fragen, wie es ihm geht – so fühlt er sich nicht gerade bombardiert.“

Gut, dann warte ich einfach mal.