Ayfer und Temel Arayici aus Kitzingen-Etwashausen machen sich Sorgen um die Vorgänge in der Türkei. Temel hat einige Straßenszenen in Istanbul live miterlebt.
Auf einmal waren sie mittendrin. Hörten Protestgeschrei, sahen brennende Schilder und Polizisten, die hinter Demonstranten herrannten. "Von allen Seiten sind Leute gekommen", erinnert sich Temel Arayici.
Der 45-jährige Geschäftsführer der Kitzinger Temka GmbH verdient sein Geld mit Produkten, die Baustellen sowie den Straßenverkehr allgemein sicherer machen. Mit seinem Geschäftspartner Kai Drewes war er Ende Mai nach Istanbul geflogen, um dort die Verkehrssicherheits-Messe zu besuchen. Am Abend wollten die Männer in der Nähe des Taksim-Platzes essen gehen. Doch gerade da begannen die Unruhen, die das Land nun schon seit über zwei Wochen erschüttern.
Unfreiwillig waren Arayici und Drewes live dabei, als sich die Kritiker von Ministerpräsident Erdogan und seiner Regierung lautstark Luft machten. "Plötzlich war überall Tränengas.
Auf dem Weg zurück zum Hotel haben wir gesehen, wie Verkehrsschilder brannten, und wir haben gehört, wie Menschen Parolen schrien, zum Beispiel 'Mörder Erdogan!'", berichtete Arayici. "Erst im Hotel haben wir den Hintergrund erfahren: Erdogan wollte im Gezi-Park Bäume fällen lassen."
Inzwischen geht es längst nicht mehr nur um die städtische Grünfläche, den Gezi-Park, der nach dem Willen Erdogans einem modernen Einkaufszentrum weichen soll. "Das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", sind sich Temel und seine Frau Ayfer Arayici sicher. Es war der Tropfen, der die Spaltung des Landes in Erdogan-Anhänger und Erdogan-Gegner vollendete. Zu den Gegnern zählen die Studentenbewegung, rechte sowie linke Gruppierungen; "manche wollen vielleicht wirklich nur Krawall machen", sagt der Etwashäuser Temel Arayici.
"Aber viele haben wirklich Angst, dass die von Atatürk festgelegte Trennung von Staat und Religion aufgeweicht wird. Gegen einen solchen Rückschritt kämpfen sie."
Schleichende Islamisierung? Die Angst vor einer schleichenden Islamisierung des Landes können die Arayicis nachvollziehen. Beide stammen aus dem östlichen Mittelmeerraum und kamen schon als Kinder nach Deutschland, doch sie haben noch viele Kontakte in die Türkei. So haben sie erfahren, dass mittlerweile etwa die beruflichen Chancen von Frauen besser sind, wenn diese ein Kopftuch tragen. "Das war vor zehn Jahren noch umgekehrt."
Die frühere SPD-Stadträtin Ayfer, die heute stellvertretende Vorsitzende des ver.di-Bezirks ist, hegte für den "Machtpolitiker Erdogan" noch nie allzu große Sympathie.
Ihr Mann Temel betont indes, dass der Ministerpräsident wirtschaftlich und sozial viel für die türkische Bevölkerung erreicht habe. "Das ist sein Job!", entgegnet Ayfer. Temel fügt an: "Vor allem wirtschaftlich hat das Land einen Riesenschritt gemacht." Dennoch sagt auch der Unternehmer: "All das gibt ihm nicht das Recht, so autoritär zu handeln."
"Das war ein großer Fehler" Vor allem die brutale Kompromisslosigkeit, mit der Erdogan vorgeht, missfällt. Nach tagelangen Protesten ließ er den Gezi-Park mit Gewalt räumen, wobei hunderte Menschen verletzt wurden. Zudem bezeichnete er die Demonstranten als Plünderer und Terroristen - und drohte ihnen mit der eigenen Armee. "Das war ein großer Fehler. Durch solche Aktionen wird die gute Arbeit der letzten zehn Jahre kaputt gemacht", bedauert Temel Arayici.
Und was nun? "Das Problem ist, dass es keine starke Opposition gibt, also im Prinzip keine Alternative zu Erdogan", meint der Etwashäuser. "Ich wünsche mir, dass er zur Besinnung kommt, dass er Minderheiten anhört und akzeptiert und dass er Politik für alle macht, nicht nur für islamisch-orientierte Gruppen." Der Familienvater hofft auf den Ramadan, den Fastenmonat, der in drei Wochen beginnt. "Das ist traditionell die Zeit des Friedens."
Verschiedene Interessen Dass die Befriedung der aufgewühlten Gruppen schwer wird, steht für Safiye Klein fest. Die 37-Jährige ist die Beauftragte für interkulturelle und interreligiöse Zusammenarbeit des türkisch-islamischen Kulturvereins. Sie stammt aus der Schwarzmeerregion, lebt seit langem mit ihrer Familie in Kleinlangheim und hat ebenfalls noch Freunde und Verwandte in der Türkei.
"Der Konflikt ist schon weit fortgeschritten." Viele verschiedene Interessen spielten da hinein.
Während Temel Arayici in Erdogans Fehlern ein "gefundenes Fressen für die Gegner des Beitritts der Türkei zur EU" sieht, bleibt Safiye Klein in diesem Punkt gelassen. "Viele Türken sind ohnehin gegen den Beitritt." Viel schlimmer findet sie, dass unter den Unruhen vor allem eine große Gruppe leidet: die ganz normalen Menschen.