Verstärkt Corona die Sucht-Gefahr?

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Online-Glücksspiel
Ob auf dem Smartphone, dem Tablet oder am Computer: Online-Glücksspiele sind verlockend. Bei der Suchtberatung in Kitzingen spielt Online-Glücksspielsucht derzeit eine größere Rolle als früher.
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Foto: Arno Burgi/dpa

Mehr Zeit am Computer: Ist das nur ein Durchgangsphänomen oder schon Abhängigkeit? Fakt ist: Die Zahl der Online-Spielsüchtigen hat zugenommen.

Manche Begleiterscheinungen der Corona-Krise und vor allem des Lockdowns verwundern Ewald Burkard nicht. „Dass viele Menschen zuhause mehr Alkohol trinken, ist nicht überraschend“, sagt der Leiter der psychosozialen Beratungsstelle der Caritas in Kitzingen. Auch nicht, dass viele vermehrt in die virtuelle Welt eintauchen. Das kann ein Durchgangsphänomen sein, das wieder nachlässt. Aber es kann auch zur Sucht führen. Spätestens dann ist es wichtig, Hilfe zu suchen.

Zum zweiten Mal findet am heutigen 10. November der bundesweite Aktionstag Suchtberatung statt. „Kommunal wertvoll“ lautet das Motto, denn die Arbeit der Beratungsstellen leistet einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft, auch wenn nicht oft darüber geredet wird. Weil Vertraulichkeit oberstes Gebot ist gegenüber denen, die Hilfe suchen. Und so will der bundesweite Aktionstag auf die Leistungen der Suchtberatungsstellen aufmerksam machen, die niederschwellig und wohnortnah für jeden offenstehen.

Etwas mehr Fälle als im Vorjahr

Rund 1300 Suchtberatungsstellen gibt es in Deutschland, sie erreichen mehr als eine halbe Million Suchtkranke und ihre Angehörigen. Bei der psychosozialen Beratungsstelle in Kitzingen gab es im Jahr 2020 insgesamt 434 Fälle, etwas mehr als im Vorjahr.

Mehr Krisen, mehr Rückfälle, mehr Suchtverhalten? In der Anfangszeit der Corona-Krise war das erwartet worden. Doch zunächst einmal spürten die Beratungsstellen nichts davon. Die Leute hielten sich zurück, warteten ab. Nur wenige neue Klienten meldeten sich bei den drei Fachkräften der Kitzinger Caritas. Die Klienten, die bereits da waren, konnten gehalten werden, ist Ewald Burkard froh: „Nur ganz wenige sind abgesprungen“. Und besonders erfreulich: „Diejenigen, die abstinent waren, sind es wider Erwarten auch geblieben.“ Überraschend eine andere Beobachtung: Bei manchen, die unter Depressionen leiden, verschlechterte sich der Zustand nicht, da die Einschränkungen und soziale Abstinenz nicht mehr nur sie selbst, sondern auch alle anderen trafen.

Einfühlungsvermögen war gefragt

Allerdings mussten sich beide Seiten erst daran gewöhnen, dass die Beratung im ersten Lockdown nicht wie gewohnt durchgeführt werden konnte. Statt beieinander zu sitzen, musste am Telefon gesprochen werden. Das habe besser funktioniert als gedacht, so Burkard, da die Klienten froh gewesen seien um den stabilen Anker und den Kontakt zu den Beratern. Die mussten noch mehr Einfühlungsvermögen beweisen als im echten persönlichen Kontakt. Die Gesprächsführung sei manchmal zum Balanceakt geworden. Heraushören, wie es dem Klienten geht, Gesprächspausen richtig deuten. Wird überlegt? Ist der Andere mit seinem Gedanken am Ende oder kommt da noch was? Im Juni wurde es wieder etwas einfacher, die Klienten durften wieder in die Beratungsstelle kommen. In den Gesprächen wurde deutlich: die Arbeitssituation, Kurzarbeit, Home-Office und Home-Schooling gingen nicht spurlos an den Leuten vorbei. Dass die Familienmitglieder aufeinandersaßen, sich kaum ausweichen konnten, führte zu Stress und Konflikten, viele fühlten sich überlastet. Aber auch gelangweilt. Das Leben in der Corona-Krise erschien manchem monoton.

Im Herbst/Winter 2020 wieder eine neue Situation: Die Beratung war offen, die Gruppen geschlossen. Wieder drückten die Einschränkungen auf die Stimmung. „Erschöpfung, unterdrückter und diffuser Ärger, Lähmungsgefühle wurden bei den Gesprächen deutlich“, blickt Ewald Burkard zurück. Die Zahl der Anfragen nahm zu und stieg im Frühjahr nochmals an.

Mehr krisenhafte Anlässe

„Es gab mehr krisenhafte Anlässe“, sagt der Leiter der Beratungsstelle. Situationen, die dazu führten, dass sich so mancher entschied, Hilfe zu suchen. Manchmal der Betroffene, meist ein Angehöriger. Mögliche Anlässe: ein Streit, eine heftige Auseinandersetzung, ein körperlicher oder psychischer Vorfall, ein Fast-Zusammenbruch.

Die Menschen, die Hilfe bei der Beratungsstelle suchen, sind verschiedenen Mitteln oder Verhaltensweisen verfallen. Alkohol, die Volksdroge Nummer eins, steht an erster Stelle. Aber auch Drogenkonsumenten, Medikamentenabhängige und Glücksspielsüchtige werden beraten und unterstützt, Leute, deren Internetnutzung „problematisch“ ist oder die an einer Essstörung leiden. Die Beratung erfolgt immer vertraulich, unter Schweigepflicht, ist freiwillig und kostenfrei. Es wird immer versucht, zeitnah zu helfen. „Wir versuchen, innerhalb von maximal zwei Wochen das erste Gespräch durchzuführen“, erklärt Ewald Burkard. Hat ein Angehöriger angefragt, dann zunächst mit ihm. „Wir setzen damit an, die Not des Angehörigen aufzugreifen, den Druck von ihm zu nehmen.“ Möglichst bald wird dann auch mit dem Betroffenen selbst gesprochen – wenn er denn bereit dazu ist. Neben der wirksamen Anregung durch Ärzte ist es oft die Partnerin oder der Partner oder Elternteil, von denen der Anstoß ausgeht.

Suchtgefahr Social-Media

Deutlich erhöht hat sich in der Pandemie die Zeit, die man am Computer verbringt. Auch hier droht eine Suchtgefahr durch Social–Media, Chatten, Gaming und vor allem Online-Glücksspiele. „Die Spielhallen waren zu, da haben die Leute am Computer gespielt.“ Die Glücksspiel–Sucht habe sich aufs Internet verlagert. Während Alkoholsucht anteilig mehr bei Männern und Medikamentensucht mehr bei Frauen zu beobachten ist, beobachtet Ewald Burkard beim Online-Glücksspiel eine Verschiebung: „Bisher hatten wir mehr Männer im Glücksspiel-Suchtbereich. Aber in letzter Zeit haben wir etwa fünf Frauen hier wegen Online-Spielsucht.“ Und das sind deutlich mehr als vor Corona.

Kontakt: Psychosoziale Beratungsstelle, Tel 09321/22040, Email: suchtberatung@caritas-kitzingen.de, Internet: www.suchtberatung-kitzingen.de, Online-Beratung: www.caritas.de