Bäume, die das Ortsbild prägen, will man gerne erhalten, so wie die Weide am Etwashäuser Mainufer. Was aber, wenn sie zur Gefahr für Leib und Leben werden? Ein Baumfachmann berichtet.
Ihr erster Arbeitstag nach dem Winterurlaub – er hätte schöner beginnen können. Bei grauem Nieselwetter begutachteten Manuel Schömig, Leiter der Kitzinger Stadtgärtnerei, und einige Mitarbeiter gestern die stark beschädigte Weide am Stadtbalkon in Etwashausen. Was die Männer zu sehen bekamen, zeichnete ihnen Sorgenfalten auf die Stirn.
Wie eine überdimensionale Hand, die auf dem Rücken liegt, sieht der Baum aus. Nur vier verbliebene Finger ragen noch knorrig in die Luft. Im Handballen prangt eine große, offene Wunde. Ist das, was vom beliebten Fotomotiv übrig ist, noch standsicher?
Die „Foto-Weide“ war für Kitzingen jahrzehntelang das, was für viele umliegende Orte die Ortslinden und/oder alte Alleebäume sind: eine ortsbildprägende Naturschönheit. Hochzeitspaare, Konfirmanden, Kommunionkinder, Freudesgruppen: Ihnen allen diente die Weide am ehemaligen Gartenschaugelände als Kulisse für Bilder vor der Silhouette der Stadttürme – bis in der Silvesternacht jemand an dem Baum zündelte und wohl einen Feuerwerkskörper in ein Loch am Stamm steckte. Letzterer fing Feuer. Die Kitzinger Feuerwehr löschte den Brand zwar, doch ein Teil des Holzes musste aus Sicherheitsgründen abgesägt werden.
Das, was übrig blieb, ist nun möglicherweise ein Sicherheitsrisiko. Nachdenklich betrachtete Manuel Schömig gestern die Hohlräume am Stamm, die mit Sicherheit schon vor der nächtlichen Zündelei bestanden, aber erst seitdem gut zu sehen sind. Ansgar Geiger vom Stadtgärtnerei-Team säuberte den Platz an der Weide zusammen mit seinem Kollegen Norbert Michels und zeigte auf die nassen, fauligen Stellen rund um die inneren Hohlräume. Festes, hartes Holz bildet nur noch einen vergleichsweise geringen Anteil des Stammholzes – es sieht aus wie ein Haltering um einen Hohlraum. Wie stabil dieser Haltering ist, das ist nun die große Frage. Niemand möchte das beliebte Kitzinger Naturdenkmal und Fotomotiv beseitigen, andererseits kann man die Gefahr aber auch nicht ignorieren. Die verbliebenen vier starken Äste sind allesamt stark geneigt und so schwer, dass sie, wenn sie brechen würden, potenziell jemanden erschlagen könnten. Was nun? „Jeder Baum reagiert anders“, weißt Gerhard Väth, Fachagrarwirt Baumpflege, der schon ungezählte Baumgutachten erstellt hat. Um die Standsicherheit festzustellen, gebe es grundsätzlich drei Möglichkeiten, die den Baum nicht zusätzlich schwächen.
Bei der so genannten Holzwiderstandsmessung wird mit einer dünnen, 40 Zentimeter langen Nadel, die an einen Computer angeschlossen ist, an verschiedenen Stellen in den Stamm gebohrt. Je nachdem, wie schnell die Nadel vordringt, erkennt der Fachmann, wo der Stamm schadhaft ist.
Eine etwas teurere Untersuchung ist die Schalltomographie, erklärt Väth. Dabei werden Sensoren um den Baum herumgelegt, die das Holz beschallen. Am PC entsteht ein farbiges Bild, auf dem der Fachmann genau ablesen kann, wo nasse oder faule Stellen sind.
„Zugversuch“ heißt die dritte Art der Standfestigkeitsprüfung. In einer bestimmten Höhe wird ein Seil um den Stamm gelegt und mit einer bestimmten Kraft daran gezogen. „Man will den Baum nicht umziehen, sondern bringt nur etwa zehn Prozent der Energie ein, die bei einem Sturm auf den Baum wirken würden“, stellt der Fachmann aus Margetshöchheim fest. Sensoren zeigen an, wann und wie stark das Holz sich neigt. „Das sind Werte im Nanobereich. Der Computer rechnet daraus hoch, wie stark sich der Stamm neigen würde, wenn wirklich ein Sturm käme.“