Gegen die Not im Notwohngebiet

3 Min
Fleißige Helfer an der Kuchen- und Snack-Theke.
Foto: DIANA FUCHS
Heidi Gold und Andrea Schmidt spielen auch mal Babysitter, wenn die Eltern duschen gehen.Foto: DIANA FUCHS
Diana Fuchs
Wegweiser – der Name ist Programm im Notwohngebiet Kitzingen.
Foto: DIANA FUCHS
Wegweiser – der Name ist Programm.Foto: DIANA FUCHS
Diana Fuchs
Tatkräftige Männer: Stefan und Erich packen an, wo sie gebraucht werden – auch in der Küche.
Foto: DIANA FUCHS
Wo Zusammenhalt und Hilfe keine leeren Worte sind: Die 23-jährige Rumänin Lenuta mit ihrer kleinen Tochter Julia ist froh, dass unter anderem Sandra Lussert von den Siedler-Sonnenblumen sich für ...
Diana Fuchs
Wegweiser – der Name des neuen Treffpunkts im Notwohngebiet beschreibt dessen oberstes Ziel.
Diana Fuchs
Mittwochs ist „Wegweiser“-Tag: Andrea Schmidt bereitet kurz vor der Öffnung des Treffpunkts in der Küche kleine Snacks zu.Foto: DIANA FUCHS
Diana Fuchs
Fleißige Helfer an der Kuchen- und Snack-Theke.Foto: DIANA FUCHS
Diana Fuchs

Er trägt ein helles T-Shirt und eine Jogginghose. Mit langen, schnellen Schritten, eine Sporttasche geschultert, durchquert der junge Kerl den Raum. Er geht auf Sandra Lussert zu: „Is' frei?“, fragt er leise. „Gleich. Warte kurz“, antwortet sie und lächelt freundlich-aufmunternd. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass die Dusche im neuen Bürgertreffpunkt montags, mittwochs und freitags geöffnet ist. Viele „Notwohner“ nutzen das Angebot.

Es ist Mittwoch, kurz nach halb zwei. Eigentlich öffnet der Treff namens „Wegweiser“ im Erdgeschoss der Egerländer Straße 22 erst um 14 Uhr. Doch im Notwohngebiet schlägt die Uhr nicht immer im gleichen Takt wie im Rest der Welt. Während Sandra Lussert in der Küche gespendete Kuchen aufschneidet und auf einem Buffet schön anrichtet, wird im Nebenraum schon das erste Mal die Brause angestellt.

„Anfangs hat man deutlich eine Hemmschwelle gespürt. Die Leute sind nur zögerlich zum Duschen gekommen“, sagt die Stadträtin und engagierte Siedlerin Andrea Schmidt, die in der Küche Kaffee kocht und Brötchen schmiert. Sandra Lussert vom Verein „Siedler-Sonnenblumen“ ergänzt: „Aber jetzt wird das Angebot schon richtig gut angenommen.“ Viele Besucher greifen auch gerne in den offenen Schrank, in dem Handtücher und Bettwäsche, Spielsachen und Kleidung zum Mitnehmen liegen.

Der „Wegweiser“ hat im Notwohngebiet in der Egerländer Straße für Aufbruchsstimmung gesorgt. Das seit Jahren leer stehenden Caféstüble ist zu einer Begegnungsstätte umgebaut worden – inklusive Dusche und Waschmaschine. 30 000 Euro hat die Stadt für den Umbau der seit acht Jahren leer stehenden Räume bereitgestellt, die durch einen Wasserschaden schwer gelitten hatten. Zahlreiche Sponsoren – Privatleute und Firmen – sorgten mit Spenden für eine adäquate Ausstattung von Küche und Gemeinschaftsbad. Letzteres steht prinzipiell allen „Notwohnern“ offen, vor allem aber natürlich denen, die selbst kein Warmwasser in ihren Wohnungen haben.

Neben einer Dusche gibt es im „Wegweiser“ jeden Mittwoch auch Kaffee, Brötchen, Kuchen – und Hilfe in schwierigen Lebenssituationen.

Denn der Name soll Programm sein: Die Siedler-Sonnenblumen, der Bürgerverein Siedlung und zahlreiche Ehrenamtliche, darunter die frühere Soziale-Stadt-Referentin Andrea Schmidt, wollen Wegweiser für die „Notwohner“ sein. Sie haben die Verantwortung für den Betrieb des Treffpunkts in der Kitzinger Problemzone übernommen.

Erich Zink kommt herein. Wechselgeld in der einen, eine Tüte Zucker in der anderen Hand. Der 51-Jährige, der im AWO-Wohnheim am Klettenberg wohnt, hat für den Kaffeenachmittag eingekauft. Er, der früher einmal Mönch werden wollte, dann aber krank wurde, hilft regelmäßig ehrenamtlich im Notwohngebiet. „Für die Leute am Rand der Gesellschaft ist es ein Segen, dass es das hier gibt“, sagt er mit freundlichem Lächeln.

„Ich war hier in der Hölle“

Jetzt füllt sich der Raum innen ebenso schnell wie die Sitzgarnituren draußen auf der Grünfläche vor dem Haus. Anwohner jeden Alters kommen vorbei. „Bei so schönem Wetter kann man im Freien einen Kaffee trinken“, sagt Philipp Sell, der seit einigen Jahren im Notwohngebiet lebt. Er parkt seinen Rollator an einem der Tische und im Nu ist eine angeregte Unterhaltung im Gang. Eine junge Frau fragt nach Andrea Schmidt, weil sie Hilfe beim Ausfüllen eines Formulars braucht.

Am Kuchenbuffet führen derweil Sandra Lussert und die 23-jährige Lenuta, die aus Rumänien stammt und erst noch richtig Deutsch lernen muss, ein Gespräch mit Händen und Füßen. Lenutas vier Monate alte Tochter Julia kräht fröhlich mit.

Am Waschbecken in der Küche hat unterdessen ein Mann den Spüllappen ergriffen. Ohne, dass jemand ihn darum gebeten hätte. Es ist Stefan, 55 Jahre, Siedler und ehemaliger Bewohner des Notwohngebiets. Während er Tassen schrubbt, erzählt er. „Ich hab' hier so einiges mitgemacht. Ich war hier in der Hölle. Aber ich hab' mich Stufe für Stufe wieder nach oben gearbeitet.“ Stefan, so stellt sich heraus, ist trockener Alkoholiker. Er sagt, er habe die Sucht überwunden und sich mit seiner Frau Melanie – „sie ist das Beste, was mir je passiert ist“ – ein neues Leben in Kitzingen aufgebaut.

Als Ehrenamtliche ihn gefragt haben, ob er nicht auch mal zum „Wegweiser“ kommen und mithelfen wolle, hat Stefan nicht gezögert. „Ich bin heute zum ersten Mal da. Aber ich komme wieder, der Treffpunkt ist super.“ Stefan ist aber auch sicher, dass es damit nicht allein getan ist. „Die Leute hier brauchen Anleitung, sie brauchen jemanden, der ihnen sagt, was zu tun ist.“

Sandra Lussert nickt. Sie weiß: Der „Wegweiser“ ist nicht das Allheilmittel für das Notwohngebiet, „aber er ist ein Anfang, ein sehr guter“. Das gilt auch für das „besondere Event“, das sie und Stefanie Stockmeyer einmal im Monat im Notwohngebiet anbieten; im Juni wird es ein zünftiger Abend sein, bei dem im „Wegweiser“ Schweinebraten, Klöße und Blaukraut zubereitet werden.

Andrea Schmidt sieht die neue Situation ebenfalls als ersten Schritt aus der Isolation der Bewohner. „Ich gehe jeden Mittwoch heim und denke mir: 'Heute war ein guter Tag.' Wir spüren, dass die Leute dankbar sind. Und darauf lässt sich aufbauen.“

ONLINE-TIPP

Mehr Bilder unter www.inFranken.de

Pfingstfest in der Siedlung

Bayerisch-Fränkisches Pfingstfest: Die Siedler-Sonnenblumen engagieren sich nicht nur fürs Notwohngebiet, sondern für die ganze Siedlung. Die zwölf Damen und ihr Helfer-Team laden am Pfingstsonntag, 15. Mai, von 14 bis 19 Uhr zum 1. „Bayerisch-Fränkischen Pfingstfest“ vor dem Stadtteilzentrum in der Siedlung ein (Königsberger Straße/ neben der Sparkasse).

Das Programm reicht von zünftiger Musik über das Wettspiel „Wer haut den Nagel am schnellsten in den Stamm?“ bis zum Kinderschminken. Zu genießen gibt es Bratwürste mit Kraut/Brot, Leberkäse mit Kartoffelsalat, Bier vom Fass sowie Wein, Secco, Kaffee und Kuchen. Die Einnahmen sollen für einen sozialen Zweck verwendet werden – für welchen, entscheidet das Publikum per Zettel am „Wunschbaum“. Zünftige Kleidung (Dirndl/ Lederhosen) ist erwünscht.

Die Siedler-Sonnenblumen: Der Zusammenschluss von Siedlerinnen wird demnächst in einen Verein münden. „Die Unterlagen für die Vereinsgründung sind im Notariat eingereicht“, sagt Sandra Lussert. Zusammen mit Stefanie Stockmeyer und Michelle Roth hat sie die „Sonnenblumen“ vor zwei Jahren gegründet, um soziale Projekte umzusetzen. Die drei Gründerinnen sind nun gleichberechtigte Vorsitzende.