2021 wagten so viele Kitzinger wie nie zuvor den Schritt in die Selbstständigkeit. Warum die Bedingungen im Landkreis besonders gut sind und Corona sogar sein Gutes hatte.
Eigentlich ging es Sümeyra Özkan so wie vielen, die auf der Suche nach einem Geschenk sind. Originell sollte es sein und einfach passend – der Kitzingerin war aber alles, was sie fand, nicht passend genug. Also machte sie es selbst passend. Aus ihrer Idee, individuelle Geschenkboxen zusammenzustellen, wurde 2020 ein Geschäft – und die zweifache Mutter zur erfolgreichen Unternehmerin. Der Landkreis Kitzingen scheint grundsätzlich ein gutes Pflaster für Existenzgründer zu sein: Mit 855 Start-Ups allein im letzten Jahr gehört er zu den Top-Regionen in Unterfranken. Ein Faktum, das nicht nur für Sümeyra Özkan beste Voraussetzungen verspricht.
Auch Tobias Greissing, der aus dem Main-Tauber-Kreis stammt, hat sich 2019 mit seinem Start-Up hier, genauer in Schwarzach am Main, niedergelassen. Zusammen mit Kompagnon Jonathan Pidwell konzipiert er für seine „imsinne GmbH“ mobile, ultraleichte, recyclingfähige multifunktionale Whiteboards in allen Größen und jeder Situation und bietet dazu gleich noch die passenden Workshops an. Die „Ideenbretter“ gehen seitdem aus Franken nach Europa – Frank Ackermann aus Wiesenbronn ist der Produzent.
60 Prozent mehr Start-Ups
Zwei Gründer, zwei Erfolgsgeschichten – und dabei nur zwei von vielen. Die Industrie- und Handelskammer Würzburg-Schweinfurt (IHK) notierte 2021 ein Plus von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. „Der Anstieg (...) deutet darauf hin, dass das Interesse an der beruflichen Selbstständigkeit trotz der Coronapandemie nicht nachgelassen hat“, freut sich Dr. Sascha Genders, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK. Zwei Drittel der Neugründungen seien allerdings nebenberuflich angemeldet. „Dies sind einerseits Menschen, die einfach mal etwas ausprobieren wollen, aber andererseits auch diejenigen, die beispielsweise in Zeiten von Kurzarbeitergeld eine Einkunftsquelle suchen“, schreibt IHK-Kommunikationsreferent Marcel Gränz auf Anfrage.
Die Neugründungen verteilen sich auf die unterschiedlichsten Branchen, wobei Dienstleistungen, wenn nicht gerade im klassischen Einzelhandel oder in der Gastronomie verortet, auf der Liste ganz vorne stehen. Vor dem Corona-Hintergrund finden sich vor allem neue Angebote in den Bereichen Beratung, Gesundheit und Digitalisierung. Die Geschäftsideen von Sümeyra Özkan sowie Tobias Greissing und Jonathan Pidwell passen nicht direkt in diese Kategorien, haben aber durchaus Berührungspunkte – auch wenn sie schon aus der Vor-Coronazeit stammen.
Platz für Ideen – überall
Gerade Greissings Ideenbretter stammen aus einer Zeit, in der noch viele Menschen regelmäßig zu Meetings und Workshops zusammenkamen. Als in Universitäten live gelehrt wurde und in den Schulen noch niemand von Home Schooling sprach. Schon 2016 brachte der Industriedesigner seine Erfindung auf den Weg – weil es selbst im Gründerzentrum der Stadt Würzburg, wo er bereits zu diesem Zeitpunkt als Designtechnik-Coach angestellt war, nicht genug Platz für Ideen gab – oder um sie sichtbar zu machen, aufzuschreiben oder zu zeichnen. „In manchen Räumen durfte man nichts an die Wand hängen. Die konnten wir dann nicht nutzen. Und so kam mir die Idee zum mobilen Whiteboard.“ Leicht sollte es sein, dabei trotzdem robust, beweglich, transportabel und nachhaltig. Zusammen mit Jonathan Pidwell entwickelte er das erste Ideenbrett, das seitdem einen wahren Triumphzug angetreten hat – allerdings überwiegend im Ausland. In Kanada, Mexiko, Schweden, Frankreich, Slowenien, Österreich, Schweiz, Norwegen und Finnland wird schon mit den „imsinne“-Brettern gearbeitet, in den USA hat KI das Produkt für sich lizensiert. „Unser Zielmarkt liegt dabei klar im Bereich Lern- und Arbeitswelten“, berichtet Tobias Greissing. In den deutschen Schulen bekommt seine Firma allerdings noch keinen Fuß auf den Boden. „Dafür sollte sich am System erst einmal etwas ändern.“ In den skandinavischen Ländern seien die Lehrer mehr Begleiter, während in Deutschland noch sehr dogmatisch gelehrt werde. „Erst, wenn sich diese Vorstellungen verändern, können sich auch die Räumlichkeiten und ihre Ausstattung ändern.“ Sein Ziel ist es, in Zukunft weltweit noch weitere Märkte zu erschließen. Zudem möchte er mit seinen Produkten eine Brücke zwischen analogem und digitalem Arbeiten schaffen. Aktuell gibt es eine Zusammenarbeit mit namhaften Unternehmen aus der IT-Branche für das Thema hybride Lernräume.
Sichtbarer werden
Sümeyra Özkan hingegen bewegt sich überwiegend in hiesigen Gebieten. Sie hat es als schwierig empfunden, „sichtbar zu werden“. Nachdem sie ihre Idee im Bekannten- und Verwandtenkreis vorgestellt hatte und auf viele offene Ohren gestoßen war, hatte sie ihre Bemühungen verstärkt, neben ihrer Arbeit in einem großen Kitzinger Unternehmen ihr eigenes gegründet und überwiegend auf den verschiedenen sozialen Netzwerken vermarktet – mit Erfolg. Wer eine „Box of Orient“ bestellt, bekommt ein individuell zusammengestelltes, auf verschiedene Bedürfnisse und Vorlieben angepasstes Geschenk rund um spezielle Themen wie Geburts- oder Muttertag, Hochzeit und Geburt oder auch Spirituelles und „Alles für den Mann“.
Ihr Produktportfolio möchte die Kitzingerin gerne noch erweitern – zum Beispiel um Mitarbeiter- und Kundenboxen – genauso wie ihre Reichweite. Von ihrer Idee ist sie nach wie vor überzeugt. Im Landkreis Kitzingen ist sie damit ein leuchtendes Beispiel – eines unter mehreren, die hier optimale Bedingungen vorgefunden haben. „Gründungszahlen sind vielschichtig, hängen an den regionalen Arbeitsmarktsituationen, aber auch an der generellen Wirtschaftsstruktur“, schreibt Marcel Gränz von der IHK. In hiesigen Gefilden scheint bezüglich des Wirtschaftsfaktors vieles zu stimmen – nicht umsonst gibt es im Jahr 2021 so viele Neugründungen wie lange nicht mehr.