Die Wut wird sich legen

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Letztendlich will keiner die Türkei wirklich in der EU. Die türkischen Mitbürger in der Kitzinger Moschee haben das Vertrauen verloren.
Foto: Ralf Dieter

Ab Montag dürfen sie wählen, die rund 1,4 Millionen Türken, die in Deutschland leben. In Kitzingen sind es etwa 1000, die bis zum 9. April in Fürth an die Wahlurne dürfen. Wo sie ihr Kreuzchen machen, ist natürlich geheim. Beim Gespräch in der Kitzinger Moschee wird man aber das Gefühl nicht los, dass die meisten für eine Verfassungsänderung stimmen werden – und damit für die Pläne von Präsident Recep Erdogan.

Ab Montag dürfen sie wählen, die rund 1,4 Millionen Türken, die in Deutschland leben. In Kitzingen sind es etwa 1000, die bis zum 9. April in Fürth an die Wahlurne dürfen. Wo sie ihr Kreuzchen machen, ist natürlich geheim. Beim Gespräch in der Kitzinger Moschee wird man aber das Gefühl nicht los, dass die meisten für eine Verfassungsänderung stimmen werden – und damit für die Pläne von Präsident Recep Erdogan.

Die letzten Wochen waren nicht einfach. Weder für die jeweiligen politischen Entscheidungsträger, noch für die Bürger. Die deutsch-türkischen Beziehungen sind jedenfalls angespannt. Und das merken auch die türkischen Mitbürger in Stadt und Landkreis Kitzingen.

Ihre Namen täten nichts zur Sache, der Inhalt ihre Worte sei entscheidend. Drei Männer und drei Frauen haben sich in der Moschee versammelt, um über die letzten Wochen zu reden. Über Demonstrationen, über Terroristen, über kulturelle Unterschiede – und die Nazi-Vergleiche von Präsident Erdogan.

Schnell wird klar: So schwere Zeiten hat es noch nie gegeben. Von einer Krise ist die Rede, von unhaltbaren Vorwürfen, von einer unausgewogenen Berichterstattung der deutschen Medien. Und die zeige Wirkung. Die deutschen Kollegen auf der Baustelle, die Kunden im Laden, die Nachbarn: alle hätten plötzlich ein schlechtes Bild von der Türkei. Im Kindergarten sei sogar mal eine Oma auf sie losgegangen und hätte über „den Erdogan“ geschimpft, berichtet eine junge Mutter. In den Schulen würden türkische Kinder von Mitschülern beleidigt. „Dabei sind die erst elf oder zwölf Jahre alt.“ Der Vorwurf: Die Deutschen würden sich einseitig informieren, der Hetzkampagne der Bild Zeitung auf den Leim gehen. Dabei wüssten die meisten viel zu wenig über die Türkei. Über die Menschen. Und deren Präsidenten.

„Die Türkei hat sich in den letzten Jahren verändert“, sagt Yüksel Sari, Vorsitzender des Vereins Neue Moschee in Kitzingen. Es gebe Arbeit, ein funktionierendes Sozialsystem. Den Türken gehe es deutlich besser als früher. Sari spricht von einem einmaligen Wirtschaftsaufschwung. Zurückzuführen sei das vor allem auf die Regierung Erdogan. Auch außenpolitisch sei die Türkei endlich auf einem guten Weg. „Früher waren wir doch nur eine Marionette Amerikas.“ Neun Regierungswechsel innerhalb von zehn Jahren habe es vor der Ära Erdogan gegeben. Jetzt gebe es endlich eine Stabilität. „Was soll daran schlecht sein?“

„Gar nichts“, entgegnet der einsame deutsche Reporter in der Moschee. Aber wie verhält es sich mit den vielen Verhaftungen der Regimegegner? Wie steht es um die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei? Und wie finden die türkischen Mitbürger eigentlich die Nazi-Vergleiche ihres Präsidenten?

Besonders gut nicht. Übertrieben sei das schon gewesen, so die übereinstimmende Meinung am Tisch. Vor allem, weil er diese Vergleiche immer wieder angebracht hat. Als Politiker sollte man diplomatischer vorgehen, seine Wut im Zaun behalten. Wobei: Die Wut des Präsidenten komme bei seinem Volk gut an.

Da sind sie wieder, die kulturellen Unterschiede. Eine ganz andere Streitkultur gebe es in der Türkei, eine andere Emotionalität. „Erdogan ist stolz und empfindlich“, sagt eine der Frauen. „Vor allem, wenn sein Vaterland angegriffen wird.“ Dann könne er sich schon einmal im Ton vergreifen. Gleichzeitig sei er – wie alle Türken – nicht besonders kritikfähig. Vor allem, wenn es um religiöse Themen geht.

„Erdogan ist stolz und empfindlich. Vor allem, wenn sein Vaterland angegriffen wird.“
Eine Türkin über die andere Streitkultur in der Türkei

Aber all das sage nichts über die politischen Verhältnisse im Land aus. Grundsätzlich sei die Türkei schon jetzt genauso demokratisch wie andere europäische Länder auch. Die Argumente? Jede Frau dürfe entscheiden, ob sie ein Kopftuch trage oder nicht. Die Korruption sei weniger geworden, es gebe freie Wahlen. Mit der Verfassungsänderung werde das Volk auch weiterhin den Präsidenten wählen können. „Nur dann halt alle fünf Jahre“, sagt Yüksel Sari.

Was das Auftrittsverbot für türkische Politiker auf holländischem Boden mit Meinungsfreiheit zu tun hat, will er wissen. Und schiebt gleich eine rhetorische Frage hinterher: Ob der Umgang mit türkischen Demonstranten und Reportern in Holland wohl demokratisch gewesen sei? Warum Anhänger der PKK in Frankfurt demonstrieren durften, sei ihm ebenfalls schleierhaft. Die PKK ist für viele Türken gleichbedeutend mit einer terroristischen Vereinigung, habe tausende Tote auf dem Gewissen. So eine Demonstrationserlaubnis sei ein Affront gegen das türkische Volk. Im Übrigen dürfe man die PKK nicht mit den Kurden gleichsetzen. „Wir haben kurdische Minister in der Regierung, ich habe kurdische Freunde“, sagt Yüksel Sari.

Je länger das Gespräch dauert, desto klarer wird: Es gibt viele Unstimmigkeiten, noch mehr Vorurteile – auf beiden Seiten. „Die Beziehungen sind eigentlich schon seit der Flüchtlingskrise gefährdet“, sagt eine Frau am Tisch. Die Türkei habe sich an die Abmachung gehalten, keinen Asylbewerber mehr durchgelassen. „Aber die versprochenen drei Milliarden Euro sind bis heute nicht geflossen.“

Der Verdacht der Anwesenden: Letztendlich wolle keiner die Türkei wirklich in der EU. Die sei nur den christlich geprägten Nationen vorbehalten. Die Argumente der Politiker seien nur vorgeschoben. „Was hat Bulgarien, was die Türkei nicht hat?“, fragt ein Teilnehmer am Tisch. Hinter den ständig neuen Forderungen der EU stünden in Wahrheit wirtschaftliche Erwägungen. Die EU wolle die Türkei klein halten, sie soll erst gar nicht weiter an wirtschaftlichem Aufschwung gewinnen.

Und jetzt? Werden sich die deutsch-türkischen Beziehungen weiter verschlechtern? Wird sich die Krise verschärfen? Die Runde ist sich einig: Nach den Wahlen wird sich die Lage schnell wieder beruhigen. Die Wut wird sich legen – Unabhängig davon, wie das Referendum ausgeht. Auch das sei ein Teil der türkischen Kultur.