Becker: Wir müssen in einigen Punkten sicher nachsteuern, aber eines sollte uns beim Blick in die Welt auch klar sein: Wir sind und waren unendlich besser gerüstet für diese Krise als andere Länder.
Dennoch: Wo würden Sie nachsteuern?
Becker: Ich bin für ein Mehr an medizinischer Fachkompetenz in den Pflegeheimen. Ich bin eindeutig für eine Reduzierung der Dokumentationspflicht. Und ich bin für eine bessere Vernetzung zwischen allen Beteiligten.
Keßler-Rosa: Die Abstimmung mit den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung hat sicher Verbesserungspotenzial.
Becker: Die Kassenärztliche Vereinigung (KVB) hat in der Krise ihre Fachkompetenz nicht gerade unter Beweis gestellt. Um es mal vorsichtig auszudrücken.
Das heißt?
Becker: Wenn sich die Ärzte selber verwalten wollen, dann sollen sie es tun. Aber es kann nicht sein, dass die erste Frage der KVB ganz zu Beginn der Krise, auf die Vergütung abzielt. Die Altenheime befanden sich in großer Not und wir haben von der KVB gehört, dass man erst mal über die Vergütung sprechen müsse. Die Krisenstäbe haben zwar Ärztinnen und Ärzte für die Versorgung von Pflegeheimen eingeteilt. Die Pflegeheime wurden aber nicht informiert. Wen sollten sie nun einlassen und wen nicht? So geht das nicht.
Wie stellen Sie sich das künftige Versorgungssystem vor?
Keßler-Rosa: Die intensive Zusammenarbeit zwischen Pflegepersonal und Ärzten ist durch nichts zu ersetzen. Viele Hausärzte sind gute Partner der Pflegeheime. Aber es gibt auch Lücken. Und die müssen wir füllen. Beispielsweise durch einen Pool an speziell ausgebildeten Ärzten.
Becker: Ich sehe im Hausarztmodell durchaus Vorteile. Die Bewohner haben auf diese Art und Weise einen Arzt ihres Vertrauens, der sie im Idealfall auch im Pflegeheim betreut. Dieses System würde ich nicht in Frage stellen. Gleichzeitig lehrt uns diese Krise, einen Plan B zu erstellen. Im Notfall kann ich mir einen Pool an Versorgungsärzten für die Pflegeheime gut vorstellen.
Keßler-Rosa: Die Konzentration auf Mediziner, die eine Einrichtung mit ihren Bewohnern und dem Personal gut kennen, führt dazu, dass die Qualität in der Versorgung deutlich steigt. Die gesamte Kommunikation wird dadurch deutlich vereinfacht.
Der Ruf nach einer besseren Bezahlung für das Pflegepersonal wird immer lauter.
Keßler-Rosa: Zurecht. Diese Menschen leisten ja nicht nur in Krisenzeiten Außergewöhnliches.
Becker: Viele meiner Familienangehörigen arbeiten in der Pflege. Sie spiegeln mir Eines: Wichtiger als die Bezahlung sind ihnen die Achtung und der Respekt der Bevölkerung. Und natürlich die Arbeitsbedingungen. Immer auf Abruf da sein, im Drei-Schicht-Betrieb tätig sein, das ist auf Dauer körperlich und psychisch belastend.
Wie lässt sich das ändern?
Becker: In dem wir den Verwaltungsaufwand massiv herunterfahren. Warum muss eine Pflegekraft ankreuzen, ob sie ein Medikament als Kapsel oder als Tablette verabreicht hat? Wenn sich der Medizinische Dienst der Krankenkassen nur auf Kontrolle beschränkt und nicht endlich gute Beratung bietet, würde ich ihn abschaffen. Da hat sich über die Jahre ein bürokratisches Monster etabliert mit mehr als 1400 Mitarbeitern in Bayern. Diese Fachkräfte wären in der Pflege besser aufgehoben als in der ständigen und peniblen Prüfung von formalen Qualitätsstandards.