Zurück auf dem Schwanberg half Sr. Ruth beim Umbau des Internats- und Schulhauses in ein „Haus der Begegnung“. „Dort gab es Schüler- und Konfirmanden-Freizeiten mit viel Musik, an die ich mich sehr gern erinnere. Und etliche Menschen rings um den Schwanberg sicher auch...“
Nach der Wende, im Jahr 1995, erreichte die CCR ein Hilferuf aus Erfurt. „Das evangelische Augustinerkloster stand leer. Wir wurden gefragt, ob wir den Ort wieder mit Leben füllen würden.“ Vier Schwanbergschwestern zogen also in die Hauptstadt Thüringens. Eine alte Trafostation vor der Kirche bauten sie in eine „Klosterstube“ um, in der es günstiges Essen und Trinken gab. „Die Klosterstube wurde zur begehrten Anlaufstelle für Leute, die auf der Verlustseite der Wende standen.“
Punkt 12 Uhr gingen die CCR-Schwestern alltäglich zum Beten in die Kirche. „Die Kombination von Wirtshaus und Kirche war ideal!“ Über die Klosterstube fanden allmählich immer mehr Leute auch Zugang zu Gott – selbst solche, die sonst nichts mit der Kirche am Hut hatten. Es wurden fröhliche Tauffeste gefeiert, mit Kindern und Erwachsenen.
Oft ging es in der Klosterstube um „die Wessis“. Zum Teil habe sie die Aversionen und Aggressionen dem Westen gegenüber gut verstanden, gesteht Ruth Meili. Beispielsweise, wenn West-Niederlassungen in großem Stil auf der grünen Wiese gebaut wurden, während heimische Betriebe starben. „Man hat dem Osten Vieles einfach übergestülpt, die Einheimischen ignoriert. Wenn ein Kind nicht wertgeschätzt wird, geht es ins Extrem. Genauso war es hier.“ Arbeitslosigkeit, gebrochene Existenzen, soziale Not – nur deshalb hätten Linke und AfD erstarken können.
Kennenlernen nach dem Ja-Wort
Auch die Kirchenleitung habe Fehler gemacht. Bis zur Stunde gebe es im Rat der Evangelischen Kirche Deutschland keinen Vertreter aus dem Osten. „Dabei könnten wir viel von den Menschen lernen, die sich in der DDR damals für die Freiheit eingesetzt haben. Die Friedensarbeit ging von der dortigen Basiskirche aus, von unten nach oben. Das vergessen wir immer!“ Sie selbst habe die zu DDR-Zeiten gewachsenen „Kostbarkeiten“ im kirchlichen Bereich, in Friedens- und Umweltgruppen sehr zu schätzen gelernt, konstatiert Sr. Ruth, die als Mitglied der Synode und der Kirchenleitung der damaligen Evangelischen Kirchenprovinz Sachen eine für sie neue Kirche entdeckte. Heute sagt sie: Statt riesige Summen für Strukturreformen auszugeben, solle man lieber die Kirchenleute aus dem Osten fragen und sie bitten zu erzählen, „wie sie es gemacht haben“.
Die Jubilarin, zu deren Lieblingsbeschäftigungen Exerzitienarbeit, Seelsorge und Gottesdienste gehören, stellt fest: „Das A und O von kirchlichem, gemeinschaftlichem und gesellschaftlichem Wachstum ist Mitbeteiligung: Osten und Westen, Süden und Norden, Arme und vermeintlich Reiche brauchen einander. Wir sind einander zur Ergänzung gegeben, ja anvertraut.“
Ob sie niemals an Gott gezweifelt hat? Sr. Ruth schüttelt den Kopf. „Nein, ich wusste immer, dass Christus in mir ist. Er ist in uns allen. Jeder kann ihm freie Hand zum Wirken geben – oder auch nicht. Es ist die Entscheidung jedes Einzelnen.“ Vielleicht hat Ruth Meili das Gottvertrauen ja von ihrer Mutter gelernt. Vor Ruths Geburt wirkten ihre Eltern als Missionare in Indien. Zum Ehepaar waren sie auf abenteuerliche Weise geworden. Jakob Meili hatte per Brief um die Hand einer ihm Unbekannten angehalten, weil man ihm gesagt hatte, dass ein Missionar in Indien nicht ohne Ehefrau einreisen solle. Also fasste sich Jakob ein Herz und schrieb der Schwester eines Missionarskollegen. Nachdem das Mädchen sich über die Gesinnung des Antragsstellers informiert hatte, sagte sie Ja. „Erst dann lernten sich die beiden persönlich kennen. Es war der Beginn einer sehr glücklichen Ehe“, sagt Ruth Meili, die drei Schwestern hat. „Die Liebe ist quasi im Vollzug gewachsen.“ Unglaublich? „Ja, aber so ist Gott: groß, weit, umfassend. Ich habe auch oft Stoßseufzer zu ihm geschickt, mit der Bitte, mich bei der Hand zu nehmen und mir den richtigen Weg zu zeigen.“ Hat das immer funktioniert? „Ja. Manchmal ganz anders, als ich gedacht hatte, aber geklappt hat es immer.“
INFO: Sr. Ruth feiert am 23. April ihren 80. Geburtstag – Corona-bedingt ohne großes Tamtam. Der Tag beginnt in der St. Michaelskirche mit einem kurzen Abendmahlsgottesdienst um 6.30 Uhr, an dem Interessierte persönlich nach vorheriger Anmeldung (bei: dkrauss@schwanberg.de) oder per Live-Stream (über die Homepage ccr-schwanberg.de) teilnehmen können.