Klinik-Chefarzt warnt: "Wenn Covid-19 und die Grippe zeitgleich auftreten, wird es problematisch"

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Klinik-Arzt aus Kitzingen warnt vor gleichzeitigem Auftreten von Corona und Grippe
Dr. Volker Fackeldey: "Wenn Covid-19 und die Grippe zeitgleich in großer Zahl auftreten, wird es sicher problematisch. Dann kommen wir an unsere Kapazitätsgrenzen."
Klinik-Arzt aus Kitzingen warnt vor gleichzeitigem Auftreten von Corona und Grippe
Foto: Ralf Dieter

Dr. Volker Fackeldey ist Chefarzt der Gefäß- und Viszeralchirurgie an der Klinik Kitzinger Land. Der Mediziner appelliert an die Geduld und Vernunft der Menschen im Umgang mit Corona und empfiehlt allen, sich gegen die Grippe impfen zu lassen.

Während Verschwörungstheoretiker in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren, ist Dr. Volker Fackeldey heilfroh, dass die Bundesregierung im Frühjahr so schnell auf die Bedrohung durch das Coronavirus reagierte. Der Ärztliche Leiter und Chefarzt der Gefäß- und Viszeralchirurgie an der Klinik Kitzinger Land warnt vor den Gefahren von Covid 19 – und hat Respekt vor dem kommenden Herbst.

Herr Doktor Fackeldey, wie viele Menschen haben Sie an ihrer Klinik wegen Corona behandelt?

Fackeldey: Bislang 34. Acht lagen auf der Intensivstation. Vier sind leider gestorben.

Waren das sogenannte Risikopatienten?

Fackeldey: Ja, die Verstorbenen waren alle zwischen 70 und 80 Jahre alt und hatten verschiedene Vorerkrankungen.

Es ist viel von einer zweiten Welle die Rede. Merken Sie davon schon etwas?

Fackeldey: Als die Pandemie losging, hatten wir vor allem ältere Patienten hier. Dann gab es Wochen ohne Covid-19 Patienten in unserer Klinik. In letzter Zeit mussten wir nur wenige Einzelfälle betreuen. Viele der aktuell Erkrankten sind eher jüngere Menschen. Diese können häufig ambulant behandelt werden und müssen nicht in die Kliniken.

Wie verläuft die Krankheit bei den jüngeren Patienten?

Fackeldey: Der Verlauf ist in der Regel milder. Einige, insbesondere Kinder, haben keine Symptome, andere berichten von Beschwerden wie bei einer Erkältung, einer Grippe. Einige unserer Patienten und betroffenen Mitarbeiter berichteten über den typischen Verlust von Geschmack und Geruchssinn. Aber auch bei jüngeren Menschen gibt es schwere Krankheitsverläufe, unser jüngster Patient auf der Intensivstation war 35. Einige der Patienten mussten bei uns beatmet werden.

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Wie lange?

Fackeldey: Die Beatmungsdauer beträgt zwei bis fünf Wochen, der stationäre Aufenthalt bis zu acht Wochen.

Wissen Sie, wie es den entlassenen Patienten heute geht?

Fackeldey: Nein, Sie werden nach ihrer Entlassung von ihren Hausärzten betreut. Aber wir wissen aus ersten Forschungsergebnissen, dass Corona-Langzeitschäden durchaus möglich sind – auch bei den jüngeren Patienten.

Befürchten Sie eine große Welle im kommenden Herbst und Winter?

Fackeldey: Ich tue mich schwer mit dem Begriff Welle. Das Problem ist, dass im Herbst jeden Jahres die Grippe auf uns zukommt, mal mehr, mal weniger. Vor drei Jahren war unsere Klinik sehr voll mit Grippe–Patienten. Wenn Covid-19 und die Grippe zeitgleich in großer Zahl auftreten, wird es sicher problematisch. Dann kommen wir an unsere Kapazitätsgrenzen.

Die Empfehlung von Gesundheitsminister Jens Spahn, auch Kinder gegen die Grippe zu impfen, ist demnach richtig?

Fackeldey: Absolut. Wir werden diese Empfehlung als Klinikleitung auch hier im Haus weitergeben. Ich werde mich auch impfen lassen.

Wie sind Ihre Mitarbeiter mit dem Stress und Druck der letzten Monate umgegangen?

Fackeldey: Ich bin begeistert und beeindruckt, wie solidarisch und motiviert die Belegschaft gearbeitet hat. Von Anfang an. Als die Pandemie losging, haben sich Mitarbeiter sofort freiwillig zum Dienst gemeldet.

Obwohl die Gefahr einer Ansteckung damals relativ groß war...

Fackeldey: Niemand hat sich innerhalb der Klinik angesteckt, weder ein Mitarbeiter noch ein Patient. Alle tragen die beschlossenen Maßnahmen mit. Das gilt übrigens auch für die Patienten und ihre Angehörigen.

Keine Beschwerden?

Fackeldey: In all der Zeit gab es nur einen einzigen Fall. Ein Angehöriger hat gegen die Maßnahmen protestiert. Die überwiegende Mehrheit ist vernünftig und trägt die Sicherheitsmaßnahmen wie das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, das Desinfizieren der Hände und die Einhaltung der Abstandsregeln mit.

In Berlin und anderswo demonstrieren Menschen gegen diese – wie sie es nennen – Bevormundung.

Fackeldey: Mich machen solche Aussagen von Menschen, die letztendlich von der Solidarität und Vernunft ihrer Mitbürger profitieren, fassungslos und wütend. Wir haben rund 250.000 Infizierte in diesem Land, über 9000 Tote und pro Tag stecken sich immer noch 1000 bis 1500 Menschen neu an. Wie man da sagen kann, es gäbe keine Pandemie oder wir bräuchten keine Hygieneregeln, ist mir ein Rätsel.

Vielleicht ist Deutschland zu gut weggekommen?

Fackeldey: Eine fast zynische Sicht der Dinge. Wir haben über 9000 Tote in diesem Land zu beklagen – und es hat nicht nur ältere Menschen mit Vorerkrankungen getroffen. Jeder Tote, jeder schwer Erkrankte bedeutet Leid für die betroffenen Familien. Wir sollten froh sein, dass die Politik auf die Fachleute gehört und so besonnen reagiert hat.

Sind wir deshalb so viel besser weggekommen als andere Länder?

Fackeldey: Auf jeden Fall. Wobei die Italiener und Spanier von Corona überrollt wurden, wir hatten ein wenig mehr Zeit, die Weichen zu stellen. Wir haben diese Zeit aber auch genutzt. In Ländern wie den USA, Großbritannien und Brasilien haben die hohen Zahlen an Verstorbenen natürlich etwas mit der dortigen Politik zu tun.

Ist das deutsche Gesundheitssystem auf einen Herbst und Winter mit Covid-19 und Grippe vorbereitet?

Fackeldey: Ja. Wir haben – bezogen auf die Zahl der Einwohner – deutlich mehr Intensivbetten als die meisten anderen Länder. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten viel dazu gelernt und können den Apparat innerhalb kürzester Zeit wieder hochfahren. Die Mitarbeiter sind gut vorbereitet und wir haben jetzt auch genug Material auf Vorrat. Aber auch unsere Geräte müssen immer Up-to-date sein, wir haben zum Beispiel acht neue Beatmungsgeräte für unsere Intensivstation angeschafft. Dennoch halte ich es für entscheidend, dass sich möglichst viele Menschen gegen die Grippe impfen lassen.

Hat sich im Kampf gegen Corona schon so etwas wie eine Routine eingestellt?

Fackeldey: Routine ist absolut wichtig, kann aber auch gefährlich sein. Wir müssen weiterhin aufmerksam bleiben, die Abläufe überdenken, die Mitarbeiter schulen. All das geschieht konsequent in unserem Haus.

Die planmäßigen Operationen sind wieder angelaufen?

Fackeldey: Ja, aber die Zahlen liegen immer noch unter dem Vorjahr. Etliche verschieben ihren OP-Termin, weil sie wohl Respekt haben, in Corona-Zeiten ins Krankenhaus zu gehen. Aber ich kann allen Patienten versichern: Sie sind in unserer Klinik sicher.

Wann ist der Corona-Spuk vorbei?

Fackeldey: Wenn wir einen Impfstoff gefunden haben. Vorher sicher nicht.

Das kann noch Jahre dauern?

Fackeldey: Ich bin da optimistisch. Normalerweise dauert es tatsächlich zehn bis zwölf Jahre, aber die Weltgemeinschaft pumpt gerade eine Menge Geld in die Entwicklung eines Impfstoffes, so können mehrere Entwicklungsstufen parallel vorangetrieben werden. Ich denke, dass wir im nächsten Jahr schon weiter sind.

Bis dahin muss die Bevölkerung weiter mit der Bedrohung leben.

Fackeldey: Geduld, Vernunft und die AHA-Regeln sind weiterhin gefragt. Alles andere trägt nur dazu bei, dieses Land zu destabilisieren. Das kann nicht unser Ziel sein.

Die Fragen stellte Ralf Dieter.

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