Wann zum Beispiel?
Als mir jemand geschrieben hat: „Der Baukran, an dem du aufgehängt wirst, steht schon.“ Oder auf die Ankündigung hin, dass ein IS-Kämpfer mir den Kopf abschneiden soll.
Welche Folgen hat die Anzeige für die Menschen, die Ihnen so drohen?
Meist verläuft die Sache im Sand. Es ist für die Polizei nicht einfach, diejenigen zu finden, die solche Posts abgesetzt haben. Aber sollte ich deswegen keine Anzeige erstatten? Sollte ich einfach alles hinnehmen? Nein. Ich möchte mich einfach nicht an solche Art der Kommunikation gewöhnen.
Warum vergessen die Menschen heutzutage so leicht ihren Anstand?
Ich denke, das hängt vor allem damit
zusammen, dass die Distanz zu den Mitmenschen sehr groß ist, wenn man Schimpf- oder Hasstiraden online verbreitet. Da sitzt einem niemand direkt gegenüber. Da kann man alles sagen, ohne sein Gesicht zeigen zu müssen. Und dann gibt es eine Rückkopplung aufs reale Leben; auch hier werden die Menschen enthemmter.
Unterscheidet manch einer nicht mehr zwischen Realität und Fiktion?
Die Antwort auf diese Frage lässt sich gut an der Einstellung zu Geflüchteten ablesen. Die Feindseligkeit ist dort am größten, wo es am wenigsten Flüchtlinge gibt, also wo die Menschen Flüchtlinge gar nicht persönlich kennen, keine reale Erfahrung mit ihnen haben. Das ist eine absurde Schere, die da aufgeht. Wenn man die Menschen fragt, worauf sie konkret verzichten müssen, seit Flüchtlinge im Land sind, fällt ihnen oft nichts ein. Klar: Auf dem Wohnungsmarkt sind sie zum Beispiel Konkurrenten. Das führt zum eigentlichen Konflikt, der hinter allem steht: Der Konflikt zwischen Arm und Reich.
Das heißt, der Hass auf Flüchtlinge ist eigentlich ein Hass auf die Gesellschaftsstruktur?
So kann man es sagen. Es ist das Gefühl, benachteiligt zu sein. Es gibt viele sehr reiche und viele sehr arme Menschen in Deutschland. Das ist das Grundproblem. Es stellt sich eher die Frage der Umverteilung von oben nach unten. Aktuell erleben wir, dass Sozialneid unter denen geschürt wird, die ohnehin benachteiligt sind.
Nach Ihrer Kritik an der „Kreuzverordnung“ des Bayerischen Ministerpräsidenten hat Markus Söder eigenhändig und medienwirksam ein Kreuz im Ministerium aufgehängt. Was haben Sie gefühlt, als Sie das gesehen haben?
Ich habe das als ungeheuere Anmaßung empfunden, fast wie eine Enteignung des Kreuzes, das kein Machtzeichen ist, sondern ein Identitätszeichen mit den Schwachen in der Gesellschaft. Die Art, wie der CSU-Mann das öffentlich präsentiert hat, empfand ich als Missbrauch seiner Amtsmacht in Wahlkampfzeiten. Ich spreche Markus Söder als Person keineswegs ab, Christ zu sein. Aber Söders Ziel als Ministerpräsident war es ja nicht, sich zu den christlichen Werten zu bekennen, sondern zu zeigen: „Mir san christlich und bleiben christlich, nicht muslimisch.“ Das Kreuz als Symbol der bayerischen Identität, Kultur, Rechtsstaatlichkeit? Meiner Meinung nach ist damit nicht das christliche Kreuz beschrieben.
Jesus hat alle in seine Nähe gelassen: Ungläubige, Sündige, Kranke. Ist es das, was Sie mit „engagiertem Christentum“ meinen: dass man in jedem Menschen zuerst einmal nur den Mitmenschen sehen soll?
Ja, diese christliche Botschaft hat politische Relevanz. Deshalb sage ich, dass Christen laut und deutlich ihre Werte benennen sollen. Mit diesen Werten ist es zum Beispiel nicht vereinbar, Menschen nach Afghanistan abzuschieben, wo die Sicherheitslage im freien Fall ist.
Mit den christlichen Werten ist es aber auch nicht zu vereinbaren, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen…
Genau. Deshalb geht der Appell nach innen, in die Kirchen: Hört auf, euch mit euch selbst zu beschäftigen, während hilfsbedürftige Mitmenschen sterben. Christen, setzt euch ein gegen Ungerechtigkeit und gegen menschenverachtende Politik, die die Parteien auch noch zu legitimieren versuchen – Beispiel Nachzugsverbot. „Familiennachzug abgeschafft“, hat die CSU getitelt. Eine „christliche“ Partei, die ihre menschenfeindliche Politik als Erfolgsmeldung hinausposaunt. Die Kreuze würden – wenn sie es könnten – nicht nur von den Wänden fallen, sondern auf die Köpfe derer, die so etwas von sich geben. Christsein hört doch nicht an irgendeiner Landesgrenze auf. Die christliche Botschaft ist universal, niemals nationalistisch.
So richtig glaubwürdig sind da aber auch die christlichen Amtskirchen nicht. Gerade die katholische Kirche grenzt Menschen aus: Frauen dürfen keine Priesterinnen werden. Evangelische Christen dürfen in der katholischen Kirche oft nicht zur Kommunion gehen…
Es ist wahr, dass die Kirchen nicht glaubwürdig sind, so lange sie Diskriminierung in den eigenen Reihen nicht beenden – dazu zählt nicht nur die Diskriminierung von Frauen, sondern zum Beispiel auch von Homosexuellen. Und dass gerade der „Tisch des Herrn“, an den Jesus ohne Unterscheidung alle eingeladen hat, heute für die Trennung der christlichen Kirchen steht, ist einfach nur pervers.
Es ist also an der Zeit, dass das Christentum sich selbst erneuert, aber auch politisch für Erneuerung sorgt?
Die christliche Botschaft hat das Potenzial, sich selbst und die Gesellschaft positiv zu erneuern, ja. Wir müssen uns trauen, bestehende Ordnungen zu verändern. Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes ist im Prinzip der Mittelpunkt von Jesu Botschaft: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Dieser Satz sollte in allen Behörden hängen!
Burkhard Hose
Zum Autor: 1967 in Hammelburg geboren, studierte Burkhard Hose nach dem Abitur Theologie. 1994 wurde er zum Priester geweiht. Er ist Diözesanleiter des Katholischen Bibelwerks e.V. in Würzburg. Seit zehn Jahren begleitet er als Studentenpfarrer der Katholischen Hochschulgemeinde die Studierenden auf ihrem Lebensweg. Hose setzt sich auf vielfältige Weise für Menschen ein, die am Rande der Gesellschaft stehen. Für sein soziales Engagement erhielt er vor vier Jahren den Würzburger Friedenspreis.
Zum Buch: „Seid laut!“wird am 26. Juni im Münsterschwarzacher Vier-Türme-Verlag erscheinen. ISBN: 978-3-7365-0155-3; Kosten: 18 Euro.