Ob Stadt oder Land: Viele Hausärzte geraten einstweilen an ihre Grenzen. Einige stehen kurz vor der Rente, doch die Nachfolger lassen oft auf sich warten.
Dr. Walter Pretsch hat eine 60-Stunden-Woche. Tauschen will er trotzdem nicht. Der 48-Jährige ist Allgemeinarzt und seit etwas mehr als einem Jahr Chef in seiner eigenen Praxis in Kitzingen. Er arbeitet gerade "am Anschlag". Dass sich das künftig ändert, glaubt er nicht. Im Gegenteil. Erst vor ein paar Wochen hat sein Kitzinger Kollege Dr. Karl-Otto Kroiß seine Hausarztpraxis geschlossen. Kroiß hatte niemanden gefunden, der die Praxis weiterführen wollte.
Bald in Rente "Die jüngsten Kitzinger Ärzte sind Ende 40", sagt Hausärztesprecher Dr. Harry Biemüller. In den nächsten fünf Jahren werden viele der Ärzte im Rentenalter sein, sagt er voraus. Nachfolger für die Arztpraxen seien nicht in Sicht.
Walter Pretsch kann die Nachwuchsmediziner sogar verstehen: "Nachtdienst an mehreren, aufeinanderfolgenden Tagen neben der Praxistätigkeit, Bereitschaftsdienst und die Bezahlung ist mäßig bis mickrig. Jeder Handwerker bekommt deutlich mehr als ein Arzt beim Hausbesuch." Dennoch hat er sich bewusst für seine Praxis entschieden. Und für die Freiheit: "Ich wollte immer selbstständig sein", sagt er. Den Schritt bereut er nicht. Er arbeite viel und gern.
Walter Pretsch ist immer im Dienst. Auch in seiner Freizeit. In einer Kleinstadt kennt man sich eben. Da wird er schon einmal beim Einkaufen nach einer Diagnose gefragt. Das macht ihm aber nichts aus: "Das gehört in einer Kleinstadt dazu", sagt der gebürtige Wiener und lacht.
Kein Nachfolger fürs` Dorf Auf dem Land bewertet Biemüller die Situation als noch dramatischer, im Vergleich zu Kitzingen: "Es werden nach und nach immer weniger."
Dr. Rüdiger Perge fühlt sich dort wohl - auf dem Land. Der 60-Jährige ist Hausarzt in Großlangheim. Vor 27 Jahren hat er seine Praxis eröffnet. Dass er einen Nachfolger findet, der die Praxis übernimmt, wenn er einmal aufhört, glaubt er nicht. Wenn er sich in die Lage der jungen Mediziner versetzt, kann er das nachvollziehen: "Es gibt viele Dinge, die den Nachwuchs davon abhalten sich niederzulassen oder eine Praxis zu übernehmen."
Das finanzielle Risiko, der Arbeitsaufwand und der Ruf der Ärzte, der durch die Medien immer schlechter werde, zählt er auf. Rüdiger Perge würde heute, zumindest aus politischer Sicht, den Schritt zur eigenen Praxis selbst nicht mehr gehen.
Hier auf dem Land brauche es aber wenigstens ein oder zwei Ärzte mehr. Damit die kommen, müsste sich grundlegend etwas am System ändern, meint der Arzt. Allein der Bonus, den die Politik den Landärzten in spe bietet, reiche als Anreiz nicht aus. Auch Walter Pretsch glaubt, dass sich auf höherer Ebene etwas tun muss, damit sich die Situation der Hausärzte auf dem Land nicht weiter verschlechtert. "Die Frage ist, wie sehr die Politik an den Hausärzten interessiert ist." Um wieder mehr jüngere Kollegen für eine Niederlassung zu gewinnen, müsse die Wertigkeit in dem Beruf steigen. Finanziell und nicht-finanziell. "Meinem Sohn würde ich gerade nicht raten, als Hausarzt tätig zu sein", sagt Walter Pretsch.
Bald Fernüberwachung? Sein Hausarztkollege Rüdiger Perge schaut in die Zukunft: "In vier bis fünf Jahren könnte es ein echtes Versorgungsproblem
geben. Ich bin kein Schwarzmaler, aber es sieht nicht gut aus", sagt er. Rüdiger Perge sieht voraus, dass die großflächige Versorgung der Region immer dünner wird. Und diese Entwicklung macht dem Arzt Sorgen. "In zehn Jahren wird es nur noch Gesundheitszentren geben." Das höre sich erst einmal gut an, und diejenigen, die mobil sind, kümmere es ohnehin nicht. Für die älteren Menschen werde das aber zum Problem. "Das geht dann bis hin zur Fernüberwachung. Wie schon jetzt in den USA."
Hausärztesprecher Biemüller sieht weite Wege auf die Patienten zukommen. "Das ist eine bedenkliche Entwicklung, denn die Leute werden immer älter und damit nicht gesünder."
Im gesamten Landkreis Kitzingen gibt es 60 niedergelassene Hausärzte. Dr. Egon Bruch ist einer von ihnen. Er hat vor fast eineinhalb Jahren eine Praxis in Rüdenhausen übernommen.
Vorher hat der 41-jährige Arzt im Krankenhaus als Angestellter gearbeitet. Jetzt ist er sein eigener Chef. Er würde sich heute wieder dafür entscheiden, sich in der Gemeinde mit 800 Einwohnern niederzulassen. Trotz der Schwierigkeiten, könne Egon Bruch den Nachwuchsmedizinern zu dem Gang aufs Land sogar raten. "Der Verwaltungsaufwand ist aber enorm", sagt er. Besser sei es für die Medizinstudenten, wenn sie schon während ihres Studiums auf diese Aufgaben vorbereitet würden. "Man ist eigentlich Manager und Arzt zugleich." Seine Praxis auf dem Dorf funktioniere vor allem, weil ein Team hinter ihm stehe, auf das er sich verlassen kann.
Grenzen erreicht Viele Hausärzte im Landkreis geraten momentan wie Walter Pretsch an ihre Grenzen. "Ich habe den Eindruck, dass es gerade viel zu viele Patienten pro Arzt gibt", sagt er.
"Jeder hat nur eine bestimmte Kapazität", meint Harry Biemüller, "wird die überschritten, leiden die Arbeitsbedingungen von Arzt und seinen Angestellten. Und am Ende natürlich auch die Qualität für den Patienten."
Mehr Zeit für seine Patienten: Das wünscht sich Walter Pretsch. "Um sich in Ruhe unterhalten zu können. Mit 20 Patienten im Rücken ist es aber leider alles andere als ruhig."