Fehrer will 500 Stellen in Kitzingen streichen

4 Min
Fehrer wird wohl nicht mehr lange Kitzingens größter Arbeitgeber sein.
Fehrer wird wohl nicht mehr lange Kitzingens größter Arbeitgeber sein.

Die Fehrer-Flagge müsste eigentlich auf Halbmast wehen: Nach den Plänen der Geschäftsleitung wird die Produktion in Kitzingen komplett dicht gemacht. Auch die Verwaltung soll verschlankt werden.

500 Arbeitsplätze, 500 (Familien-)Schicksale: Der geplante Stellenabbau, den die Fehrer-Geschäftsleitung gestern am frühen Abend verkündet hat, ist ein Faustschlag in die Magengrube Kitzingens und seiner Bürger. Die Produktion soll komplett geschlossen und auch in der Verwaltung sollen bis Ende 2014 etwa 100 Arbeitsplätze abgebaut werden.

Als "emotional nicht ganz einfach" beschrieb Dr.-Ing. Bernd Welzel, Sprecher der Geschäftsführung, die Lage, in der er und sein Kollege Tom Graf (Chief Restructuring Officer) in der zweistündigen Betriebsversammlung gestern Nachmittag steckten. Sie verkündeten der Belegschaft eine wahre Hiobsbotschaft: Rund die Hälfte der Mitarbeiter werde den Arbeitsplatz verlieren. Während viele Beschäftigten fassungslos reagierten, betonten Betriebsrat und IG Metall, dass sie für den Erhalt des Produktionsstandortes kämpfen wollen.


Kampfansage

"Wir werden beweisen, dass bestehende Anlagen produktiv, profitabel und in Kitzingen erhalten bleiben müssen", war die erste Reaktion des Betriebsratsvorsitzenden Holger Lenz. Walther Mann, 1. Bevollmächtigter der IG Metall Würzburg, ergänzte: "Unsere organisierten Kollegen werden jetzt in einer Mitgliederversammlung die weitere Vorgehensweise beschließen. Wir gehen davon aus, dass ein abzuschließender Sozialtarifvertrag die notwendigen Weichen für den Produktionsstandort Kitzingen stellen wird!"

Dieser Kampfansage zum Trotz betonten die Geschäftsführer, dass es für sie keine Alternative zur Streichung von insgesamt rund 500 Stellen in Kitzingen gibt. Dr. Welzel und Graf begründeten dies damit, dass die Automobilhersteller ihre Fertigung zunehmend ins Ausland verlagern. Während dadurch die Umsätze der ausländischen Fehrer-Standorte stiegen, gingen die der deutschen Schaumstandorte immer mehr zurück.

Man könne es sich als Unternehmen aber nicht leisten, "Monat für Monat an immer schlechter ausgelasteten deutschen Standorten immer mehr Geld zu verbrennen". Deshalb werde Fehrer zwei seiner vier deutschen Produktionsstandorte - Kitzingen und Leipzig - schließen und sich auf die beiden verbleibenden, nämlich Braunschweig und das "BMW-Werk" Wackersdorf, konzentrieren. Nur so könne man die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Zukunft der gesamten Gruppe sichern. Die Aufsichtsgremien des Unternehmens hätten der Entscheidung bereits zugestimmt. Auch die Gesellschafter der Familie Fehrer ließen per Pressemeldung mitteilen, dass "auch die Familie den Tatsachen ins Auge sehen" müsse: Tatsache sei, dass immer mehr deutsche Autos im Ausland gebaut werden, um Kosten zu sparen. Deshalb habe sich auch der Umsatz von Fehrer immer mehr ins Ausland verschoben. "Die Hersteller erwarten, dass auch die Zulieferer ihre Kosten senken." Dies sei am Standort Kitzingen aber nicht möglich - "alleine der Lohnkosten wegen".

Von der geplanten Stilllegung der Produktion sind in Kitzingen rund 400 Mitarbeiter betroffen: 100, die an der Kaltschaumanlage A arbeiten, über deren Zukunft bereits im Dezember debattiert wurde, weitere 215 Mitarbeiter an den Kaltschaumanlagen J und Y sowie 85 Mitarbeiter an der Heißschaumanlage.


"Möglichst sozialverträglich"

Während, wie berichtet, die 130 Mitarbeiter des Formen- und Anlagenbaus ihre Arbeitsplätze behalten, werden laut CRO-Geschäftsführer Graf rund 100 bis 120 Stellen in zentralen Unternehmensbereichen wie Entwicklung, Technikum, Einkauf, Vertrieb, Finanzabteilung und Verwaltung abgebaut. Diese "Verschlankung" soll "möglichst über natürliche Fluktuation" erfolgen.

Warum man sich für den Erhalt der Schaumwerke in Wackersdorf und Braunschweig - beziehungsweise gegen Kitzingen und Leipzig - ausgesprochen hat? "Hier in Kitzingen haben wir das älteste Werk mit 130 Jahre alten Gebäuden. Der Investitionsbedarf wäre hier am höchsten; es gibt hier auch einen gewissen Investitionsstau", antwortete Tom Graf, der zudem immer wiederkehrende Zusatzkosten durch Hochwasser anführte. Zudem weise Kitzingen die geringste Kundennähe auf: "Die strategische Lage hier ist ungünstig." Dr. Welzel fügte hinzu, man müsse die Auftragslage "weltweit betrachten". Innerhalb Europas sei ganz deutlich: "Der Zug geht immer weiter nach Osten."

Der "unausweichliche Stellenabbau" in Kitzingen solle so sozialverträglich wie möglich gestaltet werden, meinte Dr. Welzel, ohne jedoch auf Details wie Abfindungen oder die Einrichtung einer Transfergesellschaft einzugehen. Er betonte nur, es müsse nun zeitnah Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern und Tarifpartnern geben, bei denen über die Konditionen verhandelt wird.

Dass das ein hartes Ringen wird, lassen die Worte des Betriebsratsvorsitzenden Holger Lenz erahnen: "Der Entwicklungsstandort Kitzingen ist gesichert. Jetzt muss das Gleiche für den Produktionsstandort Kitzingen erreicht werden!"Lenz und IG-Metall-Sprecher Walther Mann fordern dazu die "Solidarität und Unterstützung der politischen Parteien und Mandatsträger" ein.

Ob diese etwas bewirken können? Die Familie Fehrer schreibt in ihrer Presseerklärung, man habe alle Alternativen zur Schließung der Produktion genau geprüft. "Sie erwiesen sich entweder als nicht realisierbar oder mussten aufgrund der angespannten finanziellen Lage verworfen werden." Die Familie schließe sich deshalb "schweren Herzens der richtigen Entscheidung der Geschäftsführung an, um den Standort Kitzingen wenigstens in einem verringerten Umfang zu erhalten".






Info - HART UMKÄMPFTE BRANCHE:

Die Globalisierung hat die Automobilzulieferindustrie erheblich verändert. Auch aus dem 1875 gegründeten Kitzinger Familienbetrieb Fehrer ist im Lauf der Zeit ein Unternehmen mit weltweit 25 Standorten geworden. 2009 war ein echtes Krisenjahr für Fehrer - seither versuchte man es mit zahlreichen "Restrukturierungsmaßnahmen". Man müsse sich dem Druck der Kunden beugen und dort produzieren, wo die Preise niedrig sind, betonte gestern die Geschäftsführung.






KOMMENTAR


Die Solidarität fehlt

von Diana Fuchs

Ihr Gesicht war so grau wie der Himmel. Nur die Augen der Frau waren blutunterlaufen und glänzten auch Stunden nach der schlimmen Nachricht noch feucht. Die Frau gehört zu den 500 Kitzinger Fehrer-Mitarbeitern, die gestern in der Belegschaftsversammlung erfuhren, dass ihre Arbeitsplätze abgebaut werden. 500 Menschen. Welche Zukunft haben sie und ihre Familien?
Rund 80 "Fehrerianer" der Spätschicht gingen gestern Nachmittag nach der Betriebsversammlung nicht gleich zur Tagesordnung über, sondern versammelten sich im Hof - zum stillen Protest. Sie schrien nicht, tobten nicht, warfen nicht mit Tomaten. Sie zeigten mit ihrer bloßen Präsenz, dass die Pläne der Geschäftsführung in ihrer demonstrativen Sachlichkeit in Wahrheit menschliche Tragödien bedeuten.
Natürlich kann man der Geschäftsleitung glauben: Dem Preisdruck aus Billigproduktionsländern im Osten ist schwer standzuhalten. Unternehmen wie Fehrer sind auf Gedeih und Verderb mit ihren Kunden verbunden. Umgekehrt aber nicht. Autobauer wie VW, BMW oder Daimler zahlen Millionen an Erfolgsprämien an ihre Mitarbeiter - gleichzeitig schnallen sie ihre Zulieferer aber immer härter auf die Streckbank. Es gibt ja auch andere...
Solidarität könnte viele Arbeitsplätze erhalten. Aber dazu müssten die "Großen" Verantwortung für die "Kleinen" übernehmen.