Der Würzburger Bischof hatte in diesem Moment wohl eine Heidenangst. Julius Döpfner, der spätere Kardinal, ist am 28. Juni 1953 in seiner Kutsche auf dem Weg zur Einweihung der neuen Ochsenfurter Zuckerfabrik, als sein Gefährt jäh gestoppt wird. Evangelische Reiter aus Gnodstadt blockieren die Kutsche, sie überziehen den katholischen Oberhirten mit lauten Schmährufen. „Pfui!“, „Zieht ihn
Der Würzburger Bischof hatte in diesem Moment wohl eine Heidenangst. Julius Döpfner, der spätere Kardinal, ist am 28. Juni 1953 in seiner Kutsche auf dem Weg zur Einweihung der neuen Ochsenfurter Zuckerfabrik, als sein Gefährt jäh gestoppt wird. Evangelische Reiter aus Gnodstadt blockieren die Kutsche, sie überziehen den katholischen Oberhirten mit lauten Schmährufen. „Pfui!“, „Zieht ihn
raus!“, „Schlagt ihn tot!“ sollen sie gebrüllt haben. Die Polizei verhinderte Schlimmeres: Der „Ochsenfurter Zwischenfall“ war passiert.
Der Eklat an der Bischofskutsche hatte eine Vorgeschichte: An diesem Sonntag sollte die Zuckerfabrik bei der Eröffnung auch kirchlich geweiht werden. Die Fabrik-Direktion plante zwei Weihehandlungen: eine durch Döpfner, eine durch den evangelischen Würzburger Dekan Wilhelm Schwinn. Gemeinsame Weihehandlungen waren für Katholiken damals aber noch völlig undenkbar. Die Zuckerfabrik soll Schwinn daher wieder ausladen, fordert Döpfner. Der Streit nimmt seinen Lauf.
„Es war die schwerste Prüfung meiner fränkischen Jahre.“
Julius Döpfner über den Eklat zur Einweihung der Zuckerfabrik
Der einzige katholische Vertreter aus der fünfköpfigen Fabrik-Direktion überbringt Schwinn die Botschaft Döpfners. Der Dekan sagt, er nehme vom katholischen Bischof keine Weisungen entgegen. Die vermittelnden Vorschläge, die Evangelischen sollten doch „ohne Ornat“ erscheinen und ein weltliches Grußwort sprechen, lehnt Schwinn ab. Aus Protest reist er sofort nach Würzburg ab. Schnell macht der Grund für Schwinns Abreise die Runde unter den Gnodstädter Reitern, die die Kutsche des Dekans begleiten sollten. Sie schäumen vor Wut und stürmen zum Festplatz.
Die Eskalation von Ochsenfurt ist wochenlang großes Thema, nicht nur in den Kirchen- und Lokalzeitungen, auch bundesweit. „Der Spiegel“ und die „Zeit“ berichten. Denn die Vorkommnisse in Unterfranken sind ein Indiz für den brüchigen konfessionellen Frieden der Nachkriegszeit, auch in der Politik. Theologisch sind die Fronten zwischen Protestanten und Katholiken verhärtet wie eh und je, politisch aber hatten die C-Parteien versucht, die konfessionellen Gräben zu überwinden. Mit zweifelhaftem Erfolg, wie die Tage nach dem Zwischenfall an der Zuckerfabrik zeigen.
Obwohl auch nach der deutschen Teilung die Evangelischen deutlich in der Mehrheit sind, fühlen sie sich in der Defensive – in Bayern ganz besonders. Protestanten waren in der CSU zum Beispiel von Anfang an deutlich unterrepräsentiert. Die erste CSU-Landtagsfraktion bestand zu über 88 Prozent aus Katholiken, 1950 sank der Anteil der Evangelischen weiter – auf nur noch 7 von 64 Abgeordneten. In der Bundestagsgruppe der CSU sah es im Jahr 1949 nicht besser aus: Gerade einmal zwei der 24 Politiker waren evangelisch.
Die Liberalen streuen zu diesem Zeitpunkt auch noch genüsslich Salz in die Wunden der Union. Noch am Nachmittag der Fabrikeinweihung ruft der FDP-Landtagsabgeordnete Ernst Falk den rund 8 000 überwiegend protestantischen Bauern auf dem Gelände zu: „Ist es denn schon wieder so weit, dass wir evangelische Christen Menschen zweiter Klasse sind?“ Die Bauern kündigen an, die neue Zuckerfabrik zu boykottieren. Alois Schlögl, CSU-Agrarminister, raunt der Presse laut „Spiegel“ daraufhin zu: „I wann Sie wäre, meine Herren, i tät gar nix schreib'n über des.“