Elfjährige schlagen Klassenkameraden krankenhausreif

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Foto: Symbolbild (Diana Fuchs)
Foto: Symbolbild (Diana Fuchs)

Schule und Polizei suchen nach dem Vorfall das Gespräch mit den Fünftklässlern und den Eltern. Der Oma des Opfers reicht diese "Kuschelpädagogik" nicht.

Es sind zarte Finger, eigentlich. Doch wenn er sie zusammenballt, treten die Blutadern hervor, wie bei einem Erwachsenen. Mit seiner Kinderfaust schlägt der Elfjährige zu. Voller Absicht, mehrfach und ohne Mitleid prügelt er wutentbrannt auf den am Boden liegenden Klassenkameraden ein. Vier Mitschüler sehen zu.

Das ist keine Filmszene. Das ist in Wirklichkeit passiert. Mitten unter uns, mitten in der Kitzinger Siedlung, an der Kreuzung Liegnitzer/Königsberger Straße. Ein Streit im Sportunterricht war vergangene Woche der Auslöser dafür, dass eine Gruppe von fünf Schülern ihren Klassenkameraden Tim (Name geändert) auf dem Nachhauseweg abfing. Erst flogen kleinere Teerbrocken hin und her, dann größere. Die Situation eskalierte.
Victor (Name ebenfalls geändert) richtete Tim derart zu, dass er Blutergüsse am ganzen Körper hatte und drei Tage im Krankenhaus lag.

Zwar sind die Medien voll von Gewaltakten. Auch die Bürger auf dem "flachen Land" sind täglich damit konfrontiert. Doch dieser Fall ist anders: Täter und Opfer sind Fünftklässler und mit elf Jahren noch Kinder.

Nicht strafmündig
Sie sind noch nicht einmal strafmündig - das ist man in Deutschland erst ab 14 Jahren. Dennoch: Ungesühnt bleibt die Sache nicht.

"Das war eine extreme Ausnahmesituation." Friedrich Tasch, Rektor der Mittelschule Kitzingen-Siedlung, sagt, er habe in den 14 Jahren, die er an der Schule tätig ist, so etwas noch nie erlebt. Im ersten Moment sei er sehr konsterniert gewesen. "Doch dann hat die Schule alles getan, was eine Schule in so einem Fall tun kann." Neben den Ordnungsmaßnahmen für Täter und "Mitläufer" - Sportverbot, Verweis, Entschuldigungsschreiben ans Opfer - wurde umgehend der Schulsozialarbeiter eingeschaltet, die Eltern von Tim und Victor einbezogen, ebenso wie das Jugendamt und die Schulverbindungs-Beamtin der Kitzinger Polizei, Heike Ott.

Über so einen Gewaltakt müsse zeitnah, direkt und offen mit der Klasse geredet werden, betont Dominik Schmidt, stellvertretender Dienststellenleiter der PI Kitzingen. Am Montag bekamen die Fünftklässler deshalb Besuch von Polizei, Rektor, Sozialarbeiter, der Elternbeiratsvorsitzenden Yvonne Trinklein und der Polizistin Ott. Täter und Opfer waren sich nach dem Vorfall erstmals begegnet; Tim war mit sehr gemischten Gefühlen wieder in die Schule gekommen.

Unmissverständlich machte Heike Ott den Kindern die Fakten klar: "Das war eine schwere Körperverletzung. Dafür landet ein Erwachsener im Gefängnis." Niemand brauche zu denken: 'Die können uns nichts machen, weil wir noch zu jung sind.' Die Beamtin erklärte: "Die Polizei ermittelt auf jeden Fall. Alle Aussagen werden dokumentiert und gehen an die Staatsanwaltschaft. Die Sache ist also aktenkundig." Diese Akten erhält auch das Jugendamt.

Wer untätig zuschaut, trage eine Mitschuld. "Das ist unterlassene Hilfeleistung." Wer Gewalt beobachte, müsse Hilfe holen - Lehrer oder größere Schüler. "Am besten ist es, sich schon einzumischen, bevor Gewalt entsteht. Wendet euch etwa an den Jugendsozialarbeiter!"

Ott, Tasch und Trinklein berichten übereinstimmend, dass die Schüler während des Besuchs "sehr ruhig und aufmerksam" waren. Ott: "Ich persönlich hatte den Eindruck, dass der Großteil erschüttert war und sich mit dem Opfer solidarisiert hat."

"Riesenaggression"
Was nun? Schul-Programme wie "PIT - Prävention im Team" sollen verstärkt zum Einsatz kommen - auch wenn Heike Ott generell nicht das Gefühl hat, dass die Gewaltbereitschaft unter Kindern zunimmt. "Ein Fall wie der aktuelle ist zum Glück die Ausnahme." Vielleicht auch Dank der Präventionsarbeit. Rektor Tasch stellt klar: "Die Sache wird nicht einfach abgehakt, wir werden dranbleiben."
Tims Oma ist dieses Versprechen zu wenig. Sie sieht in Victor eine "tickende Zeitbombe" und hätte ihn am liebsten von der Schule verwiesen. "Da steckt eine Riesenaggression dahinter. Kuschelpädagogik bringt da gar nichts", findet sie.

Tasch zeigt Verständnis für die emotionale Betroffenheit der Familie, betont aber auch, Begriffe wie "Kuschelpädagogik" seien völlig fehl am Platz. "Es gibt jetzt viele Gerüchte. Wahr ist, dass über den Haupttäter bisher überhaupt nichts aktenkundig war." Das Kind habe eine Chance verdient. "Die Verantwortung liegt natürlich bei den Eltern. Die müssen aktiv werden - und dafür wird alles getan, auch von Seiten des Jugendamtes."
Das bestätigt Bernd Adler vom Allgemeinen Sozialen Dienst des Landratsamtes. "In solchen Fällen werden die Familien aufgesucht und die Ursachen eines solchen Fehlverhaltens erforscht, um erforderliche Veränderungen, Hilfen oder Maßnahmen in die Wege leiten zu können." Schule und Polizei hätten professionell reagiert.

"Mehr geht nicht"
Diese Meinung teilt Yvonne Trinklein. Die Elternbeiratsvorsitzende hat viele Anrufe besorgter Eltern bekommen. "Ich kann sagen, dass sowohl die Opfer- als auch die Täterfamilien Hilfe bekommen, das ist ganz wichtig. Die Schulsozialarbeit läuft. Mehr geht nicht."

Trinklein hatte durchaus das Gefühl, dass die Schüler "bedrückt" über das Geschehen waren. Inwieweit der Täter seine Brutalität und die Mitläufer ihre Tatenlosigkeit wirklich bereuen, wissen natürlich nur sie selbst.
Tims Oma ist sehr skeptisch. Tims Mama hofft vor allem, dass ihrem Sohn nicht nur körperlich, sondern auch seelisch keine Narben bleiben.

Diesen Wunsch teilt Yvonne Trinklein. Genauso hofft sie aber auch, dass Victor "seine Chance erkennt und ergreift". Nicht mit der Faust, sondern mit friedlich ausgestreckter Hand.