Der Kirchweihdienstag steht ganz im Zeichen des Bürgerauszugs. Zur Teilnahme gehört mehr als nur Frack und Zylinder.
Da kann man schon mal ins Schwitzen kommen. Ralf Karl hievt den Sack über seine Schulter. Fünfmal ist er die Treppe aus dem ersten Stock des Rathauses schon nach unten gelaufen - jedesmal ist der Gemeindearbeiter bepackt mit neuen Gewehren. Doch keine Sorge. Rüdenhausen rüstet sich nicht etwa für einen Militäraufstand. Vielmehr steht am heutigen Kirchweihdienstag der traditionelle Bürgerauszug auf dem Programm. Und der bedarf einer gewissen Vorbereitung.
Jeder Bürger, der heute zum Bürgerauszug antritt, benötigt ein Gewehr. Anders als Frack und Zylinder, für die jeder selbst sorgen muss, stellt die Waffen die Gemeinde. "Sie sind alle absolut unbrauchbar", beruhigt Bürgermeister Gerhard Ackermann.
Bei den insgesamt 97 Gewehren, die Ralf Karl nach und nach aus der doppelt verschlossenen Waffenkammer im ersten Stock holt und im Eingangsbereich des Rathauses auf den Tisch legt, sind meist Löcher im Lauf oder das Munitionsfach zugeschweißt. Es sind ehemalige Wilderergewehre oder Gewehre aus Schießbuden.
Zuletzt sind es meist um die 80 Bürger gewesen, die am Auszug teilgenommen haben. "Mitmachen dürften 430", sagt Ackermann augenzwinkernd. "Es ist also durchaus noch Luft nach oben." Die Höchstteilnehmerzahl hat er mit 132 Bürgern in Erinnerung.
Eine Anmeldung zum Auszug ist nicht erforderlich, sehr wohl aber ein Urlaubstag und die Erfüllung der ein oder anderen Bedingung: Alle Teilnehmer müssen mindestens 18 Jahre alt sein und ihren Wohnsitz seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde haben.
"Es gibt einige, die haben nur wegen des Bürgerauszugs noch ihren Zweitwohnsitz in Rüdenhausen gemeldet", sagt Ackermann und schmunzelt. Eine Tatsache, die er selbst gut nachzuvollziehen scheint. Auch er marschiert mit, seitdem er volljährig ist. "Es ist Kult", sagt er - und steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Sehr zur Freude der älteren Teilnehmer - zwei Männer laufen heuer zum 50. Mal mit - legt auch die Jugend Wert auf die seit 1619 bestehende Tradition. Ackermann erzählt, dass sich die jungen Männer schon beizeiten mit großem Eifer um das Pflicht-Outfit, bestehend aus Frack und Zylinder, bemühen. Wer niemanden hat, von dem er den Gehrock vermacht bekommt, der muss sich nach einem neuen umsehen. "Viele nutzen das Internet, aber es lassen sich auch immer mehr einen Frack maßschneidern", erzählt der Bürgermeister.
Auch wenn die Rüdenhäuser den dann in der Regel nur einmal im Jahr aus dem Schrank holen, so mache es sie einfach stolz, einen ihr Eigen zu nennen. Je nach Qualität könne man dafür mindestens 120 Euro in die Hand nehmen. Eine Grenze nach oben gibt es nicht.
Mit Frack und Zylinder allein ist es jedoch nicht getan. Schwarze Hose, schwarze Schuhe und schwarze Krawatte sind ebenfalls ein Muss. "Die schwarzen Socken nicht zu vergessen", mahnt Ackermann mit erhobenem Zeigefinger. Schließlich wolle man doch nicht zum Gespött der Besucher werden. Und davon gibt es in der Regel reichlich. Das Spektakel lockt jährlich nicht nur die örtlichen Bürger vor ihre Häuser, sondern auch etliche Schaulustige aus der Region.
Es gibt schließlich auch einiges zu sehen.
Neben dem Zug macht das Bürgerschießen auf sich aufmerksam, bei dem jeder "wehrhafte Bürger" aus 65 Metern versucht, eine von 36 Spielkarten zu treffen. Hinter jeder Karte versteckt sich ein Preis, in der Regel bleibt aber ein Drittel fürs nächste Jahr über. Lachend erinnert sich Ackermann an einen Teppichläufer, der lange Jahre das Rathaus gehütet hat. Die Siegerkarten werden übrigens an den Zylinder geheftet und von den treffsicheren Bürgern heute den ganzen Tag mit Stolz präsentiert.
Eines wird deutlich: Die Rüdenhäuser machen um ihren Bürgerauszug ein großes Aufsehen. Schon gestern Abend rief der Zapfenstreich das Großereignis ins Gedächtnis und heute Morgen ertönte bereits um 6 Uhr der Weckruf. Dabei ist zu wetten, dass kein "echter Rüdenhäuser" den Bürgerauszug versäumen würde...