Wenn das Kind zuerst da ist

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Wenn einer dazukommt, muss das System neu geordnet werden: Familien, in die einer der Partner ein oder mehrere Kinder aus einer früheren Partnerschaft mitbringt, leben als sogenannte Stieffamilie zusammen. Eine Familienkonstellation, die viele Herausforderung birgt. Foto: privat
Wenn einer dazukommt, muss das System neu geordnet werden: Familien, in die einer der Partner ein oder mehrere Kinder aus einer früheren Partnerschaft mitbringt, leben als sogenannte Stieffamilie zusammen. Eine Familienkonstellation, die viele Herausforderung birgt. Foto: privat
Alexandra Kerndler
Alexandra Kerndler
 

Die Awo Bamberg bietet ab 12. Juni eine Selbsthilfegruppe für Stief- und Bonuseltern an. Geleitet wird die Gruppe von Alexandra Kerndler.

Familie ist doch ganz einfach: Vater, Mutter, Kind! Oder doch nicht? Dass diese Konstellation, nämlich das dauerhafte Aufwachsen und Zusammenleben von Kindern mit den biologischen Eltern, nicht mehr das ganz Normale ist, belegen sozialwissenschaftliche Studien: Sieben bis 13 Prozent der Familien in Deutschland sind Stieffamilien. Familien, in die mindestens einer der Partner ein oder mehrere Kinder aus einer früheren Partnerschaft mitbringt.

Die Wienerin Alexandra Kerndler, die seit vielen Jahren in Bamberg lebt, hat vor sechs Jahren nicht nur ihren Lebenspartner kennengelernt, sondern auch seine Tochter, und ist so zur "Stiefmutter" geworden. Zusammen mit dem Selbsthilfebüro
der AWO Bamberg bietet sie ab 12. Juni eine Selbsthilfegruppe für Stiefeltern und Patchworkfamilien an.
"Das schaffe ich schon", war für Kerndler klar, als sie im Jahr 2011 der Tochter ihres Lebenspartners zum ersten Mal in einem Restaurant vorgestellt wurde. Kerndler selbst war damals 33 und ihre Stieftochter 14 Jahre alt. "Sie war nett, offen, interessiert und zugänglich", kann sich Kerndler erinnern, "da gab es von beiden Seiten aus keine Bedenken."


"Dem Papa seine Freundin"

Nach der Kennenlernphase kam in der neuen Stieffamilie die Findungsphase. "Jeder musste seine Rolle finden", beschreibt Alexandra Kerndler diese Zeit, die für sie eine "schwierige Phase" war und ihr eindeutig ihre persönlichen Grenzen aufgezeigt hat. "Die Werte aller Beteiligten waren einfach zu verschieden", weiß sie rückblickend.
Als Mutter hat sich Alexandra Kerndler von Anfang an bis heute nicht gefühlt. "Ich bin dem Papa seine Freundin. Mehr nicht", so Alexandra Kerndler. Die "Stiefmutter" kommt bei der 39-Jährigen auch nicht in die Tüte: "Ich mag das Wort ,Stief' nicht. Ich verbinde damit etwas ganz Negatives wie im Märchen. Ich sehe es eher als Bonus für alle Beteiligten", verdeutlicht Kerndler ihre Rolle in ihrer derzeitigen Familienkonstellation als sogenannte "Bonusmutter". Die Tochter hat ihre Familie und sie sei nur ein Zusatz. Kerndler selbst hat mit 14 Jahren ihren eigenen Vater verloren und durfte mit einem "zusätzlichen" Elternteil aufwachsen.


"Glückliche Stiefmutter"

Alexandra Kerndler war sich bewusst, dass die Lösung einer guten Familienzeit, die bei ihr jedes zweite Wochenende stattfindet, nur so lauten kann: "Ich selbst ändere mich, weil ich andere Menschen nicht ändern kann." Sie wollte nicht in der Opferrolle stecken, sondern als "glückliche Stiefmutter" ihren Weg gehen. Die hauptberufliche Sekretärin der Geschäftsführung einer sozialen Bamberger Einrichtung hat angefangen, an sich zu arbeiten und genau beobachtet, wann sie wie reagiert. "Ich habe meinen Partner und das Kind weiterhin unterstützt, soweit es mir gut ging. Denn mir muss es zuerst gut gehen, nur so kann ich für meine Familie da sein", weiß sie heute, und: "Auch als Bonusmutter habe ich das Recht, etwas zu äußern."

Zum Personalcoach hat sich Kerndler nebenberuflich weitergebildet und gemerkt, dass es für "Bonuseltern" so gut wie keine Austauschmöglichkeiten vor Ort gibt. So kam ihr die Idee einer Selbsthilfegruppe, um sich mit anderen über Strategien im neuen System gemeinsam Gedanken zu machen. "Ich habe daraus gelernt", so das Fazit von Alexandra Kerndler mit Blick auf ihre vergangenen sechs Jahre, "ich will andere motivieren, darüber miteinander und offen zu kommunizieren." Dabei ist sie überzeugt, dass nicht nur Stiefeltern, sondern auch Eltern und vielleicht sogar Kinder ihren Platz in dieser Gruppe finden können.


Eine Herausforderung

Dass das Leben in einer Stieffamilie eine große Herausforderung ist, belegt nicht nur das Auf und Ab im Leben von Kerndler, sondern auch, dass der Statistik nach jede dritte Stieffamilie scheitert. "Eine Trennung ist immer schlimm für Kinder. Zugunsten derer wäre es aber gut, wenn alle miteinander reden würden", meint sie. Damit will sie niemanden etwas vorwerfen oder vorschreiben, denn sie weiß, dass jede Familienkonstellation anders ist. In ihrer eigenen Stieffamilie hat der zwischenmenschliche Umgang mit den Jahren an Respekt gewonnen.


Die Selbsthilfegruppe


Termine Unter dem Dach des Selbsthilfebüros der Awo Bamberg (Telefon 0951/91700940) startet Alexandra Kerndler ab 12. Juni eine Selbsthilfegruppe für Stief- und Bonuseltern sowie Patchworker. Die Gruppe trifft sich jeden zweiten Montag im Monat von 18 Uhr bis 19 Uhr (ausgenommen Ferien) im Selbsthilfegruppenraum "Moskau" in den Theatergassen 7 in Bamberg. Das Angebot ist kostenlos.

Themen Es geht dabei um den Austausch über Themen in der neuen Familienkonstellation, die gegenseitige Hilfe und Beratung der Eltern und die Vermittlung von Kontakten. Alexandra Kerndler plant, auch immer wieder externe Referenten in die Gruppe mit einzubeziehen, um beispielsweise auch rechtliche Probleme wie Erbschaftsregelungen zu beleuchten. Auch Kinder sind eingeladen, die Situationen aus ihrer Sicht zu schildern.

Leitung Alexandra Kerndler ist selbst Bonusmutter eines Kindes und ist vorab zu erreichen per Mail unter alexandra.kerndler@gmx.de. Für sie war es wichtig, in der neuen Familienkonstellation das eigene Ich zu stärken und die eigenen Grenzen und Werte zu erkennen. Sie wollte nicht unter dem neuen Familienmodell leiden, sondern eine "glückliche Stiefmutter" sein. je