Jürgen Rippstein hat ein Faible für alte Bierkrüge. In seinem Haus in Sand nehmen tausende Exemplare viel Platz weg. Das ist aber nicht das Hauptproblem.
Wie es der Zufall will, klingelt es an der Haustür, als Jürgen Rippstein gerade erzählt, dass er viel auf Tauschbörsen unterwegs sei, aber zuletzt auch immer häufiger im Internet fündig werde, wenn er sich auf die Suche nach neuen alten Biergläsern begibt. "Dingdong." Es ist die Post, auf dem Paket warnt ein roter Klebestreifen vor allzu rüpelhaftem Umgang damit: "Vorsicht Glas!"
Jürgen Rippstein schneidet den Karton auf, darin steckt ein weiterer Karton, umhüllt von zerknülltem Papier. Er schneidet den zweiten Karton auf, aber das war's noch nicht: Luftpolsterfolie heißt jetzt der Gegner, dreimal hat der Absender das Objekt von Rippsteins Begierde damit umwickelt und mit reichlich Klebeband versiegelt. Rippstein schneidet, rupft und zerrt, da bekommt er den Krug zu greifen. Es klemmt, dann macht es einen Ruck und der Bierkrug hüpft aus der Polsterpackung. Rippstein bekommt ihn nicht mehr zu fassen, das Glas fällt aus einem halben Meter auf den Boden. "Ups, sagt der Sander und grinst erleichtert: "Nix passiert." Das dickwandige Bierglas der Brauerei Schnupp aus Altdrossenfeld (Landkreis Kulmbach) ist sehr robust. "Zum Glück war es kein Willibecher", sagt Rippstein und lacht. Auch davon hat er einige in seiner Sammlung, durch ihre nach oben dünner werdenden Glaswände sind sie sehr empfindlich.
Den Schnupp-Krug hat er für 20 Euro ersteigert. Wenn der Sander etwas für seine Sammlung kauft, sollten mindestens zwei Kriterien erfüllt sein: Das Alter und das Material müssen stimmen. Rippstein sammelt Glaskrüge oder Biergläser aller Art und Größen, die nicht zu jung sein dürfen: "Alles, was nach 1970 kommt, interessiert mich kaum", sagt der 50-Jährige. "Die alten Gläser sind viel schöner, sie sind detallierter und liebevoller gestaltet. Heute ist eher 0815." Seine ältesten Sammlerstücke stammen von um 1900. Einige Jahre zuvor hatten die Brauereien Gläser als Werbefläche entdeckt und begonnen, ihre Schriftzüge und Markenlogos darauf abzubilden.
Und was kosten die begehrten, alten Krüge? Die meisten Gefäße bewegen sich in einem Preisspektrum zwischen einem und 50 Euro, erklärt Rippstein. Vereinzelt erzielen Exemplare auch Preise von 100 bis 500 Euro, aber das sei sehr selten. Wenn ein Sammler etwas unbedingt haben wolle, greife er womöglich tiefer in die Tasche. "Manchmal bei Ebay, wenn zwei Bieter das Exemplar unbedingt wollen, gibt es nach oben kein Ende." Eine gute Geldanlage sei eine Sammlung aber nicht, sagt Rippstein. "Das ist eher was emotionales."
Mit jedem Krug, den er sich ins Regal stellt, lernt er außerdem etwas über seine Heimat: Der Sander sammelt mit den Gläsern auch immer Infos über die Brauerei und das Dorf oder die Stadt, aus der der Krug stammt. So kennt er sich gerade in Franken, aber auch in anderen Bierregionen Deutschlands ziemlich gut aus. Er fragt den Reporter: "Wo bist du her?" - "Coburg." - "Moment, hier: Scheidmantel, Hofbräu, Sturms..." - "Genau genommen bin ich aus Scherneck, Untersiemau." - "Moment: Raab, Murmann..." - Rippstein weiß, wo er was findet, die Krüge sind in den Regalen nach Regionen sortiert. "Das könntest du auch kennen: Eller aus Birkach
(ebenfalls Gemeinde Untersiemau im Kreis Coburg, die Red.)." - "Freilich!", ruft der Reporter. Eller Rot, durfte auf keiner Feier fehlen.
Wenn Jürgen Rippstein einen alten Krug ergattert, den er lange gesucht hat, ist die Freude groß. Stammt der Krug dann noch aus der Region, umso besser. Im Laufe seiner nunmehr über 30 Jahre dauernden Sammlerkarriere hat er sich zuletzt darauf konzentriert, die fränkische Heimat in seinen Regalen abzubilden. Etliche Exemplare aus dem Kreis Haßberge sind darunter, viele Brauereien sind längst geschlossen. Früher habe ja nahezu jedes Dorf seine Brauerei gehabt oder sogar mehrere, sagt Rippstein. In seiner Heimatgemeinde Sand etwa gab es einst vier Brauereien, von denen er Kenntnis hat: Obere Storchenbräu (Alfons Storch), Sternbräu (Fritz Kümmel), Brauerei "Zur Krone" (Romanus Pecht) und Storchenbräu (Ludwig Storch). Für Letztere hat Rippstein eine Ausnahme gemacht und einen Steinkrug erworben, der Heimatbonus geht vor. Von der Sternbräu besitzt er einen Glaskrug, von den anderen beiden stillgelegten Brauereien sucht er noch. Bei der nächsten Tauschbörse in Zeil am Main am 28. Oktober wird er wieder die Augen offen halten in der Hoffnung, auf heimische Exemplare zu treffen.
Notgedrungen stehen bei ihm auch etliche Gläser im Keller, die seine Kriterein nicht erfüllen. Oft verkaufe jemand nur seinen kompletten Bestand und keine einzelnen Exemplare. 50 Gläser für fünf Euro gegen Abholung sind typische Angebote etwa auf Ebay-Kleinanzeigen. Kann sein, dass dann ein brauchbares Gefäß dabei ist oder aber auch gar keines. Dann wird die Rippsteinsche Sammlung größer, ohne dass sie besser wird. "Ich habe 2000 Gläser zum tauschen unten", sagt Rippstein. Doppelte Exemplare oder solche, die nach 1970 hergestellt wurden. Insgesamt nennt der Sander "zwischen 4000 und 5000" Biergläser sein eigen, genau könne er es nicht sagen, er müsse mal wieder durchzählen. Und eben jene Gläser loswerden, die er "nur vorübergehend" in die Regale im Keller stellt. Jürgen Rippsteins Frau Sibylle schaut ihren Mann fragend an: "Du sagst manchmal ,Das ist nur vorübergehend' und dann vergehen zwei oder drei Jahre. Wir haben uns nie geeinigt, was man unter vorübergehend versteht", sagt sie und lacht. Ansonsten hat sie nämlich gegen sein Hobby nichts einzuwenden: "Es ist halt seine Leidenschaft. Das ist ok."
Das Hauptproblem ist aber nicht, dass die Familie im Keller fast keinen Platz mehr hat. Rippstein plant ohnehin, einmal richtig auszumisten. Damit ließe sich das Platzproblem lösen, aber eine andere Sache ist schwieriger: Ein paar Bierkrug-Exemplare, die Rippstein begehrt, sind kaum noch oder gar nicht mehr zu finden. Etliche Brauerein gibt es längst nicht mehr, viele der damaligen Gläser wurden weggeworfen oder schlummern bestenfalls noch in Privathaushalten, oft sogar unbemerkt von den Besitzern. Der Sander lacht, denn irgendwie ist der Umstand, dass man einer Sache richtig lange hinterherjagt, um sie dann irgenwann eines Tages in den Händen zu halten, ja auch der gewisse Nervenkitzel für einen Sammler. Und obwohl Rippstein nachvollziehen kann, dass nicht jeder gleich den Zusammenhang zwischen Nervenkitzel und Bierkrügesammeln sieht, ist er sehr zufrieden mit seinem Tun: "Für mich ist es ein sehr schönes Hobby."
Wer in seinem Haushalt alte Bierglas-Schätze vermutet und mit Jürgen Rippstein Kontakt aufnehmen möchten, kann dies unter Telefon 09524/5052 tun. Der Sander gibt auch bei Interesse aus seiner Sammlung Gläser ab.