Nachbarn halten's nicht mehr aus

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Als Tatwaffe zweckentfremdet wurde beim Freischießen ein Maßkrug. Das Opfer soll nach Meinung des Gerichts den Spieß umgedreht haben und nach seiner eigenen medizinischen Versorgung dem Täter aufgelauert und ihm eine Bierflasche über den Kopf gezogen haben. Foto: Archiv
Als Tatwaffe zweckentfremdet wurde beim Freischießen ein Maßkrug. Das Opfer soll nach Meinung des Gerichts den Spieß umgedreht haben und nach seiner eigenen medizinischen Versorgung dem Täter ...
Als Tatwaffe zweckentfremdet wurde beim Freischießen ein Maßkrug. Das Opfer soll nach Meinung des Gerichts den Spieß umgedreht haben und nach seiner eigenen medizinischen Versorgung dem Täter aufgelauert und ihm eine Bierflasche über den Kopf gezogen haben. Foto: Archiv
Archivbild (Symbolfoto)

Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen im Vollrausch führen für einen 50-Jährigen zu einer Bewährungsstrafe. Er muss in die Entziehungsanstalt.

Dass der Angeklagte (50) unter einer massiven Alkoholsucht leidet und auch psychisch schwer beeinträchtigt ist, darüber gab es in der jüngsten Gerichtsverhandlung keinen Zweifel.

Die viel diskutierte Frage drehte sich darum, ob und inwieweit er im juristischen Sinne als schuldfähig anzusehen ist. Nach reiflicher Abwägung verurteilte ihn das Gericht nicht wegen der von ihm im Alkoholrausch verübten Körperverletzungen, Widerstandshandlungen, Bedrohungen und Beleidigungen, sondern für zweifachen Vollrausch. Das bedeutet nach deutschem Recht, dass er sich wissentlich in den rauschhaften Zustand versetzt - auf gut deutsch: Dass er gesoffen hatte, obwohl er wusste, dass er dann jegliche Kontrolle und Steuerungsfähigkeit verliert. Das Urteil: zehn Monate Bewährungsstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.


Die Nachbarn bedroht

Laut Anklageschrift, verlesen von Staatsanwalt Thomas Heer, ging es um die Vorfälle vom 7. August und 5. Dezember 2015. In beiden Fällen begann das Unheil damit, dass der Metallarbeiter jeweils um Mitternacht stark alkoholisiert seine Nachbarn und speziell die Nachbarsfrau übelst beschimpfte. In höchster Rage brüllte er ihnen zu, sie zu "kriegen" und ihnen den Garaus zu machen.

Da der Mann etwa ein halbes Jahr vorher ebenfalls mitten in der Nacht sogar in das Nachbarhaus gewaltsam eingedrungen war und dort vier Fensterscheiben zerschlagen hatte, nahmen die Nachbarsleute die Drohung ernst und riefen die Polizei.

Als die Beamten anrückten, empfing sie der Alkoholiker erst mal mit einer Schimpftirade aus der untersten Schublade. Als die Ordnungshüter ihn festnehmen und zur Polizeidienststelle bringen wollten, machte er mächtig Rabatz und wehrte sich mit Händen und Füßen. Einem der Uniformierten trat er gegen das Schienbein, und als er wild um sich schlug, fiel dessen Kollege auf eine Treppe und verletzte sich dabei so schwer, dass er sich in ärztliche Behandlung begeben musste und drei Monate dienstunfähig war. Eine Blutentnahme bei dem "blauen" Randalierer zeigte, dass er jeweils rund 1,7 Promille intus hatte.


Einbruch beim Nachbarn

Für den Einbruch bei den Nachbarn, bei dem die Scheiben zu Bruch gegangen waren, kassierte der Arbeiter am 15. April 2015 einen Strafbefehl des Staatsanwalts mit einer Geldstrafe von 720 Euro. Die Straftaten im August und Dezember 2015 waren im September und Oktober 2016 schon einmal verhandelt worden. Damals wurde der Prozess aber mit der Maßgabe unterbrochen, dass ein weiteres psychiatrisches Gutachten eingeholt werden sollte, um die Frage der Schuldfähigkeit zu klären.

Die Stellungnahme des Psychiaters lag nun vor. Obwohl bei ihrer Verlesung im Gerichtssaal die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden war, wurde anschließend der Tenor der Expertise deutlich: Der Gutachter hält den Straftäter nicht für völlig schuldunfähig, sondern für eingeschränkt schuldfähig.

Mit weinerlicher Stimme gab sich der Angeklagte äußerst reumütig. Seit sich seine Frau von ihm getrennt habe, habe er sich "immer mehr in die Scheiße geritten", flennte er. Obwohl er seit 30 Jahren bei einer mittelständischen Firma arbeite, habe er nun Angst um seinen Job. Unter der Woche habe er sich normalerweise im Griff, aber am Wochenende, wenn er ohne Frau und Kinder alleine in seinem Haus sei, falle ihm die Decke auf den Kopf. "Ich weiß, dass ich eine Menge Mist gebaut hab" schloss er seine Aussagen und gelobte Besserung.


Unerträglich für die Nachbarn

In seinem Plädoyer beleuchtete der Staatsanwalt vor allem die Sicht der Opfer. Für die Nachbarn, die jede Nacht mit einem erneuten Ausraster rechnen müssen und für die Polizei, die nur noch mit einer doppelten Streife anrücke, sei die Situation schier unerträglich. Es sei ein Unding, dass die Nachbarn wegen ständiger Angst und aufgrund von Schlafstörungen psychologische Hilfe brauchen und dass sie deswegen sogar ihr Haus verkaufen und wegziehen wollen. Da eine Langzeittherapie im letzten Jahr keinen merklichen Erfolg gehabt habe, bleibe nichts anderes übrig, als den Täter wegzusperren. Ein Jahr und drei Monate ohne Bewährung hielt er für tat- und schuldangemessen.
Pflichtverteidigerin Kerstin Rieger sah in ihrem Mandanten einen "eigentlich rechtschaffenen Menschen, der erst durch die Trennung von seiner Frau und seinen Kindern völlig aus der Bahn" geworfen worden sei und Hilfe brauche. Sie gab zu, dass der Beschuldigte bei seinen Taten "völlig außer Rand und Band" gewesen sei, unterstrich aber, dass er alles für ihn Mögliche tue, um aus der Situation rauszukommen. Seinen guten Willen sehe man daran, dass er regelmäßig zur Suchtberatung, zum Hausarzt und zum Psychiater gehe und vorschriftsmäßig die ihm verordneten Medikamente einnehme. Sie hielt eine Bewährungsstrafe von maximal zehn Monaten für ausreichend.
Abweichend von dem neuerlichen psychiatrischen Gutachten erfolgte der Spruch im Namen des Volkes nicht wegen der vielen einzelnen Straftaten, sondern wegen Vollrausches in zwei Fällen. Dabei bezog sich die Amtsrichterin Ilona Conver auf die Aussagen der Beamten, wonach der Mann "völlig von Sinnen" gewesen und sich "wie ein Tier" aufgeführt habe. Weil er in nüchternem Zustand wisse und wissen müsse, dass er unter Alkoholeinfluss jegliche Selbstkontrolle und -steuerung verliere, wurde damit sein Verhalten des "Sich-Berauschens", wie Juristen es nennen, bestraft. Dass der Mann durch sein unmögliches Verhalten den Rechtsfrieden in dem Dorf in den Haßbergen gründlich aufgemischt habe, da "beißt die Maus keinen Faden ab", betonte die Vorsitzende.


Bewährung

Da er zum ersten Mal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, ist diese für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. In die Entziehungsanstalt aber wird er ohne Aufschub eingewiesen, weil durch seine Sucht die große Gefahr besteht, dass er erneute Straftaten begehen wird. Auf Nachfrage war zu erfahren, dass als Ort der Unterbringung möglicherweise der geschlossene Bereich der psychiatrischen Klinik in Werneck in Frage kommt und dass normalerweise von zwei Jahren auszugehen ist. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.