Wie eine Weinrebe verwachsen ist die 76-jährige Waltraud Hauck mit dem Gast- und Weinhaus Zimmermann in Ziegelanger. Hier lag ihr Lebensmittelpunkt.
In der heutigen Zeit sind die Arbeitsbeziehungen geprägt von Schnelllebigkeit und Flüchtigkeit. Das amerikanische Hire-and-Fire hat in Deutschland Einzug gehalten. Personalmanager predigen die Vorzüge der digitalen modernen Arbeitswelt, in der die Menschen global verfügbar sind, ihre Kräfte via Cloud vereinigen und voneinander wunderbar profitieren können.
Auf der anderen Seite der Medaille stehen die Mindestlöhne, befristete Beschäftigungen, Zeitarbeit. Ein Arbeitsverhältnis, wie es heute kaum an der Tagesordnung ist, fand dieser Tage im Weinhaus Zimmermann seinen würdigen Abschluss: Winzer und Wirt Wolfgang Zimmermann dankte seiner "rechten Hand" Waltraud Hauck für ihre Dienste. 45 Jahre hat sie im Gasthaus "Zur Sonne" bedient, geholfen, gewirkt - war Mädchen für alles und guter Geist im Haus.
Ein Notfall
Wie alles anfing? Daran können sich Waltraud Hauck und Wolfgang Zimmermann sehr gut erinnern. Bei Adelbert Zimmermann herrschte voller Betrieb, eine Bedienung war ausgefallen, weil sie schwanger war. Da musste Sohn Wolfgang vis a vis die Straße rüber und klopfte bei den Haucks an: "Ach Gott, mir bräuchten dringend eine Bedienung, ob die Waltraud nicht kommen könnt'." Die damals 31-Jährige, selber Mutter eines eineinhalbjährigen Kindes, stand oben auf der Treppe im Haus. Sie rief "Ich helf bloß amal aus! Immer mach ich's net!" - "Und aus dem Aushelfen sind jetzt 45 Jahre worn", schmunzelt die 76-Jährige.
Waltraud Hauck wurde über die Jahre zu einem Markenzeichen im Hause Zimmermann. Wolfgang Zimmermann sagte zu ihr: "Du wirst nicht gekündigt, du gehörst zum lebenden Inventar." Und er machte ernst, bis sich jetzt Waltraud Hauck aus eigenen Stücken "abmeldete". Für die Ehrenurkunde für Waltraud Hauck reimte der Chef: "Nimm unseren Respekt entgegen. Solche wie dich, die muss man gut pflegen."
Bons per Rohrpost
Bei Kaffee und Kuchen wurden Erinnerungen wach. An die heißen Stunden beim Kirchweihbetrieb oben im Tanzsaal oder sonntagmittags, als in frühen Jahren 100 bis 120 Mittagessen rausgingen. Die Bedienungen kauften einst 100 Biermarken und nach diesem Wechselsystem wurde ihnen die Ware vergütet, die sie verkauft hatten. Tausende Bon-Heftchen hat Waltraud Hauck wohl vollgeschrieben. Damit der Bon bei Spitzenbetrieb schnell in der Küche landete, hatte man ein Rohrpost-System ausgetüftelt: An einen "Wäschzweck" geklemmt, fiel der Bon durch ein Rohr nach unten. "Manchmal, wenn die es nicht gehört haben, haben wir noch ein paar Zweck hinterhergeworfen", schmunzelt Hauck.
Den eigenen Hausen verkauft
Köstlich auch die Wochenenden und Stammtischabende, wenn die Dörfler unter sich waren. Einer war total stolz auf seine Chinchilla-Hasen. Da zog ihn der andere auf, er habe einen noch viel schöneren Hasen, marschierte "nach Hause", holte aus dem Stall des Züchterfreundes den schönsten Hasen, präsentierte ihn als seinen eigenen und verkaufte dem anderen am Ende gar den eigenen Hasen für 20 Mark.
"Oder die Eifersuchtsdramen!", lacht Waltraud Hauck. Wenn sich die Burschen in der Nacht nach zu viel Alkohol wegen einer Frau in die Wolle bekamen, hieß es schnell reagieren: Der eine jagte den anderen durch die Eingangstüre des Gastraums und durch die hintere Türe wieder hinein. Drinnen schloss man schnell beide Türen und trennte damit die Kampfhähne. Einer drinnen, einer draußen auf dem Flur, bis die sich beruhigt hatten.
Oder, als der Wolfgang dann selbst Chef war, im Herbst krank außer Gefecht. "Da wollten wir selbst ein bisschen Federweißen machen", erzählt Waltraud Hauck von dem, was sie mit Mutter Babet Zimmermann ausgeheckt hatte. Zu früher Stunde erntete Waltraud im Weinberg die Träubel, die die Frauen dann in die Traubenmühle steckten. Aber es kam nichts raus! Die Frauen holten sich Hilfe beim Winzerkollegen Anton Nüßlein. Der stellte fest: Die Trauben waren ja noch gefroren!
Und als in der Familie Hauck die Mutter so alt war, dass sie die Tochter nicht mehr alleine lassen wollte: Da nahm sie sie einfach in die Wirtschaft mit. Die Seniorin erhielt einen Platz nah am Tresen, ein Essen und ein Schöppla. Und am Abend, nach dem Fußballspiel, kam Waltrauds Ehemann und nahm die Oma mit heim. "Da hat sie gut geschlafen. Der Betrieb in der Wirtschaft, das hat ihr gefallen."
In späteren Jahren mit reiferer Kundschaft entstanden Freundschaften zu Gästen, die aus der Region in die Weinberge zum Wandern gekommen waren. "Wir treffen uns bis heute." Waltraud Hauck erlebte den Wandel der Gastronomie mit. Früher wurde üppig mit Kloß und Braten zu Mittag gegessen, abends gab's meist nur eine Brotzeit. Heute rutscht das warme Mittagessen nach einem arbeitsreichen Tag immer mehr in die Abendstunden.
Ein Resümee
Ja, "mir fehlt scho' was", muss Waltraud Hauck jetzt zugeben, wenn sie am Sonntag zuhause ist. Beim Zimmermann lag ihr Lebensmittelpunkt, "mei Gäst', mei Arbeit, mei Essen." Freilich wird's ihr letzten Endes dann doch nicht langweilig. Bei der Gesangsgruppe "Immer lustig" singt sie mit, und zu nähen gibt es daheim für die gelernte Schneiderin auch immer etwas.
Die Lage der Gastronomie im Landkreis Haßberge
Dass eine Servicekraft so lange wie Waltraud Hauck bei einem Betrieb bleibt, das ist heute alles andere als an der Tagesordnung, es ist eine absolute Seltenheit. Die Personallage der Gastronomie im Landkreis Haßberge? "Sehr mager" antwortet der Vorsitzende des Kreisverbands des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands, Michael Bayer (Theinheim).
Fast alle suchen Personal
Von seinen Kollegen im Landkreis weiß er: "Fast alle suchen noch Personal im Servicebereich oder Hilfspersonal in der Küche." Die Krux in der heutigen Gesellschaft ist eben: "Jeder will am Wochenende weggehen, aber keiner möchte am Wochenende arbeiten. Da gehen wir als Gastronomen und auch als Gäste sehr sehr schweren Zeiten entgegen", betont der Fachmann.
Ganz wenige Menschen sind noch bereit, viel am Wochenende zu arbeiten oder zusätzlich zu ihrem Job einen Job zu übernehmen. Zum einen sei der Stellenwert der Freizeit schon sehr hoch, erklärt Bayer: "Lieber verdiene ich weniger, aber ich hab mehr Freizeit", das bewege viele Menschen heute.
Zum anderen kommt aber auch eine gesellschaftliche Veränderung hinzu: Früher gab es die Hausfrauen, die sich am Wochenende etwas dazuverdient haben. Heute haben sehr viele Frauen einen Vollzeitjob. Oder sie suchen eine Vollzeitstelle. Die aber kann die Gastronomie im Landkreis eher weniger anbieten, denn unter der Woche ist zu wenig los, kommen zu wenige Gäste. Es rentiert sich also nicht. Und auf Studenten oder Schüler zurückgreifen, wie in großen Städten, das kann man hier auch nicht.
Bayers bedauerndes Fazit: "Es gibt mittlerweile Kollegen, die am Sonntag schließen, weil sie kein Personal haben."