Eine Reise in die Vergangenheit ist unmöglich? Der Reporter Niklas Schmitt wurde am Rande der Haßberge vom Gegenteil überzeugt: Was er in einem idyllischen Ort entdeckt, versetzt ihn in eine andere Zeit.
Ein Turmknopf ist eine Art Zeitkapsel. Auch Königsberg scheint so etwas wie eine Zeitkapsel zu sein. Wer etwa von oben, das heißt, aus dem nahe gelegenen Wald kommt, der gelangt zunächst auf die Kopfsteinpflasterstraße zum mittelalterlichen Stadtkern. Fachwerk, Efeu und eine Reihe von Bäumen mit üppigen Kronen bestimmen das Stadtbild.
Königsberg scheint nach dem Vorbild idyllischer Postkartenmotive gebaut worden zu sein. Die einen bleiben, weil es so schön ist, die anderen kommen nur deswegen.
Nein, der Philosoph Immanuel Kant war nie da. Er hat jenes andere Königsberg, das im damaligen Preußen liegt und heute Kaliningrad heißt, nie verlassen und es so auch nie nach Königsberg in Bayern geschafft, wie der heutige offizielle Titel der Stadt am Rande der Haßberge lautet. Denn, um genau zu sein, hätte Kant auch nur nach Königsberg in Franken reisen können - der bayerische Zusatz kam erst 1920 hinzu, als auch Coburg zu Bayern kam.
Luther hingegen, der berühmte Reformator, Bauernbekämpfer und Antisemit, war mal da. Trotz der Umbenennung titelt eine 2004 erstellte und in der evangelischen Kirche im idyllischen Herzen der Stadt für wenig Geld zu erwerbende Broschüre "Die Urkunden aus dem Turmknopf der Marienkirche zu Königsberg in Franken."
Aus dem Wald sind auch der Reporter und seine Fotografin gekommen, weil der vermaledeite Pfeil genau dorthin, in das geruchsstarke und geräuscharme Grün geflogen ist. So gingen die beiden also vorbei am Geburtshaus von Regiomontanus - der Name des Mathematikers bedeutet so viel wie "der Königsberger" - zur Linken und dem Haus, in dem der katholische Kriegsherr Tilly aus dem Dreißigjährigen Krieg mal gewohnt hat.
Dokumente aus der Vergangenheit
Wer als Wanderer oder Radfahrer, der sich zur Erholung nicht nur in den Biergarten setzt, sondern auch etwas Abkühlung und Belehrung in der kühlen Kirche sucht, kann mehr über den Inhalt des Turmknopfes erfahren. Dokumente aus den vorangegangen Jahrhunderten wurden dort für die Nachwelt hineingelegt, damit man in Zukunft etwas aus früheren Zeiten erfahren kann. Wer hingegen ein Bier trinken will, sollte zur Herrenschenke gehen und sich am besten in den Biergarten von Anja Beyersdörfer setzen. Denn von da aus hat man einen wunderschönen Blick auf den 2004 renovierten Kirchturm.
"Ich möchte nicht irgendwo anders leben", sagt Anja Beyersdörfer, Betreiberin der Herrenschänke in dritter Generation. Sie war mal drei Jahre am Chiemsee. Sie habe aber nie an eine andere Option gedacht, als das Geschäft ihrer Eltern zu übernehmen. Auch ihre Tochter soll die Herrenschänke einmal übernehmen. So folgen die Generationen aufeinander. Wie lebt es sich in Königsberg? "Man kennt so gut wie jeden", sagt Beyersdörfer, "es ist wie ein kleines Dorf." Das ist sehr gut nachzuvollziehen, auch, weil an einem Montagmittag höchstens Mal ein alter Mann auf einer Bank sitzt und in die Welt schaut. Idylle eben.