Wunderbare Aufnahmen

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Zwei Damen der "besseren Nordhalbener Gesellschaft" aus dem von Otmar und Heidi Adler herausgegebenen Fotoalbum Foto: Johann Köstner, Repro Otmar Adler/Siegfried Scheidig
Zwei Damen der "besseren Nordhalbener Gesellschaft" aus dem von Otmar und Heidi Adler herausgegebenen Fotoalbum Foto: Johann Köstner, Repro Otmar Adler/Siegfried Scheidig

Otmar und Heidi Adler veröffentlichen "Gesichter Nordhalbens" in einem sehenswerten Werk.

270 bestens wiederhergestellte Arbeiten des Nordhalbener Fotografen Johann Köstner aus der Zeit zwischen 1900 und 1930 geben einen einzigartigen Einblick in die Welt des großen Frankenwaldortes zu Beginn des Industriezeitalters. Sie sind nun in Buchform erhältlich, das Werk wird am Donnerstag, 22. März, um 19 Uhr im Künstlerhaus Nordhalben vorgestellt.
Dahinter stehen Otmar und Ehefrau Heidi Adler, die den "fotografischen Schatz" 1978 "gehoben" hatten. Rund 400 belichtete Glasplatten lagen jahrzehntelang unbeachtet und ungeschützt in einer alten Scheune, die einem Neffen des Fotografen gehörte. Beiläufig erfuhr das Ehepaar von diesem zur Entsorgung vorgesehenen Fund und sah sich die "alten Scherben" an, schnell erkennend, was da unter zentimeterdickem Staub verborgen war.
In nächtelanger Arbeit säuberte Heidi die verdreckten und teilweise zusammengeklebten Negative, während Otmar ihre Ergebnisse in seiner Amateur-Dunkelkammer auf Papier kopierte. Zutage kamen wunderbare Aufnahmen, die bisher alle Betrachter in Staunen versetzten. Zum einen über die gelungenen Arbeiten unter freiem Himmel in häuslicher Umgebung oder oft auch am nahen Schlossberg, zum anderen über die vielen Portraits im besten Sonntagsstaat. Dazu aber auch Landschaftsaufnahmen, winterliche Freuden, Feste und einige Alltags- oder Arbeitsszenen aus dem Ort. Etliche Platten waren fehlbelichtet oder beschädigt, aber auch davon haben die Buchautoren Beispiele ausgewählt, um weitgehende Vollständigkeit zu ermöglichen.


Vielfältige Eleganz

1979 konnten die Nordhalbener erstmals ihren Vorfahren in einer kleinen Ausstellung im Rathaus ins Gesicht blicken, als sich der Ort an seine 825-jährige Geschichte erinnerte. Damals gab es noch ältere Herrschaften, die eine ansehnliche Zahl der abgebildeten Personen identifizieren konnten. 2016 fand dann eine erweiterte Ausstellung der Fotos in der Alten Schule statt, die erstmals den prägenden Namen einer anderen historischen Fotoschau anlässlich der 850-Jahrfeier im Gasthof "Weißes Lamm" adaptierte. Mit rund 3300 Besuchern hatte die Veranstaltungen einen unerwartet großen Andrang.
Aber es gab ja einiges zu Bestaunen: Die vielfältige Eleganz vor allem der Damen mit ihren Radhüten, dazu die Noblesse der Herren, die wohl dem "gehobenen Stand" angehörten. Aber auch schon die Schul-, Beicht- und Firmkinder waren herausgeputzt, ganze Familien drapierten sich in freier Natur oder im heimischen Garten. Manchmal dienten einfache Planen als Hintergrund, zumindest aber bei den Originalen sind auch die Hofsträucher, die Scheune oder altes Mauerwerk die gängige Staffage. Im Kontrast dazu Szenerien aus der umgebenden Kulturlandschaft, den Frankenwaldhöhen, Ausflugszielen und markanten Gebäuden. Drescharbeit mit großer Dampfmaschine und vielen gekonnt aufgereihten Menschen im Hof, organisiertes Rodelvergnügen. Während sich der Fotograf bei den Portraits an den üblichen Genrevorlagen orientierte, bewies er auch bei seinen anderen Aufnahmen ein gutes Auge und gestalterische Fähigkeiten. Gleich war jedoch die hervorragende fotografische Qualität der Vergrößerungen, die jedes Detail hervorbrachten. All diese Arbeiten und mehr sind nun im Buch thematisch geordnet.
Soweit bekannt, fanden die gefundenen persönlichen Zuordnungen samt "Hausnamen" Eingang in den Index des Buches, der aber noch viele Lücken aufweist. Da die Zeitzeugen mittlerweile wohl alle gestorben sind, wird die Puzzle-Arbeit sicher noch schwieriger, aber so ist das Buch ein dankbares Feld für Historien-Detektive, die nun in aller Ruhe zu Hause die Bilder analysieren können. Modebegeisterte kommen hier zum Zug, selten wird eine solche Kleider- und Accessoire-Vielfalt innerhalb einer definierten Zeitspanne aus einem Ort zu studieren sein.
Darüber hinaus drücken fast alle Bilder ein offensichtliches Selbstbewusstsein der Dargestellten und ihres Fotografen aus, obwohl die Zeiten damals auch in Nordhalben lange von Armut, Krieg und Krankheiten geprägt war. Waren es nur Stolz und Eitelkeit, die die Bürger zu diesem sicher nicht billigen Vergnügen bewegten? Auch Haustiere kamen mit aufs Bild, selbst ein Schaf ziert die fröhliche Runde. Die Diskrepanz zwischen dem allgemeinen Mangel und den teils opulenten Bildern wäre sicher eine wissenschaftliche Betrachtung wert. nn