Wohnung verzweifelt gesucht

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Die neueste Besucherumfrage im Treffpunkt von "Menschen in Not" zeigt, dass die Obdachlosigkeit in Bamberg Kreise zieht. Sie trifft inzwischen auch Personen mit einem regelmäßigen Einkommen.

Jutta Behr-Groh

"Von hundert bin ich vielleicht der Fünftletzte!" Der Ton, in dem der 37-jährige Markus (Name von der Redaktion geändert) das sagt, drückt den ganzen Frust eines Mannes aus, der seit Jahren nach einer Wohnung sucht. Er ist arbeitslos, obdachlos, vorbestraft; hinzu kommen psychische Probleme, die auch seiner verzweifelten Lage geschuldet sind. Der Bamberger macht sich offenbar keine Illusionen mehr. Ihm sei klar, sagt er, dass er auf dem Bamberger Mietwohnungsmarkt null Chancen habe.
Wir treffen Markus im Besprechungsraum der Wärmestube von "Menschen in Not" in der Siechenstraße 11, wo er zu den Stammgästen zählt. Der frühere Maler steht für einen wachsenden Personenkreis, der im Wettbewerb um erschwinglichen Wohnungsraum das Nachsehen hat. Für Menschen, die wie der 37-Jährige Brüche in ihrer Biografie aufweisen, scheint es in Bamberg keinen Wohnraum mehr zugeben.
Das sei vor zehn Jahren noch anders gewesen, berichtet Peter Klein. Als er 2007 die Leitung des Treffpunkts "Menschen in Not" übernahm, habe es noch einen gewissen Bestand an einfachen Wohnungen gegeben. Manche seien eher Rumpelkammern gewesen, "aber es war was da".


Zahl obdachloser Frauen wächst

Inzwischen hat sich die Lage auch nach den Erfahrungen von Klaus Will dramatisch verschlechtert. Will leitet die Abteilung Soziale Dienste beim Stadtverband der Caritas, der wiederum einer der drei Träger des Treffpunkts "Menschen in Not" ist (siehe Infokasten). In Bamberg, sagt er, seien bei der Wohnungssuche "in der Regel ganz viele in der Warteschlange vor unseren Leuten".
Klein berichtet, dass die Zahl der obdachlosen Frauen zunimmt. Er verweist auf das Ergebnis der Umfrage, die seit einigen Jahren jeweils im November unter den Besuchern der Wärmestube durchgeführt wird. Von 145 Teilnehmern gaben heuer 66 an, dass sie obdachlos sind. Der Anteil von Frauen ohne festen Wohnsitz lag bei 27 Prozent; 2015 betrug er erst 19 Prozent. Für Klein und Will belegen die Zahlen, dass die Wohnungsnot in Bamberg Kreise in Bevölkerungsschichten gezogen hat und zieht, die früher nicht von Obdachlosigkeit betroffen waren.


400 Euro für ein "Loch"

Eine dieser Frauen ist die 52-jährige Evelyn (Name geändert). Sie kommt seit einigen Monaten immer wieder in die Siechenstraße 11. Ihr Zuhause, wenn man es so nennen will, ist zurzeit ein Kellerraum in einer Landkreis-Gemeinde. Glaubt man ihrer Beschreibung, handelt es sich eher um ein dunkles Loch, in dem sie auch tagsüber Licht braucht. Die aus gesundheitlichen Gründen erwerbsunfähige Frau sucht eine Wohnung, die diese Bezeichnung verdient, und die nicht mehr als 408 Euro Miete kostet. So viel steht ihr nach dem Sozialgesetzbuch zu. Für den Kellerraum zahlt sie angeblich 400 Euro Warmmiete.
Markus und Evelyn stehen beispielhaft für die Folgen eines Verdrängungswettbewerbs, den die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) bundesweit in den Städten beobachtet. Nach deren Erhebungen stieg die Zahl der wohnungslosen Menschen in Deutschland von 248 000 im Jahr 2010 auf zuletzt 335 000. Das geht aus einer Antwort hervor, die die Bundesregierung auf Anfrage der Linken gab. Die BAG W spricht gar von einer "historischen Krise" und rechnet damit, dass die Obdachlosigkeit ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat.
In der Weltkulturerbe-Stadt hat die wachsende Obdachlosigkeit nach dem Dafürhalten von Caritas-Mann Will mehrere Gründe: Es gebe zu wenige Sozialwohnungen, viele Mietswohnungen seien in den vergangenen Jahren in Ferienappartements umgewandelt worden, und Vermieter würden heute im Zweifelsfall lieber eine Wohnung leer stehen lassen als sich Mieter ins Haus zu holen, die eine problematische Biografie vorweisen.
Das Leben auf der Straße macht viele körperlich und seelisch krank. Markus kann ein Lied davon singen. Er war mehrfach in der Psychiatrie, weil er vor Verzweiflung über seine Situation zum Alkoholiker geworden war. Seit es so kalt ist, schläft er notgedrungen in der städtischen Unterkunft an der Theresienstraße. Er muss sich ein Zimmer mit einem anderen Mann teilen.


Nachtlager überall

Vorher hat er nach eigenen Angaben mal auf der Straße, mal im Waschsalon, bei einem Freund, im Bahnhof oder unter Brücken geschlafen. Er erzählt von einem Kumpel, der trotz der eisigen Temperaturen noch in einer Baustelle nächtigt, die gerade eingestellt sein soll. Er liege dort auf Rigipsplatten. Markus schläft immerhin auf einer Matratze, die ihm ein Bekannter zur Verfügung gestellt hat. Wie hoch der staatliche Mietkostenzuschuss in seinem Fall wäre, weiß der 37-Jährige gar nicht genau. Er scheint nicht mehr dran zu glauben, dass er je zum Zug kommt.
Anders die 52-jährige Evelyn. Sie hat die Hoffnung auf eine Wohnung noch nicht aufgegeben. Am liebsten käme sie auf einem Bauernhof unter, damit sie ihren Hund und ihre beiden Pferde mitnehmen kann. Sich von den Tieren zu trennen, kommt für die geschiedene Frau nicht in Frage: Ein Hund, sagt sie, sei treuer als jeder Mensch. Und dem therapeutischen Reiten und somit den Pferden habe sie es zu verdanken, dass sie keinen Rollstuhl mehr braucht. Die Behörden wissen nicht, dass sie Pferde besitzt. Dieser Luxus wird Menschen in ihrer Lage nicht zugestanden.
Bei "Menschen in Not" fühlen sich Markus und Evelyn verstanden und aufgehoben; man urteilt nicht über sie, sondern hilft. Außerdem haben sie dort Gesellschaft. Die Tierfreundin würde auch gern zur Weihnachtsfeier am 24. Dezember kommen, sieht aber keine Möglichkeit. Am Wochenende, sagt sie, gebe es von ihr aus keine Busverbindung nach Bamberg.