Pfarrer Johannes Grandinger war vor über 100 Jahren die liberalkatholische Sensationsfigur, bayerischer Landtagsabgeordneter - und Pfarrer in Nordhalben. Im Zuge eines Erwachsenenbildungsabends der KA...
Pfarrer Johannes Grandinger war vor über 100 Jahren die liberalkatholische Sensationsfigur, bayerischer Landtagsabgeordneter - und Pfarrer in Nordhalben. Im Zuge eines Erwachsenenbildungsabends der KAB referierte der Buchautor Elmar Kerner über den "Weißen Raben" in seiner ehemaligen Wirkungsgemeinde.
Grandingers wurde 1869 in Nürnberg geboren und erwies sich bereits als Kaplan an verschiedenen Orten als rhetorisch wie journalistisch brillanter Kleriker. 1893 rief er mit dem "St. Heinrichsblatt" eine katholische Wochenschrift ins Leben und etablierte sie trotz großer Anfeindungen. Nach 13 Jahren als "Bergpfarrer" in der Fränkischen Schweiz bewarb er sich im Jahr 1900 um die in Nordhalben frei gewordene Stelle. Damals hatte Nordhalben 1700 Katholiken und ein sehr reges Vereinsleben. Aber Pfarrer Grandinger stieß auch gleich zu Beginn auf zahlreiche Missstände. Das Fronleichnamsfest, das in Nordhalben an zwei Tagen mit drei Prozessionen begangen wurde, war der festliche Höhepunkt des ganzen Jahres. Katholiken, aber auch neugierige Protestanten aus den Nachbarortschaften bevölkerten die geschmückten Straßen. Die zahlreichen Ortsvereine spielten bei dem Fest eine zentrale Rolle. Fronleichnam wurde in Nordhalben zu dieser Zeit wie eine Fahnenweihe gefeiert: Während der Prozession wurden Melodien wie "Mein Herz, das ist ein Bienenhaus" oder Polonaisen im Ala-Breve-Takt gegrölt. An den Altären "schifften" die Herren Vereinsmitglieder ungeniert das schon früh genossene Bier hinter die nahegelegenen Häuser und Hofraithen. Grandinger berichtete dem erzbischöflichen Ordinariat von den Missständen, welches daraufhin die Unsitten verbot.
Dem Pfarrer von Nordhalben ging es nicht allein um einen ordentlichen und würdigen Ablauf von Kirchenfeiern. Als Seelsorger stand für ihn das Wohl der Menschen im Vordergrund. Dieser Wesenszug ist vermutlich auch der entscheidende Beweggrund gewesen, sich sozial zu engagieren und in die Politik zu gehen.
Zigarren und Spitzen
Zunächst sah er die Not der Menschen im Frankenwald und übernahm kurz nach seinem Amtsantritt den Vorsitz des "Arbeiter-Beschäftigungs-Komitees". Er war bemüht Firmen anzusiedeln und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Zigarrenmacherei konnte aufgrund einer von ihm verfassten Resolution um höhere Tabaksteuern erhalten werden. Auch für Frauen sah der Vordenker Grandinger mit der Einführung der Spitzenklöppelei eine Möglichkeit des Broterwerbs. Wenig später wurde die bis vor wenigen Monaten noch existierende Klöppelschule als Fachschule anerkannt.
Im Jahr 1907 wurde, wenige Monate vor der Landtagswahl, in Nordhalben eine "Liberale Vereinigung Nordhalben und Umgebung" ins Leben gerufen. Bei der Nominierungsversammlung schlugen die Nordhalbener ihren Pfarrer für den neu gegründeten Wahlkreis Naila vor. Grandinger war aber bei der Versammlung nicht anwesend, so dass man an diesem Abend nicht mehr abstimmte.
Alleine seine Bereitschaft sich für die Liberalen als Kandidat zur Verfügung zu stellen, löste im katholischen Lager einen Schrei der Empörung aus. Sein von ihn mitbegründetes "St. Heinrichsblatt" schrieb als sensationelle Neuigkeit: "Ein katholischer Pfarrer als liberaler Landtagskandidat". Bei aller Abneigung gegen Pfarrer Grandinger musste allerdings selbst das "St. Heinrichsblatt" anerkennen, dass sich der "Heilige von Nordhalben", wie es Grandinger spöttelnd bezeichnete, große Verdienste, insbesondere durch die Förderung des Gewerbes erworben hatte.
Wahlwerbung mit reichlich Bier
Nach großen Auseinandersetzungen und dem zwischenzeitlich angekündigten Verzicht Grandingers auf eine Kandidatur wurde er aber rund vier Wochen später in Naila einstimmig nominiert. Zum ersten Mal kandidierte im Deutschen Reich ein katholischer Geistlicher für die Liberalen. Grandinger setzte sich bei der Wahl gegen zwei weitere Kandidaten durch. In Nordhalben kam er auf 96,7 Prozent der Stimmen, insgesamt erreichte er 59,2 Prozent. Wie Elmar Kerner deutlich ausführte, sei die Wahlpropaganda in Nordhalben bei reichlich Bier sehr effizient und mit eher unkonventionellen Mitteln durchgeführt worden. Pfarrer Grandinger hat sich nach der Wahl an die Vorgaben seines Bischofs gehalten und trat nicht der Liberalen Fraktion bei, sondern er war der einzige von 163 Abgeordneten, der keiner Fraktion angehörte.