CHW-Vortrag Gerhard Schmidt berichtete über seine Lichtenfelser Erinnerungen als angehender "Pimpf".
von unserem Mitarbeiter Alfred Thieret
Lichtenfels — Während es üblicherweise dem langjährigen CHW-Bezirksgruppenleiter Gerhard Schmidt vorbehalten ist, die von ihm im Rahmen des CHW-Programms ausgewählten Referenten vorzustellen, freute sich die Stadtarchivarin Christine Wittenbauer, dass sie diesmal den Bezirksgruppenleiter selbst zu einem Vortrag in der voll besetzten ehemaligen Synagoge begrüßen durfte. Auch wenn der 1935 geborene Autor der "Schmunzlgschichdla" mit seinen Kindheitserinnerungen aus der Kriegszeit über ein ernstes Thema sprach, so beinhaltete sein Vortrag aus der Sichtweise eines vier- bis zehnjährigen Jungen neben der Schilderung kriegsbedingter schlimmer Ereignisse viele Begebenheiten zum Schmunzeln.
Von Äußerlichkeiten beeindruckt
Als ehemaliger Geschichtslehrer habe er es immer als Verpflichtung empfunden, seine Schüler und
seine eigenen Kinder an seinen Kriegserfahrungen teilhaben zu lassen, um den jungen Menschen klarzumachen, wie furchtbar gerade dieser Zweite Weltkrieg gewesen sei und wie glücklich wir über den seither andauernden Frieden sein dürfen, betonte Gerhard Schmidt. Schon im Jahr seiner Geburt hätten die NS-Machthaber Staat und Volk bereits fest im Griff gehabt. Als Kind lasse man sich aber doch oft von Äußerlichkeiten beeindrucken.
"So fand ich es sehr spektakulär, wenn die uniformierte Hitlerjugend mit Trommeln und Pfeifen an unserem Haus vorbeizog. Aber mein Wunsch als Pimpf, bei deren sportlichen Wettkämpfen und Lagern mitmachen zu dürfen, erfüllte sich nicht mehr, denn als ich als Zehnjähriger 1945 hätte beitreten dürfen oder müssen, war der unselige Krieg und damit der ganze fürchterliche NS-Spuk vorbei", erläuterte Schmidt.
Mitleid habe er aber mit einem halbjüdischen Jungen empfunden, der von Mitgliedern der Hitlerjugend mit Steinwürfen und Schmähungen von der Schule nach Hause getrieben wurde. Er erinnerte sich auch genau an die beiden Frauen aus Bad Bergzabern, die 1939 für einige Monate im Haus seiner Eltern einquartiert waren, weil die pfälzische Stadt als potenzielles Kampfgebiet damals geräumt werden musste. Aus dieser Evakuierung eines Teils der Bevölkerung von Bergzabern nach Lichtenfels sei die Patenschaft mit der pfälzischen Stadt entstanden.
"Wüstenfuchs" Rommel Vorbild
In lebhafter Erinnerung blieben ihm auch die Sondermeldungen, mit denen das Radioprogramm unterbrochen wurde, um von erneuten Siegen der "heldenhaften deutschen Wehrmacht" zu künden. Als Erkennungsmelodie sei dabei das Hauptthema aus Franz Liszts sinfonischer Dichtung "Les Préludes" erklungen.
"Seien wir froh, dass es beim Präludium blieb und uns all das ,Glorreiche', das auf einen siegreichen Eroberungsfeldzug folgen sollte, erspart geblieben ist", meinte der Referent. Als kleine Buben habe man sich von den gemeldeten "Großtaten" beeindrucken lassen. "Wir wollten tapfer sein wie der Jagdflieger Mölders und der U-Boot-Kommandant Prien oder schlau wie der ,Wüstenfuchs' Rommel", bemerkte Schmidt. In einer derart kriegerischen Atmosphäre habe es nahegelegen, untereinander "Soldateles" zu spielen. Dies sei so weit gegangen, dass sich die Jugendlichen der einzelnen Stadtteile zu regelrechten Straßenkämpfen gegeneinander aufmachten. Die "Städter", zu denen Schmidt gehörte, hätten aber meist gegen die draufgängerischeren "Ängerer", "Siedler" und "Berger" den Kürzeren gezogen.
Bei der Einschulung 1941 seien die Schüler von dem damaligen, mit Parteiabzeichen dekorierten Rektor zackig mit "Heil Hitler" begrüßt worden. Vom Lehrer um einen Liedbeitrag gebeten, habe Schmidt das "Engeland-Lied" gesungen, das schließlich als Kampflied ununterbrochen aus den Volksempfängern dröhnte. Unangenehme Erinnerungen verbanden ihn auch mit der Lehrerin Distler, bei der als regelmäßige Lern- und Erziehungshilfe der Rohrstock zum Einsatz kam. Trotz allem hätten die Kinder die ersten Kriegsjahre noch überwiegend unbehelligt von den kriegerischen Zeitläufen mit verschiedenen Spielen wie "Schneggerigeggs", Rollschuh- und Schlittschuhlaufen oder "Versteckeles" verbringen können.
Der Bauhof der Großmutter Och galt dabei als riesiger Abenteuerspielplatz.
Eine beständige Gefahr für die Eisenbahnerstadt Lichtenfels hätten gegen Kriegsende auch die Tieffliegerangriffe auf Güterzüge dargestellt. Wenn die Sirenen Fliegeralarm meldeten, sei man in den ganz in der Nähe befindlichen Luftschutzkeller geflüchtet. Schmidt berichtete auch von der Plünderung solcher Züge durch die Not leidende Bevölkerung, die mit Handwagen und Schubkarren die gestohlenen Waren abtransportiert hätten. Als Ministrant sei ihm zudem aufgefallen, dass sich in der Pfarrkirche an den Stellwänden immer mehr kleine, schwarz umrandete Zettel mit den Namen von Gefallenen häuften, dass immer mehr schwarz gekleidete, weinende Frauen in den Bänken knieten.
Auch sein Onkel Willi, der ihm bei seinem letzten Heimaturlaub noch ein hölzernes Spielzeugauto gebastelt hatte, sei bei der letzten Ardennenoffensive am 9.
November 1944 gefallen. Noch heute sehe er im Geiste seine klagende Großmutter vor sich, wie sie das Bild ihres geliebten Sohnes an die Brust drückt und immer wieder laut seinen Namen ruft.
Als schließlich die Amerikaner in die Stadt eingezogen waren, habe er wie alle Kinder bei den Soldaten um Biskuits, Kaugummi und Schokolade gebettelt. Schließlich habe man sich an den Gewohnheiten der Amerikaner orientiert und "Amiles" gespielt. Dieser Wandel von "Soldateles" zu "Amiles" verdeutliche, dass auch kindliches Leben und Spiel wieder friedlichere Züge angenommen hatte, stellte der Referent fest. "Was wir als Zehnjährige sicher noch nicht begreifen konnten, ist die spätere rationale Einsicht gewesen, dass die Befreiung vom Nationalsozialismus das vorrangige Kriegserlebnis war, auf dem sich erst wahrer und dauerhafter Frieden gründen konnte."