Westliche Werte vermitteln

3 Min
Natalia Weiche gibt seit eineinhalb Jahren Deutsch-Förderkurse für Flüchtlingskinder an der Mainleuser Schule. Foto: Jürgen Gärtner
Natalia Weiche gibt seit eineinhalb Jahren Deutsch-Förderkurse für Flüchtlingskinder an der Mainleuser Schule. Foto: Jürgen Gärtner

Natalia Weiche bringt seit eineinhalb Jahre an der Mainleuser Grund- und Mittelschule den Flüchtlingskindern Deutsch bei. Anfangs kein leichtes Unterfangen.

Natalia Weiche kennt die Probleme der Flüchtlingskinder aus eigener Erfahrung - neu zu sein in einem fremden Land. Denn die 33-Jährige ist Russin und kam 2005 nach Deutschland. Ein bisschen anders waren bei ihr die Voraussetzungen aber doch: In ihrer Heimat herrschte kein Bürgerkrieg und sie hatte die Möglichkeit, fünf Jahre Deutsch und Englisch zu studieren, war also der deutschen Sprache mächtig. Nach einem Jahr als Au-pair-Mädchen in Deutschland absolvierte sie an der Universität in Bayreuth den Masterstudiengang "Deutsch als Fremdsprache", den sie 2011 mit der Note 1,7 abschloss. Im September 2015 erhielt sie vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Zulassung zur Lehrtätigkeit in Integrationskursen. Seit 2012 ist sie als Erzieherin an der Mainleuser Schule tätig, die vergangenen eineinhalb Jahre ist sie zudem für die Deutsch-Förderung der Flüchtlingskinder verantwortlich. Zum Schuljahresende haben wir mit ihr gesprochen.

Was sind Ihre Erfahrungen nach dieser Zeit?
Natalia Weiche: Die ersten Flüchtlinge sind im April 2015 in die Schule gekommen. Das waren zehn Jungen und Mädchen zwischen 6 und 16 Jahren mit unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichen Muttersprachen. Man musste erst mal herausfinden, ob sie lesen und schreiben können, ob sie überhaupt schon einmal eine Schule besucht haben. Das erste Ziel war, einen Basis-Wortschatz zu vermitteln, dass sie grundsätzliche Sachen verstehen, zum Beispiel aus den Bereichen Essen und Schule. Ich habe viel mit Bildern gearbeitet und mit einfachen Sätzen, die die Kinder leicht verstehen können. Für viele ist unsere Schrift auch eine motorische Umstellung, weil im Gegensatz zu uns in arabischen Ländern von rechts nach links geschrieben wird.

Es heißt ja oft, dass sich junge Männer aus dem arabischen Raum nichts von Frauen sagen lassen wollen.
Am Anfang habe ich gekämpft und ihnen gezeigt, so geht es nicht. Unter anderem musste ich ihnen beibringen, dass in meinem Unterricht nur deutsch gesprochen wird und keine andere Sprache. Einige waren nicht gewohnt, still zu sitzen. Am Anfang war es ziemlich chaotisch, inzwischen gibt es keine Probleme mehr.

Zu Ihren Aufgaben gehört sicher auch die Vermittlung westlicher Werte.
Natürlich vermittele ich kulturelle Werte. Das beginnt schon bei den Regeln in der Schule, die einzuhalten sind. Ich erkläre, wie man sich benehmen muss. Anders als bei Erwachsenen-Sprachkursen sind die Kinder nach der Deutsch-Stunde dann ja weiter mit den anderen Jungen und Mädchen zusammen, von denen sie schnell aufgenommen wurden. Das gibt ihnen das Gefühl, dass sie hier keine Fremden sind, sondern dass hier ihre neue Heimat ist.

Wie haben die Kinder nach den Attentaten der vergangenen Tage reagiert?
Ich denke, sie schämen sich dafür und haben Bedenken, dass das Vorurteile schürt. Am Montag hat ein Junge gesagt, solche Anschläge habe sie zu Hause erlebt, und jetzt passiert das hier auch. Die Jungen und Mädchen sind empört, dass Deutschland nun ebenfalls unsicher ist, sie wollten schließlich in ein sicheres Land flüchten. Die Kinder schimpfen über Kriege, erzählen von Schicksalen aus ihrer Heimat, wo alles zerstört ist. Sie haben aber eigentlich keine Angst vor Anschlägen, sondern machen sich eher Sorgen, was passiert, wenn sie abgeschoben werden. Sie fragen sich, ob ihr Haus in ihrem Herkunftsland überhaupt noch steht. Natürlich haben sie bei einer drohenden Abschiebung keine Motivation mehr, Deutsch zu lernen.

Wenn man auf das Elternhaus mancher ausländischer Familien blickt, muss man feststellen, dass die Erwachsenen oft nach Jahren oder gar Jahrzehnten kaum Deutsch können.
Wenn man mit 40 oder 50 Jahren in ein fremdes Land kommt, dann kann ich verstehen, dass man erst mal unter sich bleibt. Aber nach einer gewissen Zeit sollten die Leute Kontakt zu den Einheimischen suchen. Nach meiner Erfahrung geht das gut über die Vereine, das ist die beste Integration. Ob sich jemand integriert, kommt auf den Einzelnen an.

Ihr Lebenslauf ist ein echter Vorteil für Ihre Aufgabe.
Ich kann mich gut in die Kinder hineinversetzen, weil ich selbst vor elf Jahren von Russland nach Deutschland gekommen bin. Das war für mich damals ein fremdes Land, ein anderes System. Aber wenn die Kinder manchmal das Lernen der Sprache als schwierig empfinden, sehen sie an meinem Beispiel, dass ich ebenfalls nicht aus Deutschland bin und auch die Sprache gelernt habe.

Das Gespräch führte
Jürgen Gärtner