Warum es keine Hamsterkäufe gibt

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Ein Bild aus der Zeit des ersten Lockdowns: leere Klopapier-Regale im März. Derlei Hamsterkäufe gibt es bei dem aktuellen Lockdown nicht. Foto: Jan Woitas, dpa
Ein Bild aus der Zeit des ersten Lockdowns: leere Klopapier-Regale im März. Derlei Hamsterkäufe gibt es bei dem aktuellen Lockdown nicht. Foto: Jan Woitas, dpa
 

Keine Frage, die Corona-Pandemie schlägt auf die Psyche. Der Hammelburger Experte Ulrich F. Schübel erklärt, wie sich das beim Einkaufen und im Betrieb zeigt.

Klopapier und leere Regale sind während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 zum Sinnbild für Angst und Verunsicherung vieler Menschen geworden. Die Hamsterkäufe von damals gibt es diesmal nicht. Aus gutem Grund, sagt der Wirtschaftspsychologe Ulrich F. Schübel aus Hammelburg (Lkr. Bad Kissingen): Der zweite Lockdown sei ein Stück weit Normalität geworden. Der 53-Jährige ist seit 2012 im Vorstand des Berufsverbandes deutscher Psychologinnen und Psychologen in der Sektion Wirtschaftspsychologie. Schübel führt das Institut für Veränderungsmanagement, Unternehmensentwicklung, Training (IVUT) mit Sitz in Hammelburg und Kaiserslautern. Und er berät Unternehmen zu Themen wie psychische Belastung von Mitarbeitern, Gesundheit im Betrieb, Personalmanagement sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Frage: Herr Schübel, warum hat es beim zweiten Lockdown im Gegensatz zum ersten keine Hamsterkäufe gegeben?

Ulrich F. Schübel: So, wie der erste Lockdown gelaufen ist, haben viele Menschen gemerkt, dass zum Teil irrationale Befürchtungen - es geht das Klopapier aus, es fehlt das Mehl - so nicht wahr geworden sind. Der Lockdown wird ein Stück weit Normalität. Das Schockerleben von damals hat nach meiner Einschätzung abgenommen. Vielleicht sind aber auch die Vorräte an Klopapier noch nicht aufgebraucht (lacht).

Werden die Verbraucher ruhig bleiben? Schließlich bessert sich die Corona-Lage nicht, die Regeln werden verschärft, die Angst vor der Mutation des Virus greift um sich.

Im Moment werden kontinuierlich Signale gesetzt, dass die Stationen, an denen man seine Grundbedürfnisse unter weiter verschärften Rahmenbedingungen decken kann, offen gehalten werden. Insofern ist das erst einmal eine beruhigende Botschaft. Sobald da irgendwo das Gefühl auftritt, dass auch hier ein kompletter Lockdown stattfinden wird, kann ich mir vorstellen, dass wir eine Wiederholung der Hamsterkäufe erleben werden. Ich rechne aber erst mal nicht damit.

Wie werden wir nach Corona einkaufen?

Das hat stark damit zu tun, welche Gewohnheiten sich jetzt in dieser Corona-Phase bilden. Denn Menschen werden sehr stark von Gewohnheiten gesteuert. Zurzeit sind wir gezwungen, anders einzukaufen. Also statt wie sonst jeden zweiten Tag in den Supermarkt zu gehen, jetzt vielleicht nur einmal in der Woche. Oder, was ja jetzt stark zu beobachten ist, auf Online-Einkäufe überzugehen. Es haben sich also neue Gewohnheiten etabliert. Je länger der Lockdown anhält, desto mehr wird sich das stabilisieren. Wenn sich die Rahmenbedingungen wieder ändern, geht man nicht automatisch zum alten Einkaufsverhalten zurück.

In den vergangenen Wochen war viel von regionalem Einkaufen die Rede. Was wird davon nach Corona bleiben?

Es wird an der einen oder anderen Stelle wieder deutlich werden, wie wichtig regionale Strukturen sind. Das heißt, die vielen Aufrufe zum regionalen Einkauf, die es auch in Mainfranken gibt, werden mit Sicherheit ein Bewusstsein dafür schaffen. Zusammen mit dem Trend der Nachhaltigkeit kann das dem örtlichen Einzelhandel mit kleineren Händlern Schwung geben. Wobei natürlich die Frage bleibt, wie viele von ihnen durch diese schwierige Zeit kommen.

Gutes Stichwort: Gerade viele dieser kleinen Geschäfte stehen vor dem Aus. Die Selbstständigen sind in Existenznot, also in einer Extremsituation. Was macht Corona langfristig mit der Psyche der Kleinunternehmer?

Es gibt da eine ganz große Bandbreite von Emotionen. Es gibt Menschen, die primär geprägt sind von einem Streben nach positiven Ergebnissen. Und es gibt Menschen, die stärker geprägt sind vom Vermeiden des Negativen. Es geht also darum, ob ich motiviert bin, weil ich etwas Tolles erreichen oder weil ich etwas Schlimmes vermeiden will. Davon hängt ab, inwieweit Menschen auch in dieser aktuellen Situation Chancen sehen können. Wenn man auf Menschen mit einer hohen Belastung schaut, dann ist bei denjenigen, die nach positiven Ergebnissen streben, die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das eher zu höherer Anstrengung und damit einer Leistungssteigerung führt. Sie fühlen sich herausgefordert von ihrer Situation und überlegen sich, wie sie ihr Leistungsangebot anpassen können. Sie stellen sich also auf die Hinterbeine, richten Onlineshops ein ...

Ist das die Mehrheit?

Das kann ich nicht einschätzen. Ich vermute aber, dass die Massivität, mit der die Corona-Pandemie viele getroffen hat, sich hier und da stark in psychischen Erkrankungen niederschlagen wird. Diese Menschen leiden aktuell sehr stark unter Anspannung, empfinden Bedrohung und schauen natürlich ängstlich in die Zukunft. Bei ihnen ist dann irgendwann der Punkt erreicht, wo sie keine Energie mehr dafür haben, sich immer wieder auf die Hinterbeine zu stellen.

Es gibt auch viele Beschäftigte, die momentan Angst um ihren Job haben. Entsteht da gerade in der Bevölkerung eine große Blase der Angst?

Der Berufsverband deutscher Psychologinnen und Psychologen hatte Mitte des Jahres eine kostenlose Corona-Von Jack Ma, Gründer und CEO der chinesischen Alibaba Group, fehlt seit Ende Oktober jede Spur.

Hotline eingerichtet. Sie stand allen Ratsuchenden offen, die unter psychischer Belastung wegen Corona litten. Wir haben unglaublich viele Anrufe erhalten, in denen zum Teil drastische Einschränkungen der psychischen Gesundheit thematisiert wurden. Dabei ging es um ganz viele Ängste, um Depressivität. Zusammenfassend haben wir festgestellt, dass die Corona-Pandemie bei ganz, ganz vielen Menschen negativ auf die Psyche wirkt und als Bedrohung wahrgenommen wird, deren Auswirkungen wir aktuell noch nicht einschätzen können.

Das Gespräch führte

Jürgen Haug-Peichl