In der Lichtenfelser Martin-Luther-Kirche erklang erstmals die Matthäuspassion in der Uppsala-Version.
Es ist Sonntag, später Nachmittag. Strahlendes Sonnenwetter draußen, feierliche Stimmung drinnen. Die evangelische Martin-Luther-Kirche, 1903 erbaut, ist ein wunderbarer Rahmen für dieses Novum, die Aufführung der Matthäuspassion, genannt Uppsala-Passion (nach dem Ort, an dem das überlieferte Manuskript aufbewahrt wird).
Wer die Musik geschrieben hat, ist nicht bekannt. Das Skript ist wahrscheinlich von Gustav Düben, einem norddeutschem Musiker (1624 bis 1690), der damit aber offensichtlich eine Kopie vorhandenen Materials hergestellt hat.
Schwarz gekleidet betritt der Lorenz-Bach-Chor der evangelischen Kirchengemeinde das Kirchenschiff und die Musiker des Martinus Consort, bestehend aus Hélène Godefroy, Ewa Staszewska, Bigitte Tönges an den Gamben und Johannes Keltsch am Violoncello, spielen sich ein. "Mit Spannung haben wir diese Uraufführung erwartet", so die Pfarrerin Anne Salzbrenner.
Das Eingangslied, gespielt auf den historischen Gamben und dem Cello, ist zwar traurig, aber gleichzeitig hoffnungsvoll und einstimmend auf den bevorstehenden Leidensweg Christi. Erst dann stellt sich der Chor auf. Das erzeugt Spannung. Die Kompositionen und die Vertonung der "Historia vom Leiden und Sterben unseres lieben Herrn Jesus" haben trotz aller Eindringlichkeit etwas Minimalistisches. Die Uppsala-Passion ist anders geartet als andere Passionen, wobei der Bibeltext ganz im Zentrum des Geschehens steht. Er wird oft in Rezitativen dargeboten (Gesänge, dem Sprechen angenähert). Beim Chor wechseln sich dunkle Klangfarben und langsamere Tempi, wodurch ein Gefühl der Verlorenheit entstehen soll, mit schnellen Staccati. Klar und deutlich im Erzählstil ist die Stimme des Evangelisten (Tenor Stefan Romankiewicz). Besonnen, sanft und doch kraftvoll im Gegensatz dazu die Bassstimme von Jesus (Andreas Thiel). "Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach", besingt er das menschliche Verständnis für seine Jünger. Das Sterben am Kreuz geschieht in aller Stille. "Vater, mein Vater, warum hast du mich verlassen?" fehlt vollkommen. Ein stiller Jesus, ein leidender, ein bedächtiger. Kein Aufschreien. Kein Jammern. Im Moment des Todes Jesu herrscht eine lange Stille, beim Chor, beim Orchester, bei den Zuhörern.
Jesu Umfeld im Vordergrund
Im Vordergrund steht das Umfeld von Jesus. Die Jünger. Das Volk. Die Pharisäer. Pontius Pilatus. Dessen "Weib" und die Magd in hohem Sopran als Solo gesungen von Chormitglied Manuela Körner. Personen, die in anderen Passionsoratorien unbeleuchtet blieben. Eindrucksvoll auch der tiefe Bass und der Singstil von Hubert Gerlich, der sowohl den Judas, den Petrus, Pilatus und Kaiphas intoniert. All diese Rollen spiegeln wider, durch welch folgenschwere Verstrickungen, Voreingenommenheiten, Falschinformationen, Fehleinschätzungen sich ein falsches Urteil bildete. Die unglückselige Rolle des Judas wird immer wieder aufgegriffen. Man versteht langsam, dass er kein schlechter, aber ein schwacher Mensch war. Der Schwerpunkt liegt auch nicht auf dem eigentlichen Leiden, sondern, welch furchtbare Auswirkungen Verrat, Denunziation, Verleumdung, Pöbelei (im wörtlichen Sinne: unbedachte, gesteuerte, unreflektierte Worte des Volkes (Pöbels), haben kann. Der Chor (= das Volk) interpretiert und gibt dies in eindrucksvoller Weise wieder. Das Consort spielt immer wieder eine Sinfonia, ein kleines Instrumentalstück, eine Art musikalische Skizze, die aber vortrefflich zur Stimmung der Komposition beiträgt. Vor allem in der Ölbergszene vor dem Verrat durch Judas. Und Andreas Thiel als Jesus besingt das Bedrückende im Moment des Verrats, dem er selbst zeitweilig erliegt, mit den Worten: "Siehe, die Stund' ist hier, siehe er ist da, der mich verrät."
Das Werk insgesamt misst auch dem Thema Auferstehung besondere Bedeutung zu, indem es das Hadern der Jünger nach Jesu Tod und die Angst der Pharisäer vor der "Auferstehung des Verführers" eingehend beschreibt.
Die Solisten verzichten auf übertriebene Effekte. Dass der Text und dessen Verständlichkeit im Vordergrund der Komposition stehen sollen, beherzigen sie in großartiger Weise. Herausragend auch die Leistung des Musikdirektors Klaus Borman, der die Truhenorgel spielt und gleichzeitig als Dirigent fungiert. Kaum vorstellbar, dass die Künstler kurz vorher die erste gemeinsame Generalprobe hatten. Das Publikum würdigt dies durch stehenden Applaus.