Prozess Vernachlässigung, Machtspiele, Schläge - und schließlich sexuelle Übergriffe: Im Prozess gegen einen 35-Jährigen, der im Kreis Haßberge seine Stieftochter missbraucht haben soll, kamen hässliche Details ans Licht.
von unserem Mitarbeiter Philipp Demling
Bamberg/Kreis Haßberge — Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes in Haßfurt beschreibt das Verhältnis der heute 14-jährigen Chiara S. (Namen der Beteiligten geändert) zu ihrem Stiefvater im Nachhinein so: "Es war ein Paradebeispiel für die Anbahnung eines sexuellen Missbrauchs." Die 54-Jährige betreut die Familie schon seit dem Jahr 2010 - noch bevor Ronny S. Chiaras Mutter kennenlernte.
Was die Mitarbeiterin des Jugendamtes meint: Als der neue Freund und spätere Mann der Mutter Mitte 2011 bei ihnen einzog, war die damals zehnjährige Chiara zunächst begeistert, endlich eine männliche Bezugsperson zu haben. Ihr leiblicher Vater hatte sich nämlich kurz nach ihrer Geburt von der Mutter getrennt, der Kontakt brach ab.
Zu ihrem Stiefvater Ronny S. habe Chiara zunächst in atemberaubender Geschwindigkeit ein enges Verhältnis aufgebaut.
Sie habe seine Zuwendung "aufgesogen wie ein Schwamm", berichtet die Mitarbeiterin des Jugendamtes vor der Großen Jugendkammer des Landgerichts Bamberg. "Sie ist sehr unsicher, sensibel, leicht zu beeinflussen und zu manipulieren", erklärt sie. Außerdem sei sie immer enttäuscht gewesen, dass ihre Mutter ihr so wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe.
Erziehung mit Druck und Schlägen Irgendwann habe Ronny S. dann aber eine härtere Gangart gegenüber der Stieftochter eingeschlagen: Laut der Beamtin, die die Familie betreute, glaubte er, sie mit Druck erziehen zu müssen. Auch über Schläge und andere Erniedrigungen klagte Chiara immer wieder.
Weil das Mädchen - laut mehreren Zeugenaussagen - nicht altersgemäß entwickelt war und wenig Selbstvertrauen hatte, konnte sie sich gegen seinen autoritären Erziehungsstil nicht wehren.
Auch erzählte Chiara der Beamtin, dass sie des Öfteren mit dem Stiefvater zusammen baden musste - angeblich, um Nebenkosten zu sparen. Von sexuellen Übergriffen durch Ronny S. berichtete das Mädchen dem Jugendamt damals aber noch nichts. "Wir müssen uns ja immer auf Aussagen der betroffenen Kinder oder Jugendlichen verlassen", meint die 54-jährige Mitarbeiterin der Behörde.
Allerdings machte Chiara in mehreren Gesprächen deutlich, dass sie die Familie verlassen wolle.
Auch von ihrer damaligen Schule hatte das Jugendamt im Januar 2014 eine "Gefährdungsmeldung" erhalten: Die zu diesem Zeitpunkt knapp 13-Jährige komme oft sehr ungepflegt in die Schule, rieche nach Haustieren, habe kein Essen dabei.
Im Februar nahm das Jugendamt das Mädchen dann in Obhut und brachte sie in eine Pflegefamilie. Ein halbes Jahr später erzählte Chiara ihrer Pflegemutter von den sexuellen Übergriffen ihres Stiefvaters. Seit November sitzt dieser in U-Haft.
Der Angeklagte schweigt Das Gericht verzichtet auf Anraten eines Kinder- und Jugendpsychiaters darauf, das Mädchen als Zeugin zu vernehmen. Es wäre zu belastend für die mittlerweile 14-Jährige. Stattdessen wird im Prozess eine auf Video aufgezeichnete frühere Vernehmung abgespielt.
Dabei wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Ronny S., angeklagt wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen, schweigt vor Gericht zu den Vorwürfen. Einem forensischen Psychiater gegenüber zeigte er sich offener: Im Gespräch mit diesem gab er zwei Übergriffe gegen seine damals zwölfjährige Stieftochter zu. Er sehe ein, dass es ein schwerer Fehler war, sagte er damals. Und dass er bereit sei, in der Haft eine Therapie für Sexualstraftäter anzutreten.
Allerdings konnte der Psychiater bei Ronny S. keine Störung der Sexualpräferenz feststellen. Jedenfalls könne man bei dem 35-Jährigen, der mit Chiaras Mutter inzwischen drei Kinder hat, eine "pädophile Hauptströmung" ausschließen.
Am heutigen Freitag will die Große Jugendkammer das Urteil verkünden.