Amtsgericht Ein 75-jähriger Rentner hatte sich wieder einmal vor der Haßfurter Strafrichterin zu verantworten. Nun ist Therapie ein "Muss".
von unserem Mitarbeiter Manfred Wagner
Haßfurt — Wer öfter als stiller Zuhörer im Gerichtssaal sitzt, erlebt Dinge, die kaum nachvollziehbar sind. Dazu zählt der kürzlich verhandelte Fall eines Diebstahls. Auf der Anklagebank saß ein 75-jähriger Rentner, der 26 Vorstrafen hat: Über 50 Jahre wurde er immer wieder verurteilt, weil er irgendwelche Dinge, die er gar nicht brauchte, mitgehen ließ. Und das, obwohl er stets genug Bargeld hatte.
Für die beiden Diebstähle in diesem Sommer verurteilte ihn das Gericht zu einer rechtskräftigen Bewährungsstrafe von zwei Monaten und zwei Wochen, verbunden mit einer konsequenten Therapieauflage.
Wie Staatsanwalt Ralf Hofmann in der Anklage vortrug, geschahen die Taten im Abstand von etwa einer Stunde am 10. Juli. Der in Schweinfurt lebende Pensionär, ein ehemaliger Ingenieur, befand sich da in Haßfurt.
Ungefähr um 14.45 Uhr nachmittags steckte er in einem Baumarkt im Haßfurter Gewerbepark Ost eine Lüsterklemme für 3,70 Euro ein, und eine gute Stunde später entwendete er im Haßfurter Industriegebiet in einem Elektroladen eine Kassettenbox im Wert von 55 Euro.
Zusammengesunken saß der Dieb neben seinem Verteidiger Dr. Peter Auffermann, der auch ziemlich ratlos wirkte. Ohne Umschweife gestand der ältere Mann alles, konnte aber keine vernünftige Erklärung, geschweige denn ein Motiv für sein Handeln geben. Später bekannte er, in der Nacht vor der Verhandlung schweißgebadet aufgewacht zu sein; er sagte wie abwesend mit deprimierter Stimme: "Es wäre besser, wenn ich gar nicht mehr da wäre."
In einem ähnlichen früher verhandelten Fall von Kleptomanie vor Gericht beschrieb ein Psychiater den Seelenzustand.
So stelle das zwanghafte Stehlen kein eigenständiges psychisches Krankheitsbild dar, sondern komme bei seelischen Störungen wie Neurosen oder Depressionen vor. Bei der "Stehlsucht" oder dem "Stehltrieb" geht es nicht um Bereicherung, denn oft wird hinterher das Diebesgut verschenkt oder weggeworfen.
Kleine, wiederholt begangene Ladendiebstähle, erläuterte der Experte damals, werden von den Betroffenen begangen, um innere Spannungszustände abzubauen. Klingt kompliziert und ist schwer nachvollziehbar. Aber der 75-Jährige antwortete auf die Frage des Staatsanwalts, wie er sich bei der Tatausführung fühle: "Wenn ich erwischt werde, fühle ich mich erleichtert." Dafür, dass er es darauf anlegt, beim Klauen aufzufallen, spricht die dilettantische Art, wie er vorgeht. Die "sinnlosen Diebstähle ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihr Leben", meinte Richterin Ilona Conver.
Lange diskutierten die Juristen, durch welche Strafe man dem Pensionär helfen könne.
Letztlich waren alle mit der Freiheitsstrafe einverstanden, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Zusätzlich muss der Verurteilte zur Therapie. Diese Auflage, machte der Rechtsanwalt seinem Mandanten klar, gleiche einem "Damoklesschwert" und sei daher ein absolutes "Muss".