Sigismund von Dobschütz Kriminalroman" steht unter dem Titel. Doch der kürzlich erschienene Roman des in Russland geborenen ukrainischen Schriftstellers Andrej Kurkow (61), den manche mit dem Japaner...
Sigismund von Dobschütz
Kriminalroman" steht unter dem Titel. Doch der kürzlich erschienene Roman des in Russland geborenen ukrainischen Schriftstellers Andrej Kurkow (61), den manche mit dem Japaner Haruki Murakami gleichsetzen, ist viel mehr als das: "Samson und Nadjeschda" ist eine mit liebevoll charakterisierten Protagonisten besetzte Mischung aus Liebesgeschichte, historischem Roman und - ja, letztlich dies auch - aus einem Krimi. In seinem fast poetisch klingenden Sprachstil fühlt man sich an russische Klassiker erinnert.
Im nachrevolutionären russischen Bürgerkrieg (1918-1922), in dem die sowjetischen Bolschewiken gegen die unübersichtliche Gruppe aus Konservativen, Demokraten, gemäßigten Sozialisten, Nationalisten und Weißer Armee kämpften, hatten die Bolschewiken im Januar 1919 endlich die ukrainische Stadt Kiew erobert. Wenig später begegnen wir auf einer Straße dem jungen Samson und seinem verwitweten Vater ausgerechnet in jenem tragischen Moment, als Samsons Vater von marodierenden Rotarmisten ermordet und ihm selbst mit dem Säbel ein Ohr abgeschlagen wird. Dies ist die Schlüsselszene zum Auftakt einer Krimireihe, in deren Abfolge Samson eher zufällig und ohne jegliche fachliche Vorbildung in die gerade entstehende sowjetische Polizei aufgenommen wird.
Eigentlich wollte er nur die beiden in seiner Wohnung einquartierten diebischen Rotarmisten melden. Doch seinem künftigen Vorgesetzten Najden reicht schon Samsons Fähigkeit, gute Berichte zu formulieren, denn trotz aller Revolutionswirren scheint auch bei den Sowjets der Bürokratismus wichtiger als die Aufklärung von Kriminalfällen. War das von seinen unerwünschten "Untermietern" in Samsons Wohnung abgestellte Diebesgut bisher sein alleiniges Problem, so wird die offizielle Ermittlung gegen die beiden Diebe nun unerwartet zum ersten Fall des völlig unerfahrenen Polizisten.
Schon die Tatsache, dass bis zur Aufnahme Samsons in die Polizei und zum Beginn seiner Ermittlungsarbeit etwa 90 der 370 Seiten zu lesen sind, lässt erkennen, dass nicht der Kriminalfall im Zentrum des Romans steht, sondern Samsons Ermittlungen dem Roman seinen gestalterischen Rahmen geben. Im Grunde geht es dem Autor um die Darstellung der politisch wie gesellschaftlich vielschichtigen Situation in den Wirren des Bürgerkriegs, in dessen Verlauf es für die Bürger Kiews ziemlich unübersichtlich war, wer sie gerade beherrschte.
Andrej Kurkow schafft es in seinem Buch, das Alltagsleben des Jahres 1919 in Kiew lebendig werden zu lassen und uns eingängig und authentisch die Probleme der Stadtbewohner zu schildern. Bald wird uns deutlich, dass sich die damalige Situation der ukrainischen Bevölkerung nur bedingt von der aktuellen Situation in den heute von russischen Truppen besetzten Ostprovinzen unterscheidet: Das Leben muss weitergehen, egal wer gerade die Stadt regiert.