"Nette" Nachbarn vor Gericht

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In der Verhandlung vor dem Schöffengericht geht es um Betrug.
In der Verhandlung vor dem Schöffengericht geht es um Betrug.
Symbolfoto: Christopher Schulz

Prozess  Ein 48-Jähriger und sein Schwiegersohn sollen mit angeblichen Pflegeleistungen für eine Seniorin Gelder von der AOK erschwindelt haben. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe.

Stephan Herbert Fuchs

Landkreis Kulmbach —  Weil sie fast 5500 Euro fälschlicherweise als angebliche Betreuungsleistungen über die AOK abgerechnet haben sollen, müssen sich zwei Männer aus dem Landkreis vor dem Schöffengericht verantworten. Der 48-Jährige und sein 36-jähriger Schwiegersohn sollen für eine betagte Nachbarin Leistungen aus der sogenannten Verhinderungspflege abgerechnet haben, die sie aber so nie erbracht hätten, heißt es in der Anklage. In Wirklichkeit sei die Diakonie jeden Tag drei Mal bei der Seniorin gewesen, sie habe Essen auf Rädern bekommen, außerdem hätten sich Nichten und Neffen um sie gekümmert. Angeklagte waren die beiden Männer wegen gemeinschaftlichen Betrugs in 15 Einzelfällen.

Verhinderungspflege bedeutet, dass jemand die Pflege übernommen hat, aber jemand anderen mit den Pflegemaßnahmen beauftragt, weil er selbst zum Beispiel wegen Urlaub oder Krankheit zeitweilig verhindert ist. Voraussetzung dafür ist Pflegegrad 2. Dann können pro Jahr bis zu 1612 Euro zusätzlich abgerufen werden, wird keine Kurzzeitpflege in Anspruch genommen, sogar noch einmal 800 Euro mehr.

Der Erbschleicherei verdächtigt

Im konkreten Fall hatte sich die Nachbarin, die Ehefrau des 48-jährigen Angeklagten, einer betagten Senioren angenommen, die gerade ihren Mann verloren und eine schwere Operation hinter sich hatte. Die Rentnerin nahm die Hilfe gerne an und ließ die Nachbarin als Pflegeperson eintragen. Im ersten Jahr ging auch alles gut. Dann aber gab es erste Probleme und andere Nachbarn schalteten sich ein, weil der Verdacht der Erbschleicherei im Raum stand. Angeblich habe sich die Nachbarin Vollmachten ausstellen lassen und die Entmündigung der alten Damen angestrebt, um an ihren Grundbesitz zu kommen. Bewiesen ist davon nichts, der Prozess gegen die Frau, ebenfalls wegen Betrugs, wurde wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit erst einmal abgetrennt. Allerdings ist wohl schon ein Zivilverfahren vor dem Landgericht in Bayreuth gelaufen, in dem es um ein Diebstahldelikt ging.

An den Vorwürfen ist nichts dran, ließen die beiden Männer im gegenständlichen Verfahren über ihre Verteidiger Stefan Walder aus Kronach und Werner Brandl aus Kulmbach verlautbaren. Beispielsweise hätten beide Schneeräum- und Streudienste übernommen, Müll entsorgt, und Fahrleistungen erbracht Der 48-jährige Angeklagte will die Frau mit Medikamenten versorgt, ihr das Geschirr abgespült und sich um die Versicherungsunterlagen gekümmert haben. Sein jüngerer Mitangeklagter berichtete von der Reparatur eines Zaunes, vom Anbringen von Vorhangstangen und vom Beseitigen eines Hochwasserschadens. "Er war regelmäßig bei ihr, ein bis zwei Mal pro Woche", sagte Brand für seinen Mandanten. "Von einer Abrechnung war meinem Mandanten gar nichts bekannt", sagte Walder für den anderen Angeklagten. Ums Geld sei es seinem Mandanten ohnehin nie gegangen.

Das sah der polizeiliche Ermittler vom LKA in München ganz anders. Keiner der beiden habe eine Verhinderungspflege durchgeführt, lautete seine Kernaussage. Außerdem handle es sich bei Gartenpflegearbeiten oder Staubsaugen ohnehin nicht um Pflegearbeiten. Beide seien von der Seniorin dafür sogar zusätzlich bezahlt worden.

Bereits bestens versorgt

Die Anzeige wegen des unrechtmäßigen Erhalts von Beträgen aus der Verhinderungspflege hatte die AOK erstattet. "Wir haben einen schriftlichen Hinweis bekommen, dass hier gar keine Pflege stattfindet und dass pauschal abgerechnet wird", sagte der Sachbearbeiter aus Bayreuth. Renovierungsarbeiten oder Rasenmähen sei auf keinen Fall erstattungsfähig. Ohnehin sei die Frau durch Diakonie, andere Nachbarn, Nichten und Neffen bestens versorgt gewesen. Selbst für die Zeit, als die Seniorin in der Klinik, anschließend in der Kurzzeitpflege und dann in einem Pflegeheim gewesen sei, hätten die Angeklagten noch Gelder abgerechnet, die sie mittlerweile wieder zurückerstatten mussten.

Die Seniorin selbst, die ihr Haus mittlerweile verkauft hat und in einem Pflegeheim im Landkreis lebt, wurde im Rollstuhl in den Sitzungssaal gebracht. Der 48-jährige Angeklagte habe schon dies und das gemacht, sagte sie und meinte dabei konkret beispielsweise das Anbringen von Rauchmeldern, den Kauf eines Fernsehers oder die Entrümpelung einiger alter Möbel. Der 36-Jährige habe das eine oder andere Mal Müll weggefahren, nur einmal habe er sich ihr vorgestellt. "Den Müll musste man ja bloß rausstellen und Medikamente haben sie höchstens einmal besorgt", sagte die Rentnerin. Die Verhandlung wird fortgesetzt.