Nach Krieg in Baracken einquartiert

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Die Wohnbaracken des Flüchtlingslagers Streitberg Quelle: Archiv Franze
Die Wohnbaracken des Flüchtlingslagers Streitberg  Quelle: Archiv Franze
Flüchtlingslager Ebermannstadt Quelle: Stadtarchiv Ebermannstadt/Repro: Franze
Flüchtlingslager Ebermannstadt  Quelle: Stadtarchiv Ebermannstadt/Repro: Franze
 
Bürgermeister Georg Bauer (1900 bis 1973), Bürgermeister in Kauernhofen von 1948 bis 1966 Foto: privat/Repro: Franze
Bürgermeister Georg Bauer (1900 bis 1973), Bürgermeister in Kauernhofen von 1948 bis 1966  Foto: privat/Repro: Franze
 

In den Nachkriegsjahren gibt es im Forchheimer Umland immer wieder Weigerungen, Flüchtlinge und Vertriebene aufzunehmen. Positiv fällt Kauernhofen auf. Forchheim lockt mit Arbeitsplätzen. Besonders dramatisch entwickelt sich 1946 die Situation in Streitberg.

Die Region um Forchheim und der Fränkischen Schweiz wurde Ende des Zweiten Weltkriegs geradezu überschwemmt von einer massenhaften Zuwanderung. Summiert man die Einwohnerzahlen der Stadt sowie der ehemaligen Landkreise Forchheim und Ebermannstadt, so lebten 1950 in dieser Region 90 741 Personen. Im Vergleich zu 1939 waren das 27 498 mehr. Das entsprach einer Zunahme von 43,5 Prozent. Das musste die ländliche Region erst einmal verkraften.

Heinrich Meyer, der Polizeichef am Landratsamt Ebermannstadt, warnte am 19. Februar 1946 den amerikanischen Geheimdienst vor "unüberwindbaren Schwierigkeiten" bei der Unterbringung und "Eingliederung der Flüchtlingsmassen" und gab damit die Sorge von Bürgermeistern und Geistlichen weiter. Zum einen seien die "Bauernhäuser nach ihrer Inneneinrichtung und dem Vorhandensein sanitärer Anlagen fast ausnahmslos für eine stärkere Belegung ungeeignet" und zum anderen fehle es für die Zugewiesenen an entsprechenden Arbeitsmöglichkeiten.

"Die Leute", so Meyer, "ahnen mehr und mehr, dass sie hier einer Verlumpung entgegensehen, der sie nicht ausweichen können. Sie wollen deshalb lieber in der Heimat ganz von vorne anfangen als sich hier weiterhin mit diesem aussichtslosen Zustand zurechtfinden." Zudem sähen die Einheimischen in den Flüchtlingen "einen unerwünschten Zuwachs", den sie "in jeder Form" ablehnten, "dadurch ergeben sich Reibflächen am laufenden Band".

Beispiele für solche Konflikte gab es genügend. In Heiligenstadt konnte eine 20-Jährige mit ihrer Mutter und ihrem Großvater nur mithilfe zweier Polizisten und des örtlichen Flüchtlingsobmanns in das ihnen zugewiesene Zimmer einziehen. "Was wollt ihr Zigeuner hier?", rief ihnen der Hausherr entgegen, "geht hin, wo ihr hergekommen seid, in unser Zimmer geht keiner, sonst hetz' ich den Hund auf euch."

In Kainach bei Hollfeld wurde im November 1945 ein Landwirt festgenommen, weil er sich weigerte, eine Flüchtlingsfrau mit zwei Kindern aufzunehmen. Der Ebermannstadter Landrat warnte darauf im Amtsblatt, er werde Hauseigentümer, die sich weiter weigerten, Flüchtlinge aufzunehmen, "mit Ordnungsstrafen von 100 bis 1000 Reichsmark belegen".

In Weisendorf musste im September 1946 sogar die amerikanische Militärpolizei eingreifen, weil ein Wirt sich weigerte, Flüchtlinge für zwei Nächte provisorisch unterzubringen. Er gab erst nach, als zwei Jeeps und ein Panzerwagen vorfuhren. Mit positiven Meldungen fällt in dieser Zeit die Gemeinde Kauernhofen auf. Hier gelang es Bürgermeister Georg Bauer, das "ganze Dorf" zu Hand- und Spanndiensten für die Schaffung zusätzlichen Wohnraums zu gewinnen. Die Gemeinde stellte 1949 kostenlos Bauholz, Kies sowie Zement und der Landkreis 5500 Mark zinsloses Darlehen zur Verfügung. So gelang es, heißt es in einer Zeitungsmeldung, insgesamt sechs Wohnungen mit elf Zimmern für 23 Personen zu gewinnen.

Auch sonst war der Bürgermeister ein beispielhaft praktisch und nüchtern denkender Mann. Als der Wohnungsausschuss im Juni 1950 im Ort Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen Hauseigentümerin und Mieterin über die zu reinigende Treppe wurde, griff der Bürgermeister "erbost über die kleinlichen Streitigkeiten zum Wassereimer und schrubbte die Treppe höchstpersönlich".

Wie in Forchheim gab es auch auf dem Land Massenquartiere: das größte in Poxdorf-Langensendelbach. Hier hatte auf dem Gelände des ehemaligen Flak- und Luftwaffen-Ersatzteillagers die Regierung von Ober- und Mittelfranken ein "Regierungsdurchgangslager" errichtet, in das 1946 Flüchtlingstransporte aus Ostpreußen, dem Sudetenland und Böhmen vorübergehend untergebracht wurden.

Aus Lager wird eine Gemeinde

Aus dem Provisorium entstanden bis 1948 durch den Einbau von Zwischenwänden und die Installation von Strom und Wasser Wohnungen für 367 Personen. Mithilfe der Joseph-Stiftung Bamberg begann 1950 der Siedlungsbau. Baracken stehen heute keine mehr. Aus dem Lager wurde 1951 die selbstständige Gemeinde Hagenau, die 1978 nach Baiersdorf eingemeindet wurde.

In der Fränkischen Schweiz gab es mehrere Flüchtlingslager. Mit zu den Größten zählte die sogenannte Polizeischule in Ebermannstadt. Bis 1950 wohnten in den beiden Lagerbaracken sowie im Steinbau behelfsmäßig bis zu 170 Flüchtlinge. Meistens teilten sich zwei Familien einen Raum. Da nur drei davon eine Kochgelegenheit hatten, wurde im Keller des Frontgebäudes eine Gemeinschaftsküche eingerichtet. Wie groß die Not war, zeigt das Verzeichnis der Stadt Ebermannstadt aus dem Jahre 1949 über ausgeliehenes Mobiliar. Es reicht von Strohsäcken über Bettgestelle, Tische, Stühle bis hin zu Herden und Öfen.

Über 600 Personen aufzunehmen

Besonders dramatisch entwickelte sich 1946 die Situation in Streitberg. Innerhalb eines halben Jahres musste der Ort über 600 Personen aufnehmen und hatte im Vergleich zu 1939 doppelt so viel Flüchtlinge wie Einheimische. Untergebracht wurden sie in Gasthöfen, Pensionen, Privathäusern und in fünf Holzbaracken der ehemaligen Luftschutzwarndiensthelferinnen-Schule (LSW-Schule), die 1943 unterhalb der Likörfabrik Hertlein errichtet worden war.

Der Tourismus kam vollständig zum Erliegen. Im Oktober 1948 befasste sich der bayerische Landtag mit der katastrophalen Situation und erklärte die Fränkische Schweiz zum Notstandsgebiet.

Sowohl für die Einheimischen als auch die Flüchtlinge bot die agrarische Provinz wenig Arbeitsmöglichkeiten. 1950 waren im Landkreis Forchheim 65,3 Prozent und im Landkreis Ebermannstadt sogar 79,1 Prozent der Berufstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt und das meist in kleinen Familienbetrieben.

Die Arbeitslosigkeit war bis in die fünfziger Jahre groß. Manche Heimatvertriebene versuchten deshalb, sich als Gewerbetreibende den Lebensunterhalt zu sichern. Die Liste ihrer behördlichen An- und Abmeldungen ist lang und führt Gewerbe auf wie Damen- und Herrenschneider, Flickschneider, Näherin, Strickerin, Friseur, Schreiner sowie Handel mit Textilwaren, Tabak, Obst, Gemüse und Lebensmitteln.

Erfinderisch boten manche der Existenzgründer aus der Not geborene Produkte an. So verwandelte zum Beispiel die Muggendorfer "Flüchtlingsfirma H. R. Kiffner" militärische Feldbetten "durch Hinzufügung einiger sinnreich erdachter Einzelteile zu einer geschmackvollen Bettcouch mit Rückenlehne und Armstützen" und das "zu einem konkurrenzlos billigen Preis" - wie 1949 die Zeitung berichtete.

Heimarbeit der Erwerbslosen

Schwieriger war es, für Ungelernte, auf dem Land Arbeit zu finden. Unmittelbar nach dem Krieg versuchte man, die Erwerbslosigkeit mit Heimarbeit zu begrenzen. Auf Dauer war das keine effektive Lösung, schon allein deswegen, weil entsprechend große Unternehmen fehlten und die Entlohnung allein zum Auskommen nicht reichte.

Nach der Währungsreform griff der Staat zusammen mit den Kommunen ein und schuf mit Notstandsprogrammen Arbeitsplätze. In der Fränkischen Schweiz bot sich dazu vor allem der Straßenbau an. Im Mai 1950 begann in Ebermannstadt der Ausbau des - wie Landrat Eberhard beim Spatenstich hervorhob - "jahrzehntelang geplanten" Wirtschaftsweges von Ebermannstadt über Eschlipp nach Drügendorf. Für 15 Monate bot das Projekt für "rund 120 Erwerbslose" eine Beschäftigung.

Umzug in die Stadt

Insgesamt jedoch zogen im Jahrzehnt zwischen 1950 und 1960 immer mehr Flüchtlinge vom Land der Arbeit nach in die Stadt. Während die beiden Landkreise Forchheim und Ebermannstadt 7042 Personen verloren, nahm die Stadt Forchheim um 3901 Personen zu. Hier gab es Arbeit nicht nur in den Industriebetrieben, die wie Spinnerei, Weberei, Folienfabrik und Ziegelei bereits vor dem Krieg da waren, sondern auch in drei neuen von Flüchtlingen gegründeten Betrieben: der Schokoladenfabrik Piasten (1948 Anton Hofmann aus Brieg bei Breslau), der Maschinenfabrik Lösch (1949 aus Dresden) und der Papierwarenfabrik Köhler aus Eger und Marienbad).

Die Arbeitsamtsnebenstelle Forchheim meldete Ende 1949 für ihren Amtsbezirk "mit 11 194 Arbeitern und Angestellten einen neuen Höchststand". Aber: "Trotz dieser günstigen Beschäftigungslage ist die Zahl der Arbeitslosen ständig im Anwachsen und von 1804 im September auf gegenwärtig 2220 gestiegen." Das sei nicht konjunkturell bedingt, sondern habe "strukturellen Charakter": 1050 von ihnen seien nämlich Flüchtlinge. Verstärkt werde diese Entwicklung durch arbeitssuchende Familienangehörige, weil der Lohn des Ernährers der Familie nicht ausreiche. Und - das war neu: "Unter den in Beschäftigung Stehenden ist jeder Dritte eine Frau." Und das bedeutete, dass nun auch in Gesellschaft und Politik den Frauen nach dem Krieg eine erheblich größere Rolle zuwuchs.

Kulturelles Leben

Was sich in den Nachkriegsjahren zusätzlich in Forchheim und dem Umland änderte, war das kulturelle Leben. Am deutlichsten zeigte sich das in der Fränkischen Schweiz. Unter dem von den Amerikanern eingesetzten kommissarischen Landrat Georg Mandt, einem umtriebigen Theatermanager, der selbst als Unterhaltungskünstler auftrat, entwickelte sich in Streitberg und Muggendorf ein musisch-schöngeistiger Zirkel. Federführend war der aus Berlin stammende Hans Georg Pfeffer. Er tourte mit seinem Ensemble, das sich "Pfifferlinge" nannte, durch ganz Oberfranken und bekam 1948 von Landrat Rudolf Eberhard den Auftrag zur Gründung eines "Kulturkreises" in Ebermannstadt. Er besteht heute noch, ist jetzt integriert in die Volkshochschule, verstand sich damals aber als ein der "hohen Kultur" verpflichteter Kreis, der selbst Konzerte, Opern- und Operettenabende durchführte und Fahrten zu den Orchestern in Nürnberg und Bamberg organisierte.

In Forchheim verlief die Entwicklung konträr. Im Juni 1947 meldete die örtliche Zeitung den Ausfall mehrerer Veranstaltungen, "weil sich keine Zuschauer einfanden". Offenbar, so der Kommentar, "lehnt sich hier ein gesundes Gefühl gegen die Überfütterung mit Vergnügungen auf. Das Überangebot an Kunstgenuss entwertet denselben".

Kulturgemeinde in der Kritik

Ende der vierziger Jahre geriet der durch die Stadt subventionierte Volksbildungsverein, der sich 1949 in Kulturgemeinde umbenannte, in die Kritik. Im Januar 1950 kam es im Stadtrat zu einer heftigen Auseinandersetzung über eine weitere Bezuschussung. Die SPD hielt dem Verein vor, er bediene mit gelehrten Vorträgen nur das konservative Bildungsbürgertum. Die Bildungsarbeit müsse auf "eine breitere Grundlage gestellt und durch Einbau von Kursen und Arbeitsgruppen nach der Art der Volkshochschulen intensiver gestaltet" werden.

Die Kontroverse zog sich über das gesamte erste Halbjahr 1950 hin und wurde auch öffentlich ausgetragen. Auf der einen Seite verteidigte Sebastian Meixner, Lehrer am Forchheimer Gymnasium und Zweiter Bürgermeister, die Kulturgemeinde, auf der anderen Seite warb der Rechtsanwalt E. Westhoff für die Gründung einer Volkshochschule, an der er aktiv in Nürnberg tätig war.

Schließlich wurde am 23. Oktober 1950 im Rathaus die Volkshochschule Forchheim gegründet. Fast zwei Jahre lang konkurrierten nun Kulturgemeinde und Volkshochschule, bis es nach "langwierigen Verhandlungen" am 26. November 1952 zur Auflösung der Kulturgemeinde und dem Übertritt zur Volkshochschule kam.