Markus Häggberg Walter kam neulich ins Lokal und wirkte müde und abgekämpft. Ein Seminartag lag hinter ihm, ein Aufbauseminar mit offenkundig gegenteiliger Wirkung. Walters Firma hält große Stücke auf...
Markus Häggberg Walter kam neulich ins Lokal und wirkte müde und abgekämpft. Ein Seminartag lag hinter ihm, ein Aufbauseminar mit offenkundig gegenteiliger Wirkung. Walters Firma hält große Stücke auf ihn und auf die Zukunft. Um Walter und viele seiner Kollegen also auch in Zukunft behalten zu können - und das von Geldern, die auch morgen noch erwirtschaftet werden-, wurde ein mehrtägiges Seminar anberaumt.
"Ich bin fix und alle", stöhnte Walter auf, als er sich niedersetzte. Walter gehört nicht zu den Menschen, die grundlos jammern. Wenn Walter stöhnt, dann steckt da auch etwas dahinter. Und darum begannen wir Kumpels zu mutmaßen, dass Walter sehr komplizierte Dinge habe lernen müssen. Gesetzeswerke, Regularien, Paragrafen und derlei. Vielleicht auch Semantik und Rhetorik, womöglich auch Einblicke in Körpersprache und hochwichtiges Zeug.
Darum fragten wir Walter, wie es so war und warum er so abgekämpft ist. "Ich bin gerädert", eröffnete Walter. Dann blickte er in den Schaum seines Bieres, aber auf eine Art, als wollte er durch ihn den Grund sehen. Ein bedeutsames Schweigen legte sich über dieses Szene, ein Schweigen, das zur Stille wurde. Es verging dann noch eine Weile, bis Walter etwas zu sagen anhob - und abwinkte und trank.
"Jetzt mach' s doch nicht so spannend", raunzte ihm ein Kumpel zu und so erzählte Walter endlich. "Unser Chef hat das Seminar bezahlt, wir waren's ihm schuldig, zu kommen - obwohl Betriebsurlaub ist. Bin ich halt hin, der Referent war ja schließlich teuer." Stumm hörten wir Walter zu, bis dann doch einer in ihn drang und mehr wissen wollte. "Es ging immer darum, dass wir etwas ,gemeinsam machen', und dann hat uns der Seminarleiter, der auch Motivationstrainer ist, immer erzählt, dass wir die Hände heben und uns abklatschen sollen. Weil jetzt gerade eben ein ganz inspirierter Moment war."
Darauf bemerkte einer aus unserer Runde, dass das jetzt aber doch etwas albern klingt, wo es doch so teuer war. "Und dann hat uns dieser Motivationstrainer immer wieder erzählt, wie viel er verdient - so 6000, 7000 Euro pro Monat. Wir mussten einen Kreis bilden und Ideen vorbringen und immer dann, wenn jemand eine Idee hatte, mussten wir die Hände heben, inbrünstig ,Ha! Ha!' rufen, übers ganze Gesicht strahlen und uns gegenseitig mit den Händen abklatschen. Jeder bei jedem und den ganzen Tag lang, auch nach der Kaffeepause. Zur Teambildung, wie er sagte."
Was genau er gelernt hatte, konnte Walter niemandem in der Runde genau sagen. Ob er sich seinen Kollegen angenähert hat - er würde sich gerne der Sekretärin annähern, aber es wird wohl beim Abklatschen der Hände an diesem Seminarwochenende bleiben -, weiß er nicht. Er wisse auch nicht, ob das notwendig ist, denn eigentlich sei die Stimmung im Haus ja nicht direkt schlecht - eher gut.
"Unser Chef hält viel von dem Seminar und von dem Referenten", erklärte Walter und fuhr fort: "Und darum verlangte er von uns, dass wir auch viel von ihm halten und immer klatschten, wenn er es von uns einforderte. Dann mussten wir die Hände heben, uns gegenseitig abklatschen und uns gegenseitig zu all den tollen Ideen gratulieren - ich bin fix und alle."