Mal Schubladen aufmachen

3 Min

Markus Häggberg N eulich schnappte ich mir Christine und wir fuhren gemeinsam nach Bamberg. Der Frühling wärmte schon sehr, und so planten wir, unser Mittagessen draußen sitzend einzunehmen. Es gibt d...

Markus Häggberg N eulich schnappte ich mir Christine und wir fuhren gemeinsam nach Bamberg. Der Frühling wärmte schon sehr, und so planten wir, unser Mittagessen draußen sitzend einzunehmen. Es gibt da dieses Restaurant in Nähe einer Brücke, wo man, etwas versenkt sitzend, sehr gut auf Knöchelhöhe der vorbei gehenden Menschen beobachten kann, was für Menschen das so sind.

Zahlen und Kategorien

Für eine Weile taten Christine und ich das einfach so. Bald aber genügte uns das einfache Betrachten nicht mehr, denn wir wollten Erkenntnis. Dann aber fiel uns ein, dass auch Erkenntnis nur dann eine ist, wenn sie durch Zahlen gestützt wird. Eben weil ja durch die Zahl alles offenbar wird, wie wir Bamberger so sagen. An diesem Punkt angekommen, stellten wir fest, dass wir jetzt nur noch Kategorien brauchten, innerhalb derer wir auch aufzählen könnten.

Kategorien helfen ungemein dabei, näher an die Menschen und somit an die Wirklichkeit heranzukommen. Es war uns um die Kleidung gegangen, die die Menschen trugen. Jemand sagte nämlich einmal, dass die Menschen in Bamberg schon ganz anders als in Lichtenfels, Bad Staffelstein oder Altenkunstadt wären. Die Erscheinungsform Bamberger sollte uns erstaunen, denn sie tritt in mindestens acht Kategorien zutage.

Bald sollten Christine und ich lernen, dass Kategorien streng zueinander abgegrenzt werden müssen, dass also eine besondere Sorgfalt auf ihrer Ausformulierung zu liegen hat. So kamen wir überein, dass "stylish" eine andere Note als "Eleganz" besitzt. Eleganz ist zeitlos, wenn aber etwas stylish ist, dann schwingt da Mode mit. Bald kam uns aber auch ein junger Mann unter, dessen Kleidungsstil weder elegant noch stylish war. Doch, der Mann war gepflegt und auf der Höhe der Zeit, aber das uns passend scheinende Wort für seinen Kleidungsstil war "Hipster".

Anbiederung in der Montur

Der Hipster schlägt durchaus in die Richtung des Stylishen, aber es liegt viel mehr Anbiederung in seiner Montur. Aber auch diese Anbiederung will hinterfragt sein, und Christine und mir kam in den Sinn, dass es sich noch am ehesten um jene Anbiederung bei einer Autorität handelt, bei der man beruflich Eindruck schinden will. Dann ging ein Mann über die Brücke, der Nickelbrille, Leinenhose und Umhängetasche trug. In seinem Fall war der Begriff "Öko" am treffendsten und leicht zu finden.

Zwei flotte Damen

Ihm folgten zwei ältere Damen und warfen Fragen auf. Sie waren nicht stylish, nicht modisch und von hip ganz weit entfernt. Direkt elegant waren sie aber auch nicht. Christine und mir fehlte das Wort und wir kamen erst nach der Vorspeise drauf: flott. Das Wort "flott" ist sehr präzise, denn ältere Damen bezeichnen sich nicht selten selbst so. Aber zustimmen kann man ihnen dann nur, wenn ihr Stil noch im Rahmen des Modischen ist, dabei aber ganz dezent.

Als uns das Mittagessen serviert wurde, hatten wir schon viele Striche in den Kategorien "stylish", "Hipster", "flott", "Eleganz" und "Öko". Wir glaubten uns des vollständigen Erfassens nahe. Oder wenigstens der Wahrheit. Endlich flanierte auch ein Paar an uns vorüber, das so gar keine Ausstrahlung hatte und auch wusste, wie man das textil vermittelt. Ordinär fiel uns dazu ein, aber nicht im abwertenden Sinne, sondern schlicht und einfach nur auf das Gewöhnliche hinweisend. Christine aß dazu ein Steak mit Kartoffeln und bei mir waren es Pommes.

Wie wir so speisten, konnten wir eine Gruppe junger Männer sichten, die sich mit "unmodern" nicht einfach abhandeln ließen. Noch dazu, weil sie grobe Reden führten, etwas ungepflegt schienen und großkotzig taten. Bei genauerem Hinsehen war es aber doch nur kleinkotzig. Und weil man solchen Typen auf der Hamburger Elbchaussee nun mal seltener begegnet als in Lichtenfels, nannten wir diese Kategorie "Lichtenfels".

Mit einem Augenzwinkern

Wir taten es selbstverständlich mit einem Augenzwinkern und möchten uns bei allen Lichtenfelsern vorsorglich und nachsorglich entschuldigen sowie frohe Ostern wünschen. Die junge Frau mit den gefärbten blonden Haaren und der pinkfarbenen Leggins zu weißen Turnschuhen schien so gänzlich aus dem Rahmen zu fallen. Ihr viel zu rot geschminkter Mund hatte keinen Anschluss zu ihren restlichen Farben. Und obwohl die Figur der Frau eher nachteilig war, setzte sie bewusst auf hauteng und spannte ihr Leibchen doch sehr. Da das über das Gewöhnliche weit hinaus ging, absolut nichts Stylishes hatte und sich nicht dort anzubiedern schien, wo Hipster unterwegs sind, plädierte Christine für eine neue Kategorie, die sie schlicht "nuttig" nannte.

Zufrieden, jetzt wohl alle maßgeblichen Kategorien ausgelotet zu haben, wollten wir bezahlen. Als aber dieser Mann mit seiner Frau erschien, setzten wir uns wieder. Doch, der hatte was. Aber was? Erst dachten wir, dass sein Kleidungsstil Grenzen sprengte. Dann aber verstanden Christine und ich, dass sie Grenzen ausweiteten. Hier war jemand unterwegs, der keine falsche Rücksichtnahme übte, der über den Kompromiss hinausging und vielmehr das Unvereinbare miteinander vereinbarte, ja vielleicht sogar vermählte.

Der Mann trug eine ausgeleierte wollene Jogginghose und eine Gucci-Umhängetasche, aus dem ein auffällig gepflegter Hund schaute. Sein Herrchen hätte untenrum aus dem Stall und obenrum aus einem Museum kommen können, was erst nach einem abschließenden Espresso den Begriff Uetzing-München-Crossover gebar. Man isst in dem Lokal sehr gut, unser Vergnügen kostete uns nur 56 Euro. "Ordinär" gewann übrigens vor "stylish" und "flott", auf den vierten Rang kam "Lichtenfels", dicht gefolgt von "Hipster" und "Öko". Die Schlusslichter bildeten "Eleganz" und "Uetzing-München-Crossover". Dachte, ich erzähle das mal.