Heftige Auseinandersetzungen

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Wahlplakat der SPD 1919
Wahlplakat der SPD 1919
Wahlplakat der BVP 1919 Repros: Manfred Franze
Wahlplakat der BVP 1919 Repros: Manfred Franze
 
Max Fischer (1886 bis 1962), Volksschullehrer aus Kirchahorn, Kriegsfreiwilliger und Landesabgeordneter
Max Fischer (1886 bis 1962), Volksschullehrer aus Kirchahorn, Kriegsfreiwilliger und Landesabgeordneter
 
Hans Räbel (1872 bis 1941), Gymnasialprofessor, Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Forchheimer Gemeindekollegiums
Hans Räbel (1872 bis 1941), Gymnasialprofessor, Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Forchheimer Gemeindekollegiums
 
Tabelle Landtagswahl 1919 in Bayern. A = Wahlbeteiligung, NLP/BMP = Nationalliberale Partei/Bayerische Mittelpartei, BBB = Bayerischer Bauernbund Quelle: Manfred Franze, Erster Weltkrieg
Tabelle Landtagswahl 1919 in Bayern. A = Wahlbeteiligung, NLP/BMP = Nationalliberale Partei/Bayerische Mittelpartei, BBB = Bayerischer Bauernbund  Quelle: Manfred Franze, Erster Weltkrieg
 

Vor genau 100 Jahren fanden die ersten demokratischen Parlamentswahlen in Bayern und Deutschland statt. Am hitzigsten verlief in der Region der Wahlkampf im Stimmkreis Ebermannstadt-Pottenstein-Gräfenberg.

Vor 100 Jahren ging es im Januar 1919 um eine politische Schicksalsfrage: Was wird aus Deutschland? Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg übernahm der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert (1871 bis 1925) die Kanzlerschaft und setzte in der Novemberrevolution 1918 durch, über allgemeine Wahlen die künftige Verfassung Deutschlands festzulegen.

Das war kein einfacher Weg, weil in Berlin blutige Straßenkämpfe tobten und sich die Arbeiterbewegung in Deutschland gespalten hatte: in die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD), die für eine Räterepublik war, und in die Mehrheitssozialdemokratie (MSPD), die für eine parlamentarische Demokratie eintrat. Auch in Forchheim spaltete sich 1918 die SPD.

Führende Repräsentanten

Die beiden führenden Repräsentanten - Max Ludewig (MSPD) und Georg Schacher (USPD) - hatten noch bis Anfang Dezember zusammengearbeitet und in gemeinsamen Versammlungen für einen demokratischen Neubeginn geworben. Das änderte sich, als Schacher für den 28. Dezember 1918 die Männer und Frauen zu einer eigenen Veranstaltung einlud, "die sich mit der Politik der alten sozialdemokratischen Partei während des Krieges in keiner Weise zufrieden gaben."

Damit gingen die Mitglieder, die die Zustimmung zu den Kriegskrediten Kaiser Wilhelms II. abgelehnt hatten, einen eigenen Weg und stellten sich auf die Seite Kurt Eisners, der am 7. November die Wittelsbacher vom Thron gestoßen und den "Freistaat Bayern" ausgerufen hatte. Als erster bayerischer Ministerpräsident in der von MSPD und USPD getragenen Revolutionsregierung führte er das Frauenwahlrecht, den Acht-Stunden-Arbeitstag und die Arbeitslosenversicherung ein. Zusammen mit seinem Kultusminister Johannes Hoffmann (MSPD) hob er die geistliche Schulaufsicht auf.

Das brachte ihm vor allem die Gegnerschaft der Kirche und des bürgerlichen Lagers ein. In Forchheim sammelten sie sich zunächst in dem von Hans Räbel Anfang Dezember 1918 gegen den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat initiierten "Ausschuss der sämtlichen hiesigen bürgerlichen Kreise", um sich "gegenüber etwaigen Übergriffen und Eingriffen in die auch von der Revolutionsregierung proklamierten Rechte der Gewissens-, Pressefreiheit" zu schützen.

Wenige Tage später gründete der einflussreiche Landtagsabgeordnete und Vorsitzende des Forchheimer Gemeindekollegiums zusammen mit dem Ebermannstadter Amtsgerichtsrat Christoph Sebald die Bayerische Volkspartei für Forchheim und Umgebung (BVP) und kandidierte selbst im Stimmkreis Ebermannstadt-Gräfenberg für seine Partei. In dem nur wenige Wochen dauernden Wahlkampf setzte er sich vor allem für die Wahrung christlicher Werte sowie eine weitgehende Selbstständigkeit Bayerns in einem losen deutschen Staatenbund ein und warnte alle "überzeugten Christen und Angehörigen des Bauern- und Mittelstandes" vor der Wahl der Sozialdemokratie.

In der Ablehnung der Sozialdemokratie waren sich die konservative BVP und die liberale Deutsche Demokratische Partei einig, die sich bei den ersten Wahlen auch Deutsche Volkspartei in Bayern (DVP) nannte. In Forchheim ging sie aus dem Liberalen Verein Forchheim und Umgebung hervor. Sowohl hier als auch in Ebermannstadt waren die führenden Mitglieder Handwerksmeister oder Lehrer.

Die beiden bürgerlichen Parteien warnten in Wahlanzeigen vor der Sozialdemokratie: "Der kleine und kleinste landwirtschaftliche und gewerbliche Besitz mit Grund und Boden, mit Werkstatt und Werkzeug soll in Besitz des Staates übergehen. Der Bauer würde für sich und seine Familie Freiheit und Stammsitz verlieren."

Am hitzigsten verlief der Wahlkampf im Stimmkreis Ebermannstadt-Pottenstein-Gräfenberg, in dem der Forchheimer Gymnasialprofessor Hans Räbel sein Landtagsmandat gegen Max Fischer, den Volksschullehrer aus Kirchahorn, verteidigen musste. Fischer war Kriegsfreiwilliger, hatte 1917 vergeblich versucht, einen Friedensbund bayerischer Volksschullehrer zu gründen und war dann in die MSPD eingetreten.

Die heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden Kontrahenten um Kirche und Sozialisierung lässt sich im Wiesent-Boten, der Ebermannstadter Lokalzeitung, an den Leserbriefen und Versammlungsberichten verfolgen. Mit 9930 Stimmen siegte Räbel und zog wie schon vor dem Krieg in den Landtag ein. Nach dem komplizierten Wahlsystem erhielt aber auch Max Fischer als sogenannter "Landesabgeordneter" über seine Liste ein Mandat.

MSPD in protestantischen Orten

Die BVP hatte ihre Hochburgen in den katholischen Gemeinden mit Spitzenergebnissen von über 80 Prozent wie im Forchheimer Umland, in Pretzfeld oder in Waischenfeld. Die MSPD erzielte in den protestantischen Orten ihre besten Ergebnisse: zum Beispiel in Gräfenberg mit 54,1, Egloffstein 84 und Heiligenstadt 76,2 Prozent. In diesen Gemeinden punkteten aber auch die Liberalen.

In Streitberg erhielt die DDP/DVP 23 Prozent und in Muggendorf sogar 82 Prozent der Stimmen. Die USPD verfügte nur in der Stadt Forchheim mit 8,8 Prozent über eine nennenswerte Wählerschaft. Bei der eine Woche später am 19. Januar 1919 durchgeführten Reichstagswahl änderte sich die prozentuale Verteilung nur geringfügig.

Im bayerischen Landtag waren die BVP mit 35 und MSPD mit 33 Prozent fast gleich stark vertreten. Ministerpräsident Kurt Eisner und seine USPD erlitten mit 2,5 Prozent der Stimmen eine vernichtende Niederlage. Deswegen wollte er bei der konstituierenden Sitzung am 21. Februar auch sein Amt niederlegen, wurde aber auf dem Weg ins Parlament von dem rechtsradikalen Studenten Graf Arco von Valley erschossen.

Als eine Stunde später der Innenminister und SPD-Vorsitzende Erhard Auer des ermordeten Ministerpräsidenten gedachte, stürmte ein linksradikaler Arbeiterrat ins Plenum und schoss auf die Regierungsmitglieder. Auer sank getroffen vom Stuhl, die anderen Minister warfen sich unter ihre Tische. Bei seiner Flucht schoss der Attentäter am Ausgang einen Major nieder. Gleichzeitig fielen Schüsse von der Tribüne ins Plenum, von denen der Kronacher BVP-Abgeordnete Heinrich Osel tödlich getroffen wurde.

Max Fischer blieb unverletzt. Schriftlich notierte er, dass er und sein Bayreuther Fraktionskollege Julius Steeger als letzte den Sitzungssaal verlassen haben. Seinem Enkel erzählte er viele Jahre später, er habe "in dem ausbrechenden Chaos Todesangst gehabt" und sei überzeugt gewesen, in Kürze an die Wand gestellt und erschossen zu werden. Mit einem Kollegen habe er sich in der Toilette eingesperrt. Von Hans Räbel wissen wir nicht, ob er auch an der Sitzung teilgenommen und die Schießerei erlebt hat.

Max Fischer jedenfalls kehrte umgehend nach Kirchahorn zurück. Nach der Radikalisierung der Revolution in München gab er am 14. März sein Landtagsmandat zurück und erklärte im Wiesent-Boten, dass er nach reiflicher Überlegung der "Parteipolitik ein für allemal" entsage. Er fühle sich als einer der Jüngsten - er war knapp 33 Jahre alt - der Verantwortung nicht gewachsen und wolle sich auf keinen Fall an dieser Gewaltpolitik beteiligen. Seine Partei nahm ihm den Austritt übel. Er aber blieb bei seiner Linie und widmete sich nun ganz dem Kampf für die Gemeinschaftsschule.