Wolfgang Schoberth
Wenige Wochen vor Kriegsende bricht in der Grundmühle Panik aus. Rings um die Bronzefabrik Benda werden massenhaft 30 Zentimeter lange Stanniolstreifen gefunden. "Uns Bewohnern war sofort klar, was das hieß", erzählt Josef Kofer, damals ein sechsjähriger Bub.
"Die ,Düppel' hatten amerikanische Aufklärer vor der Bombardierung eines Ziels abgeworfen, um die Luftabwehr zu verwirren. Offensichtlich hatten die Alliierten Wind davon bekommen, dass in der Grundmühle große Mengen an Wehrmachts-Munition hergestellt wurden. Doch passiert ist zum Glück bis zum Einmarsch der Amerikaner am 14. April 1945 nichts", so der Marktschorgaster Altbürgermeister.
Magnetkopf wird patentiert
Nach dem Krieg steht die Fabrikanlage nicht lang leer. 1947 zieht ein Mann ein, der sich als Pionier der Medientechnologie einen Namen machen wird: Max Ihle. Der 1902 in Harthau bei Chemnitz geborene Ihle spezialisiert sich zunächst auf die Reparatur von Büromaschinen und eröffnet 1936 in Nürnberg einen Fachbetrieb.
Als bei der schweren Bombardierung der Stadt 1944 auch die Firma und Ihles Wohnung in Schutt und Asche liegen, zieht er in die entlegene Grundmühle bei Marktschorgast. Nach Kriegsende beantragt er die Gewerbezulassung für Apparatebau.
Was Ihle mit seinen anfänglich etwa 40 Mitarbeitern auf die Beine stellt, ist enorm: Er stellt Werkzeuge und Vorrichtungen her, repariert Addier- und Buchhaltungsmaschinen, fertigt Ersatzteile für Nähmaschinen aller Systeme oder auch einen ersten Computer ("Bourroughs"), einen Vorläufer der EDV.
Das Spannendste aber sind Ihles Tüfteleien mit der Magnetband-Technologie. Im Juli 1949 kann er den von ihm entwickelten Magnetkopf als Patent anmelden - ein Durchbruch für die Tonband-Produktion.
Tonband-Boom ab 1950
Die Tonbandgeräte, die in der Grundmühle hergestellt werden, passen ideal in die Zeit. Die Bundesrepublik erlebt in den frühen Fünfzigern ihren ersten Wirtschaftsboom nach dem Krieg, die Radio-, bald dann die Fernsehwelle erfasst jedermann.
Elektronische Geräte wie Kofferradio, Plattenspieler und Tonband sind vor allem bei Jugendlichen attraktiv und begehrt. Der Fürther Unternehmer Max Grundig bringt es mit seinen Erfindungen zum Weltruhm. Max Ihle gleicht ihm vom Typ, ohne sich mit dessen Erfolgen messen zu können.
Gleichwohl kommt er mit seinen Modellen, den ersten Tonaufzeichnungs-Geräten überhaupt, gut ins Geschäft: Verkaufsschlager sind das "Ferrophon" von 1950, das Ihle für Löwe Opta herstellt, und das "Phonorex", das 1953 auf den Markt kommt. Mit dem Doppelspur-Gerät mit zwei mal 30 Minuten Spieldauer können Radiosendungen direkt aufgenommen werden. Damit ist Ihle der Erste, der die Kombination eines Tonbandgeräts mit einem Rundfunkempfänger serienmäßig herstellt. Ab 1954 wird in der Grundmühle an dem Modell "Bayreuth" gearbeitet, einem Tonbandgerät, das über bedienungsfreundliche Drucktasten gesteuert wird. Billig sind Ihles Produkte allerdings nicht. Das exklusive Ferrophon etwa kostet je nach Ausstattung zwischen 2500 und 3800 Mark - ein Vermögen in der damaligen Zeit.
Durch den Markterfolg beschäftigte Ihle bald 100 Mitarbeiter, darunter auch eine größere Zahl von Lehrlingen - Mechaniker, Werkzeugmacher, kaufmännische Angestellte. "Als Ausbildungsbetrieb war Ihle ein Glücksfall für Marktschorgast und die Region", sagt der Marktschorgaster Ewald Nüssel, der im August 1954 eine Lehre bei Ihle begonnen hat. 110 Lehrlinge, so hat er nachgerechnet, haben mit qualifizierten Ausbildungsberufen abgeschlossen.
Im Juli 1957 verlegt Ihle den Betrieb nach Kulmbach, in die Räume der Fassfabrik Brückner in der Trendelstraße 1. Damit verbunden ist eine weitreichende unternehmerische Entscheidung, leider: Fehlentscheidung. Er nimmt Abschied von der Magnetbandtechnik und konzentriert sich auf von ihm entwickelte Addiermaschinen, die wegen technischer Mängel unverkäuflich sind.
Damit entgeht Ihle der große Zukunftsmarkt - tragbare Tonbandgeräte mit Audiokassetten, die ab 1963 zum Verkaufsschlager bei der jungen Generation werden und über Jahrzehnte den Sound der Zeit bestimmen. Aus Enttäuschung wandern die Tonband-Spezialisten zur Firma Roland Schmied nach Untersteinach und zu Grundig nach Bayreuth ab.
Den Verlust des kreativen Potenzials kann Ihle nicht überwinden. Die Firma entwickelt sich bis zu ihrem Ende 1969 zu einem reinen Lohnfertigungsbetrieb. Hergestellt werden zum Beispiel Bauteile für die bei der Kulmbacher Firma Lumen montierten Eismaschinen oder Differenzialgetriebe für die Maschinenbaufirma Liba in Naila.
Unter strikter Geheimhaltung produziert der Kulmbacher Betrieb Max Ihle auch für den Rüstungskonzern Diehl in Nürnberg, damals ein Hauptlieferant für die Bundeswehr. Die Werkstücke durften nicht in den Berichtsheften auftauchen, doch die Beschäftigten wussten Bescheid: die Aluminium-Drehteile, die gefrästen Präzisionsflügel und die Rohre aus Spezialstahl wurden in Nürnberg bei Diehl zur Hohlladungsmunition für Raketenwerfer zusammengesetzt, die zur Panzerabwehr eingesetzt werden sollten.