Gärtnern als Integrationshilfe

2 Min
Gemeinsam im Garten zu arbeiten, ist für sie inzwischen zum Alltag geworden (von links): Erna Rank-Kern vom Arbeitskreis "Keine sexuelle Gewalt", Abdallah Kasem, seine Mutter, Rema Alsaad, Lian Kasem und Marianne Morchel, ebenfalls vom Arbeitskreis. Foto: Helke Renner
Gemeinsam im Garten zu arbeiten, ist für sie inzwischen zum Alltag geworden (von links): Erna Rank-Kern vom Arbeitskreis "Keine sexuelle Gewalt", Abdallah Kasem, seine Mutter, Rema Alsaad, Lian Kasem und Marianne Morchel, ebenfalls vom Arbeitskreis.  Foto: Helke Renner

Eine "Oase der Sinne" für Flüchtlingsfrauen entstand in der Schrebergartenanlage Rodacher Straße/Spittelleite. Möglich wurde das durch eine Kooperation von Coburger Vereinen, Institutionen und Ämtern.

Rema Alsaad aus Syrien braucht etwa eine halbe Stunde, um von Scheuerfeld zur Spittelleite zu kommen. Das macht ihr nichts aus, denn dort wartet in der Anlage des Schrebergartenvereins Coburg-Nord eine "Oase für die Sinne", in der sie mit ihren drei Kindern in Ruhe ein bisschen Natur genießen und selbst etwas anbauen und ernten kann. Vier weitere Frauen, drei Syrerinnen und eine Somalierin, tun es ihr gleich. "Was sie hier tun wollen, überlassen wir ihnen selbst", erzählt Wiebke Retter, Studentin der Internationalen sozialen Arbeit an der Hochschule Coburg.
Sie gehört zu den Frauen, die das dritte Migrationsprojekt "Zusammenleben - so gelingt ein gutes Miteinander - eine Oase der Sinne" gestalten. Die Initiative ging vom "Arbeitskreis keine sexuelle Gewalt gegen Frauen, Jugendliche und Kinder" aus, der im April sein 25-jähriges Bestehen feierte. Die Idee: Gärtnern als Integrationshilfe für Flüchtlingsfrauen.
"Noch im Winter haben wir einen Garten gesucht und sind in der Spittelleite fündig geworden", erzählt Marianne Morchel vom Organisationsteam des Arbeitskreises. Hilfe kam von der damaligen Vorsitzenden des Schrebergartenvereins, Kerstin Florschürz, und dem heutigen Vorsitzenden, Werner Krawitz. Schließlich fand sich eine Parzelle von etwa 200 Quadratmetern, deren Pächter ausgewandert ist. Um die Kosten der Ablöse für den Garten, die darin stehende Hütte und die Gartengeräte bestreiten zu können, war Hilfe notwendig. Die kam schnell und unbürokratisch vom Coburger Serviceclub Soroptimist International, der eine beachtliche Summe zur Verfügung stellte. Damit konnten der Ankauf und notwendige Instandsetzungsmaßnahmen finanziert werden. "Auch die Sparkasse Coburg-Lichtenfels hat das Projekt unterstützt", berichtet Morchel. Das Grünflächenamt der Stadt übernahm den Pachtvertrag und alle damit verbundenen Verpflichtungen. Darum kümmert sich vor allem Christiane Zinoni-Peschel, die beim Amt für die Freiraumgestaltung zuständig ist.
"Nun hatten wir einen Garten, aber noch keine Frauen, die ihn beackern", sagt Marianne Morchel weiter. An dieser Stelle sind dann Almut Hager von der Koordinationsstelle für Menschen mit Migrationshintergrund, Ute Wallentin und Tabea Illge vom Caritasverband ins Spiel gekommen. Sie haben interessierte Flüchtlingsfrauen vermittelt. Durch den Kontakt mit Claudia Lohrenscheit, Professorin an der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit der Hochschule Coburg, kam es zur Zusammenarbeit mit Studierenden. Es entstand eine Projektgruppe, die den Garten und die dort arbeitenden Frauen über zwei Semester betreut. Erste Pflanzen und Sämereien steuerten zwei Coburger Gärtnereien und zwei Baumärkte bei. Inzwischen wächst schon allerlei: Erdbeeren, Zucchini, Erbsen, Möhren und vieles mehr. "Es hat sich viel getan in den vergangenen Wochen", lobt Susanne Müller, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt. Das sei vor allem auch Marianne Morchel zu verdanken, die bis dato mit Garten nichts am Hut gehabt habe, sich jetzt aber richtig ins Zeug lege. Und Dritter Bürgermeister Thomas Nowak (SPD) hebt die "große Integrationsleistung" des Schrebergartenvereins Coburg-Nord hervor. "Hier haben viele Migranten eine Heimat gefunden."
Darum geht es auch den Initiatorinnen des Projekts. Flüchtlingsfrauen, die durch Krieg, Folter und Flucht traumatisiert sind, sollen durch das kreative Tun im Garten wieder etwas stabiler und selbstbewusster werden. Wiebke Retter formuliert es so: "Sie sollen hier ankommen und Wurzeln schlagen - auch durch den Kontakt zu den Nachbarn." Die Frauen werden darin regelmäßig unterstützt, in Zukunft sollen auch Veranstaltungen für Familien stattfinden. "Wichtig ist uns dabei, dass ein modernes Rollenverständnis von Frau und Mann in den Familien vermittelt wird, das gleichberechtigtes Handeln und Arbeiten im Garten zeigt", ergänzt Marianne Morchel.