Für Jack

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Markus Häggberg A uf dem Weg zur Erfüllung hat der Mensch Schwierigkeiten zu meistern. Ob die Erfüllung allerdings die Schwierigkeiten wert sind, ist natürlich eine ganz andere Frage. Aber um uns heru...

Markus Häggberg A uf dem Weg zur Erfüllung hat der Mensch Schwierigkeiten zu meistern. Ob die Erfüllung allerdings die Schwierigkeiten wert sind, ist natürlich eine ganz andere Frage. Aber um uns herum finden wir immer wieder die Botschaft von der Erfüllung nach den Mühen, und in uns die Bereitschaft, daran zu glauben. Wer das von der Erfüllung nach den Mühen sogar in Stein gehauen lesen möchte, der darf sich das am Lichtenfelser Gymnasium vor Augen führen lassen.

"Per aspera ad astra" steht dort in einen Stein geschrieben, was bedeutet, dass man über das Raue zu den Sternen gelangt. Und so, wie man über Ungemach in den Himmel gerät, so hat der Schlenderer am Marktplatz sich in zwei Richtungen abzusichern, bevor er an eine Schatzkammer kommt, die Blicke in ihr Inneres gewährt und bereithält, was etwas zum Leben zu sagen hat: Bücher, Bücher, Bücher.

Sie steht etwas unglücklich, diese Neuerung auf dem Marktplatz. Die Absicht, in welcher sie steht, ist aber gut und von Freundlichkeit getragen. Das Prinzip, das in ihr wohnt, ist es gleichfalls. Menschen, vorzugsweise Lichtenfelser, sollen aus dem Bücherschrank Bücher entnehmen und, nachdem sie diese ausgelesen haben, wieder zurückgeben oder durch andere ersetzen. So gehen Ideen und Informationen von Hand zu Hand, werden mitgenommen und wieder zurückgelegt. Auch irgendwie romantisch, eine Romantik im Kleinen eben.

Neulich aber unterhielten sich zwei Lichtenfelser in einem Café zu diesem grauen und hoch aufragenden Schrank, der im Grunde eine Immobilie darstellt. Zumindest dann, wenn man das Immobile einer Immobilie betont, das Unbewegliche also. Unverrückbar steht dieser Bücherschrank beinahe in angrenzender Nachbarschaft zum Floriansbrunnen. Die beiden Café-Lichtenfelser unterhielten sich darüber, ob der Schrank nicht doch ein wenig den Floriansbrunnen verdecke. Es sei zwar noch genug Floriansbrunnen vorhanden, aber so ein bisschen verschwände er doch hinter diesem Bücherschrank, kamen sie überein. Noch lange zogen sie den Bücherschrank in Betracht, dann erwähnten sie abwechselnd, dass sie es nicht so mit dem Lesen hätten, dafür mehr so mit dem Fernsehen.

Neulich geriet ich an den Schrank, neugierig auf den Inhalt geworden und nächtens. Das war wohl auch der Grund, weshalb ich mich mit einem Bein plötzlich in der Versenkung befand, in der Flussrinne nämlich, die entlang der Achse Floriansbrunnen und nicht mehr existentem Deichmannhaus verläuft. Der Schuh war nass, das Hosenbein auch und die Lust aufs Lesen vergangen. Kein Einblick in den Bücherschrank also, nur ein feuchtes Heimtrotten. Anderntags war Samstag und ich war aus. Als das Ausgehen aus war, war Mitternacht und ich dachte mir, ich könnte doch jetzt zum Floriansbrunnen stiefeln und gucken, was der Bücherschrank so birgt. Ich war alkoholisiert. Das war wohl auch der Grund, weshalb ich in den Floriansbrunnen fiel. Wieder war die Lust aufs Lesen verflogen, wieder ging es mir nur um mich und darum, die Wäsche zu wechseln und mit mir warm zu werden. Es sollte mir erst am dritten Tag gelingen, einen Blick und einen Griff in den Bücherschrank zu tun.

Ich näherte mich ihm bei Helligkeit und stocknüchtern. Irgendwer hatte zu meinem Erstaunen eine Sammlung von Jack-London-Romanen in den Bücherschrank gelegt. Ein leiser Anflug von Glück stieg an mir hoch und ich griff nach dem Band "Die glücklichen Inseln". Und was las ich auf dem Klappentext? Ende April 1907 stach Jack London mit einem Schiffchen namens Snark in See, zu dem er selbst die Pläne beisteuerte. Sein Steuermann konnte nicht steuern und sein Koch nicht kochen. Man kann sich vorstellen, wie die Reise verlief, doch am Ende gelangte er zu den Korallen und zu Südseeinseln. Jack und ich sind offenbar aus dem gleichen Holz. Soll noch mal einer sagen, dass die Literatur die Wirklichkeit nicht spiegelt.