Die Frau hinter der Tracht

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Eine Blusenjacke, wie sie über Rock und Mieder getragen wurde.
Eine Blusenjacke, wie sie über Rock und Mieder getragen wurde.
Bei der Arbeit: Schneiderin Anni Ernst, Renate Ortloff und Vera Käb aus Kottenbrunn (von links)
Bei der Arbeit: Schneiderin Anni Ernst, Renate Ortloff und Vera Käb aus Kottenbrunn (von links)
 
 
 
 

Die neue Haßberge-Tracht folgt strengen Regeln. Die haben in den Kursen für Widerspruch gesorgt. Warum soll es kein gelbes Mieder geben? Die Trachtenberatung zeigt den Zusammenhang in der Geschichte auf - und gibt nach.

Brigitte Krause

Sie hat Kilometer "geschrubbt": Die Kreis-Kulturbeauftragte Renate Ortloff begann vor gut zwei Jahren damit, kreuz und quer im Steigerwald, Maintal und in den Haßbergen bei Privatpersonen und in Heimatmuseen alte Kleidung anzusehen und mit der Trachtenberaterin des Bezirks Unterfranken, Christiane Landgraf, Leitlinien abzustecken für eine genau definierte "Haßberge-Tracht". Ortloff unterstreicht den wesentlichen Gesichtspunkt: "Wir haben uns an das gehalten, was geschichtlich hier vorhanden war."
Für Regionalmanagerin Jennifer Knipping war das Ganze nicht nur "Kleidersache": Sondern Darstellung regionaler Kultur, Stärkung des öffentlichen Bewusstseins für die Besonderheiten der eigenen Region sowie bürgerschaftlichen Engagements. So wurde dies zu einem Förderprojekt, finanziert von Leader, Bezirk Unterfranken und der Stiftung der Sparkasse Ostunterfranken. Als Kooperationspartner beteiligte sich der Bayerische Bauernverband, Kreisverband Haßberge. Schließlich hatte auch Kreisbäuerin Cäcilie Werner schon das Thema Tracht angehen wollen. "Ich bin eine Verfechterin von Tradition", meint die Wonfurterin, das "ist das, was ein Dorf zusammenhält". Obwohl sie sich nun ihre Tracht hat nähen lassen, wie einige andere Frauen im Landkreis, ist sie schon supergespannt: "Ich freu mich auf den 10.", sagt sie in Erwartung des Präsentationstermins im Juni. Anfängliche Bedenken, weil ja alles quasi nach nur einem Schnitt gefertigt wird, haben sich bei ihr in Luft aufgelöst, denn bei Mitstreiterinnen in Werktags- und in Festtagstracht hat sie erkannt: "Es sieht ja jede anders aus."
Als Vertreterin der Landfrauen kommt die Kreisbäuerin öfters ins Oberbayerische. Und die Selbstverständlichkeit und das Selbstbewusstsein, mit der die Kolleginnen da ihre Tracht anhaben, fasziniert sie ("Die stehen dazu"): Für Cäcilie Werner steht fest, dass sie da auch in ihrem Gewand aufkreuzen wird.
Dank der erklecklichen fünfstelligen Fördersumme erhalten die Näherinnen ein Kleid, das mehrere hundert Euro wert ist, sie aber mehr oder weniger nur die 100 Euro Teilnehmergebühr kostet. Freilich sind sie deswegen auch an feste Vorgaben gebunden. Was Renate Ortloff zur "Spielverderberin" werden ließ: Nein, andere Farben als grün und rot für das Mieder gehen nicht; nein, eine weiße Bluse für die Werktagstracht darf weder Spitze noch Rüsche bekommen, sondern muss schlicht sein; nein, der Rock darf nicht zu kurz werden, und und und... Die eine oder andere unter den 44 Nähfrauen der vier Kurse im Landkreis hat schon mit dem Schicksal gehadert. "Aber es gibt eben einen roten Faden, der eingehalten werden muss", beschreibt Ortloff den Grundgedanken, dass dieses Kleidungsstück für das Gebiet auch authentisch sein soll - eben die Haßberge-Tracht.
Die jüngste Zeit? Eine der stressigsten Phasen in ihrem Leben. So ein großes Förderprojekt hat sie noch nie angefasst, vieles war für sie Neuland. Sie blieb unbeirrbar, auch wenn Bürokratie und Vorgaben auch sie frustrierten.
Ein Glücksgefühl geben ihr solche Momente: Der Stoßseufzer von Sabine Ott aus Rügheim, als sie vor Kurzem bei der Arbeit an der Nähmaschine hervorstieß: "Wenn das fertig ist, da bin ich aber stolz auf mich!" Renate Ortloff ergänzt: "Das dürfen alle sein." Die Frauen fanden zu einer Gemeinschaft, auch das macht sie froh. Die einen kämpften noch mit den Tücken der Miedernähte, da überzogen die anderen für sie schon die Stoffknöpfe. Gegenseitig erklärte man sich den Kettstich, half sich beim Abstecken des Stoffes auf die richtige Länge oder Weite.


Diskussionen und Kritik

"Das ist doch genau das, was Leader will", sagt Ortloff. Sie hatte zu Beginn viele Diskussionen über das Wie und Was zu bewältigen. Kritik machte sich am Volant der Schürze und an der Landkreisfarbe Gelb fest. Den Volant hält die unterfränkische Trachtenberatung für unverzichtbar - der wurde genau so in der Gegend getragen. Und dachte man zuerst, ein gelbes Mieder wäre möglich, so kam vom Bezirk das Veto: Gelb war früher als Farbe Juden und Prostituierten vorbehalten, letztere trugen ein gelbes Band am Oberarm. Was zu Einspruch mancher Teilnehmerin führte: Hier lebten die Bürger doch früher friedlich mit der jüdischen Bevölkerung zusammen, es entstand eine große jüdische Gruppe. Im Hier und Jetzt könne und wolle man das Judentum doch nicht ausgrenzen? Die Trachtenberatung gab nach, bestand aber darauf, dass die geschichtlichen Hintergründe transparent gemacht würden. Das goldfarbene Mieder bei der Festtagstracht darf somit als positives Symbol angesehen werden. Das Hin und Her ließ nach, "die Disziplin ist in der Zeit gewachsen", sagt Renate Ortloff, und es freut sie, dass alle Frauen, 44 unterschiedliche Charaktere, mitzogen.


Der Rat der Praktikerin

Blümerant wird es der Kreiskulturbeauftragten, wenn sie darüber nachdenkt, wie es gelaufen wäre, hätte sie nicht der VHS-Kurs-erfahrenen Maßschneiderin Anni Ernst vertraut. Die Praktikerin unterwarf alles der Frage: "Wie bleiben uns die Leute bei der Stange?" Von Hand einen Rock stifteln? "Vergessen Sie's." Letztlich sorgte sie dafür, dass die Kleidungsstücke gut sitzen.
Was kommt nach dem offiziellen Vorstellungstermin, dem Freitag, 10. Juni? Renate Ortloff muss alles dokumentieren, ein Flyer muss gestaltet, das Patent auf die original Haßberge-Tracht erhoben werden ("Wir sind ja froh, wenn die Leute es machen, aber es muss richtig sein"). Andere Bezirke bieten Schnitte an. Fest steht schon, dass es im November einen VHS-Trachtennähkurs in Untersteinbach geben wird. Auch mit Vereinen steht Renate Ortloff schon längst in Verbindung.