Am zweiten Tag ging es 34,5 Kilometer nach Neumarkt in der Oberpfalz und das Kloster St. Josef war meine Übernachtungsstätte. Am dritten Tag führte mich mein Weg mit vielen Steigungen 38,5 Kilometer nach Mühlbach.
Gab es besonders schwierige Tage?
Der vierte Tag war der schwerste. Schließlich lag mein Tagesziel 46 Kilometer von mir entfernt in dem Markt Rohr in Niederbayern (Landkreis Kehlheim). Nach einer mächtigen Steigung wartete eine Belohnung (der Biergarten von Kloster Weltenburg) auf mich. Irgendwann hatte ich aufgehört zu zählen, wie oft ich stehenbleiben musste, um durchschnaufen zu können. Für diesen Tag hatte ich mir passenderweise den "Schmerzhaften Rosenkranz" ("Der für uns Blut geschwitzt hat...") aufgehoben und um einen Absatz ("Der für uns den schweren Rucksack getragen hat") erweitert. Im Kloster ließ ich mir mein Pilgerpfännle schmecken, jedoch immer den Gedanken im Kopf: "Jetzt hast du erst die Hälfte deiner Strecke - also 23 Kilometer - geschafft". Also schnallte ich mir meinen Rucksack wieder schweren Herzens auf den Buckel und marschierte weiter.
Total erschöpft erreichte ich um 17 Uhr mein Ziel. Die kleinen Wehwehchen, die sich täglich meldeten, waren erträglich. War es am zweiten, dritten und vierten Tag das rechte Bein, angefangen am Fußknöchel, dann das Schienbein und schließlich das Knie, war jetzt halt mal eine andere Stelle dran, nämlich das Hinterteil. Nun ging es dem baldigen Ziel entgegen. War die Strecke jetzt leichter? Am fünften Tag waren die Beine noch etwas müde, aber das kleine "Wehwehchen" war verschwunden. Die Bildstöcke und Gedenktafeln wurden immer zahlreicher und auch die Wegkreuze veränderten ihr Aussehen. Da kurz vor dem Ziel am Horizont dunkle Wolken aufzogen, legte ich einen Zahn zu und erreichte noch trockenen Fußes meine einfache Unterkunft mitten im Industriegebiet von Ergolding. Am sechsten Tag gab es einen besonderen Höhepunkt.
Dieser Tag machte mir schon bei der Planung Freude. In 41,5 Kilometern Entfernung lag mein Tagesziel: Neumarkt Sankt Veit, wo mich das "Vitusstüberl" erwartete. Als ich die Frage eines Bauern nach meinem Ziel beantwortete, kam ein kurzes aber gebührendes: "Respekt", welches ich später noch öfters hörte. In Neumarkt Sankt Veit ließ ich bei gutem Bier und leckerem Essen im "Vitusstüberl" den Tag ausklingen. Am Ziel angekommen. Wie fühlte sich das an? Der letzte Tag erwachte und läppische 25,5 Kilometer trennten mich von meinem Ziel. Bei Winhöring, gute sechs Kilometer vor Altötting, musste ich kurz die Gleisanlagen der DB auf einer schmalen Eisenbrücke betreten. Nahe der Brücke vor Neuötting kam mir meine Frau entgegengelaufen. Je näher ich der Innenstadt kam, desto deutlicher hörte ich Blasmusik eines Festzugs, denn es wurde die "Altöttinger Hofdult" gefeiert. Bald zeigte sich die Gnadenkapelle und die Stiftskirche von ihrer schönsten Seite und der Kapellplatz gehörte mir fast ganz alleine. Mein Weg war nach 265 Kilometern ohne eine Blase an den Füßen zu Ende. Noch ein aus ganzem Herzen kommendes, seufzendes "Ja, ja, ....." und gut ists. Gab es einen Nachweis für den Pilgerweg wie beim Jakobsweg?
Natürlich. Dazu begab ich mich zur "Pilgerbetreuung" auf dem Kapellplatz. Als man dort meine Wegbeschreibung gehört hatte, holte einer spontan den besonderen Pilgerstempel aus der Sakristei, der normalerweise nur bei besonderen Anlässen oder Jubiläen vergeben wird. Eine Medaille gab es obendrein. Auf dem Pilgerpass stand der Anfang des Mariengebets, das auf der Rückseite meines Gebetbuchbildchens abgedruckt ist. War das Zufall? Ein großer Kreis hatte sich geschlossen.
In der Stiftspfarrkirche besuchten meine Frau und ich noch den "Sensenmann". Nachts hatte ich dann Schwierigkeiten mit dem Schlafen und so stand ich um 4.30 Uhr auf und lief zum Kapellplatz. Ganz romantisch lag die Gnadenkapelle im ersten Morgenlicht da. Niemand weit und breit. Bei meinem Streifzug mit der Kamera um die Kapelle herum bemerkte ich Licht in der Sakristei. Ohne zu zögern trat ich ein. Der Mesner bereitete gerade die Kapelle für die Öffnung um 5.30 Uhr vor. Ich erzählte ihm von meinem Pilgerweg und fragte ihn, ob ich einige Bilder vom Gnadenaltar machen dürfe, was eigentlich verboten ist. Ich hörte wieder ein "Respekt" und er erlaubte es. Bis zur Öffnung war ich völlig alleine, was nochmal ein besonderes Erlebnis für mich war. Ein perfekter Abschluss für eine Pilgerreise. Das Gespräch führte Johanna Blum.