Der Gebrauchsgrafiker Erich Meerwald, einer der erfolgreichsten Briefmarkenkünstler des Deutschen Reiches, sucht bei Kriegsende Zuflucht in Kulmbach. Nach 1945 kommt er sofort wieder ins Geschäft.
WOLFGANG SCHOBERTH Im Februar 1944 kommt Erich Meerwald mit seiner Frau Alice auf die Plassenburg. An ihrer Seite sind Dutzende von Historikern, Schriftstellern, Grafikern, Radio- und Zeitungsjournalisten. Sie gehören zur Abteilung C 1/II des SS-Hauptamtes. Innerhalb des riesigen Apparats der SS ist sie zuständig für den Bereich "Wissenschaft und Weltanschauung". Erich Meerwald ist SS-Scharführer. Ein kleines Licht in der Allgemeinen SS, im Dienstgrad eines Unteroffiziers. Er ist kein Ideologe, sondern der Typ eines unpolitischen Künstlers, der jeden Auftrag annimmt und auch vor Propaganda nicht zurückschreckt. Als Sohn Berliner Eltern wird er 1895 in Lothringen geboren. Im Ersten Weltkrieg ist er mit Begeisterung Soldat und schlägt die Offizierslaufbahn ein.
Nach der Niederlage 1918 erfolgt ein radikaler Kehrtschwenk: Meerwald beschließt, Schauspieler zu werden und schreibt sich am Berliner Staatstheater ein. Doch die Ausbildung bricht er nach kurzer Zeit ab, da sich bei ihm ein ganz anderes Talent offenbart: wirkungsvolle Plakate und Bühnenbilder zu entwerfen. Er reicht bei einer Modefirma, die Reklame-Ideen sucht, Vorschläge ein. Sie schlagen ein. Meerwald trifft den Geschmack der Zeit und der Masse. Dem Autodidakten gelingt es, sich in dem reizüberfluteten Berlin der 1920er Jahre einen Namen zu machen. Filmgesellschaften wie Ufa, Tobis, Terra und Bavaria klopfen bei ihm an und lassen sich Kinoplakate entwerfen.
Volkssturm und SS-Kämpfer
1939 erfolgt ein weiterer Sprung nach oben: die Deutsche Reichspost beauftragt ihn erstmals mit Entwürfen für Briefmarken. Mit 32 Postwertzeichen ist er der meistbeschäftigte Briefmarken-Designer des Deutschen Reiches. Anfänglich sind es unpolitische Motive wie etwa der VW Käfer zur Automobilausstellung 1939, später ist es offene Nazi-Propaganda: die Waffengattungen der Wehrmacht zum "Heldengedenktag" oder BDM-Maiden zum "Tag der Verpflichtung der Jugend" (1943).
Nach seinem Umzug nach Kulmbach reißt die Kette nicht ab. Im Februar 1945 wird die von ihm entworfene Marke "Ein Volk steht auf" ausgegeben. Sie zeigt eine Dreiergruppe des "Volkssturms", einen erfahrenen Landser, einen 60-Jährigen und einen Hitlerjungen. Auch die letzte Marke des "Großdeutschen Reiches" stammt von ihm. Sie zeigt einen Infanteristen der Waffen-SS mit geschultertem MG 42. Als die Marke am 20. April 1945 erscheint, stehen die Amerikaner schon eine Woche in Kulmbach.
Porträts der Hagen-Söhne
Nach dem Ende des Krieges fällt es Meerwald nicht schwer, bald wieder Aufträge zu bekommen. Oberbürgermeister Georg Hagen lässt von ihm seine drei blutjung gefallenen Söhne nach vorhandenen Fotos in der von Filmplakaten vertrauten Gouachetechnik malen: Theo und Siegfried schon 1945, Fritz dann 1947. Für einen Außenstehenden ist es schwer zu verstehen, wieso der SPD-Mann Hagen, Exponent einer verfolgten Partei, die gegen Hitler und Krieg angekämpft hat, ausgerechnet Meerwald damit betraut.
1946 lithographiert er zwei Ansichten der Kulmbacher Altstadt: den Roten Turm und den Main bei der Fischergasse. Gedruckt werden die Steinzeichnungen in dem kleinen Verlag Vetterlein in der Kulmbacher Beethovenstraße 1.
Durch die Bekanntschaft mit Hagen wird Meerwald mit der Illustration des Goldenen Buches der Stadt Kulmbach beauftragt. Seine fein ziselierten Kalligraphien zur Würdigung der Deutschen Radballmeister Willi und Rudi Pensel oder des zum Ehrenbürger ernannten Kunstmalers Michel Weiß sind ein Augenschmaus.