Der "lila Winkel"

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Frieda Ott nach dem Krieg, die lange über ihre traumatischen Erlebnisse kaum sprechen konnte. Unten die Erklärung, die Zeugen Jehovas unterschreiben sollten, um aus Konzentrationslagern entlassen zu werden. Quelle: pr/ Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas
Frieda Ott nach dem Krieg, die lange über ihre traumatischen Erlebnisse kaum sprechen konnte. Unten die Erklärung, die Zeugen Jehovas unterschreiben sollten, um aus Konzentrationslagern entlassen zu werden.  Quelle: pr/ Geschichtsarchiv der Zeugen Jehovas
 

Vor 80 Jahren  Das NS-Regime verschärfte den Druck auf alle "Reichsfeinde". Der Protest der Jehovas Zeugen verhallte, die zu den ersten Verfolgten gehörten und Hitler auch in Bamberg den Gehorsam verweigerten.


von unserem Redaktionsmitglied Petra Mayer

Bamberg — Die Hakenkreuzfahne wehte am Rathaus. Aus der Langen Straße war die Adolf-Hitler-Straße, aus dem Marien- der Hindenburgplatz geworden. In den Ruhestand hatten die Nationalsozialisten Bambergs beliebten OB Luitpold Weegmann gedrängt, der zuvor sogar in Schutzhaft genommen wurde, weil er einen Gauführer beleidigt hatte. Damit lebten die Menschen vor 80 Jahren, nachdem eines der schwärzesten Kapitel der Stadtgeschichte begonnen hatte und sich Tag für Tag die Situation aller "Volks- und Reichsfeinde" verschlimmerte. Darunter die Jehovas Zeugen, die aus ihrem Glauben heraus Widerstand leisteten - viele bis in den Tod: Opfer des Nationalsozialismus, die lange vergessen waren.

Schon 1933 verboten

Verfolgt wurde die Religionsgemeinschaft, nachdem sie sich dem NS-Regime von Anfang an widersetzte. In weiten Teilen des Landes waren die "ernsten Bibelforscher" im Juni 1933 bereits verboten, in Bayern noch früher - nicht mal drei Monate nach der Machtübernahme. Frieda Ott und Hans Frank (Name geändert) gehörten zu den Bambergern, die dem "Führer" jeden Gehorsam verweigerten: kein Hitlergruß, kein Beitritt zu sämtlichen Organisationen der NSDAP, kein Wehr- oder gar Kriegsdienst. Hans Frank wurde aus der Schule (und später Lehre) geworfen, weil er die Hand nicht zum "Deutschen Gruß" erhob. In ein Waisenhaus kam der 13-Jährige, nachdem seine Mutter von der Gestapo verhaftet und ins KZ Ravensbrück überstellt wurde - mit jenem lila Winkel auf der Häftlingskleidung, der sie als Zeugin Jehovas auswies. 1944 wurde die Bambergerin zum Tode verurteilt und wäre vermutlich in der Gaskammer des Frauenkonzentrationslagers gestorben, wenn Deutschland den Krieg gewonnen hätte: Weil sie ihrem Glauben treu blieb.

Ein Martyrium

Traumatisiert überlebte auch Frieda Otto das Konzentrationslager. Erst 1987 starb die Zeugin Jehovas und fand auf dem Bamberger Friedhof zur letzten Ruhe. "Es dauerte, bis sich Frieda nach dem Krieg Menschen wieder öffnen und über ihre Erlebnisse sprechen konnte", sagt Elfriede Stilkerich als langjährige Freundin. Man hatte alles getan, um den Willen der Inhaftierten zu brechen. "Gleich anfangs mussten sich die Frauen nackt ausziehen, um ihre Häftlingskleidung anzulegen, während die Hunde der Wächter auf jede Bewegung reagierten und immer wieder zuschnappten - auch bei Frieda." Ein Martyrium begann für die zierliche Fränkin, die im Winter stundenlang im Freien strammstehen musste und sich dabei Erfrierungen zuzog, die von Lager zu Lager geschoben wurde und ihre Überzeugung trotz Essensentzug und Dunkelarrest nicht verriet. So waren die Zeugen Jehovas die einzigen KZ-Insassen, die sich durch eine Willenserklärung freikaufen konnten, sofern sie ihrem Glauben abschworen.

Fast 90 Prozent der Häftlinge

Dazu aber waren Menschen wie Frieda Ott nicht bereit, die schon vor ihrer Inhaftierung im Frauen-KZ Moringen (wo zeitweise fast 90 Prozent der Häftlinge Zeuginnen Jehovas waren) zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde. Weil sie weiter von Tür zu Tür ging, um ihre Missionsarbeit fortzusetzen, hatte sie das Sondergericht Nürnberg 1935 erstmals für drei Monate ins Gefängnis geschickt. Eine halbjährige Haftstraße folgte später auch wegen "Nichtbeteiligung an politischen Kundgebungen und Ablehnung des Hitlergrußes".
Eine Haltung, die die offizielle Linie der Religionsgemeinschaft spiegelt. So entschieden sich die Zeugen Jehovas 1934 auf einem internationalen Kongress für eine Intensivierung der Missions- und Propagandatätigkeit im Deutschen Reich. Protestbriefe und Telegramme von Mitgliedern s aus aller Welt an Adolf Hitler folgten: "Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten." Das "Tausendjährige Reich" bestand natürlich weiter und sollte erst 1945 in Schutt und Asche versinken.

In der DDR erneut inhaftiert

1933 lebten in Deutschland zwischen 25 000 und 30 000 Zeugen Jehovas. Bis 1945 wurden 11 300 deutsche und ausländische Angehörige der Religionsgemeinschaft inhaftiert, 2000 davon in Konzentrationslager. 950 deutsche "Bibelforscher" überlebten die Haftbedingungen nicht. Im Osten war die Verfolgung der Zeugen Jehovas nach dem Krieg übrigens noch lange nicht vorbei. Zunächst erhielten sie in der DDR zwar eine Zulassung zur "gottesdienstlichen Betätigung", wie bei Wikipedia nachzulesen ist. Im August 1950 unterstellte man der Vereinigung aber schon "Boykotthetze" gegen demokratische Einrichtungen, Spionage. Wieder wurde die Gemeinschaft verboten. So kamen bis zum Mauerfall erneut über 5000 Zeugen Jehovas in Justizvollzugsanstalten und Haftarbeitslager. 60 Inhaftierte starben infolge von Misshandlungen, Unterernährung, Krankheit oder hohen Alters. Ein Teil der Betroffenen, so Wikipedia, waren "Doppeltverfolgte", die bereits im Nationalsozialismus in Konzentrationslagern oder Gefängnissen saßen.