Dem Sterbenden einfach zuhören

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Was tun, wenn die Medizin nicht mehr kuriert, sondern nur noch verlängert, was ohnehin zu Ende ist? Palliativarzt Roland Martin Hanke spricht sich für den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit aus.

Noch vor 19 Uhr begann das große Stühlerücken im Myconiushaus, das Dazustellen und reihenweise Nachbestuhlen im ersten Stock. Dass der Vortrag über Sterbefasten und somit den freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit so viele Interessenten anziehen würde, hätte Evelyn Kondruss wohl nicht gedacht. "Überwältigt" vom Andrang sei sie, so die Vorsitzende des Hospizvereins Lichtenfels in ihrer Begrüßung des Referenten Roland Martin Hanke.
Der hatte ein Sterbethema parat, eines zu einem frei gewählten würdigen Ausklang. Er füllte es mit Lebendigkeit. Roland Martin Hanke ist nicht irgendwer: Vorsitzender des Hospizvereins Fürth und Palliativmediziner. In dieser Eigenschaft also jemand, der sich dem Komfort für Sterbende verschrieben hat, weil das Kurierende der Medizin nicht mehr greift. "Dem Leben verpflichtet" steht auf der Rückseite seiner Visitenkarte, dem Menschen somit.
Der volle Saal, vor dem er sprach, war angefüllt mit Hospiztätigen aus Lichtenfels und den Nachbarlandkreisen, mit Ehrenamtlichen, die letzte Wege begleiten und nach weiteren hilfreichen Einsichten zu ihrem Tun suchten. Und mit Zuhörern, die außerdem auch an den juristischen Facetten des Themas interessiert waren.
Aber wie geht man damit um, wenn ein Sterbender sich dazu entschließt, auf Nahrungsaufnahme zu verzichten und sein Sterben somit zu forcieren? Eine Frage, die ja auch das Feld der Schuldgefühle berührt. Und eben diese Annahme sei nicht ganz korrekt: "Man stirbt nicht, weil man nicht isst - man isst nicht, weil man stirbt!", so der Vortragende.
Hanke wirkt in seiner Erscheinung freundlich. Kein Arzt, der wie ein beinharter nüchterner Existenzialist wirkt, sondern einer mit Zugang zur Spiritualität. Irgendwann während des Austauschs mit dem Publikum wird er den Satz fallen lassen, wonach das Sterben des Menschen selbst schon eine spirituelle Angelegenheit ist.
Einer Definition des Sterbefastens folgt Hanke besonders: "Stärkster Ausdruck der Selbstbestimmung des Menschen". Allerdings steht diese Definition zwingend unter Einschränkung, denn es geht um die Verkürzung eines Leidens- und Sterbeprozesses, der nachweislich absolut unumkehrbar ist. "Die, die das begleiten, dürfen nicht das Gefühl haben, aus dem Leben geschubst zu haben", so der Palliativmediziner. Aus Sicht seiner Fachdisziplin lässt sich sogar sagen, dass ein kompletter oder schrittweiser Nahrungsaufnahmestopp sterbenden Menschen Erleichterungen und Annehmlichkeiten verschafft. Der Würgereiz wird weniger, Erstickungsgefühle durch sich ansammelnde Lungenflüssigkeit auch, ausgeschüttete Endomorphine steigern gar Wohlbefinden. Vier Phasen durchlaufe der forcierte Sterbeprozess, beginnend mit der freien und "wohlerwogenen" Entscheidung des Sterbenden, die nicht aus Depression geboren sein dürfe, über gewissenhafte Abklärung rechtlicher Belange oder der aufgeklärten Einbeziehung von Angehörigen ins kommende Geschehen. Und doch sei Zuneigung das Dach, unter das der Sterbende gestellt sei, wenngleich sich diese bei Pflegenden anders äußert. Im Verbringen gemeinsamer wertvoller Zeit mit wichtigen Aussprachen anstelle der in unserer Kultur üblichen Ansicht, wonach Liebe und Füttern zusammengehören.
Noch lange erörterten Hanke und die Besucher allerlei Aspekte des Themas, die auch die Hospizmitarbeiter nach außen tragen dürften. Oder wie Besucherin Edith Grassl-Kaufmann aus Lichtenfels zu einem Aspekt des Abend zusammenfasste: "Ich nehme mit heim, wie viel dieses Zuhören (dem Sterbenden) bedeutet. Es sieht so passiv aus und ist so aktiv."