Viele Rentner gehen finanziell auf Krücken

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Gibt's nicht mehr: Das "Tischlein-Deck-Dich" der Caritas musste wegen der strengen Hygieneverordnung aufgegeben werden. Foto: Andreas Oswald/Archiv
Gibt's nicht mehr: Das "Tischlein-Deck-Dich" der Caritas musste wegen der strengen Hygieneverordnung aufgegeben werden. Foto: Andreas Oswald/Archiv
Mit dem Auszug der Redemptoristen aus dem Kloster gibt es auch keine Armenspeisung mehr, wie die Suppenküche. Foto: Andreas Oswald/Archiv
Mit dem Auszug der Redemptoristen aus dem Kloster gibt es auch keine Armenspeisung mehr, wie die Suppenküche. Foto: Andreas Oswald/Archiv
 

Der Fall eines Seniorenpaares, das sich mit verfallenen Lebensmittel aus dem Container eines Supermarktes in Forchheim bedient hatte, wirft ein Schlaglicht auf die Situation von Menschen, die zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig besitzen. Erschreckend: Auch in Forchheim sammeln Menschen Pfandflaschen und Zigarettenstummel auf.

Heftige Leser-Reaktionen ausgelöst hat der am Sonntag auf infranken.de erschienene Bericht "Älteres Pärchen klaut abgelaufene Lebensmittel". Zwei alte Leute zu verhaften, die Essen stehlen müssen, sei beschämend, wurde beispielsweise via Facebook kommentiert. Während die Polizei den Fall nach dem "Legalitätsprinzip" beurteilt, wird er bei der Caritas als ein Beispiel gesehen, das die Altersarmut augenfällig werden lässt.

Wie Peter Neder, der Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken, erklärt, seien die Beamten verpflichtet, Straftaten nachzugehen, sonst würden sie sich selber strafbar machen. Auch wenn die Lebensmittel im Hinterhof des Supermarktes zur Entsorgung bestimmt gewesen seien, seien sie immer noch privates Eigentum. Ob die Sache weiterverfolgt oder das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werde, sei Angelegenheit der Staatsanwaltschaft.

Werner Lorenz, der Leiter der Sozialberatung bei der Caritas in Forchheim, kann verstehen, dass die Polizei so handeln musste. Das sei nicht der Skandal. "Der Skandal ist, dass alte Leute in eine solche Situation kommen." Kein Einzelfall offenbar: Wenn er durch die Straßen Forchheims gehe, berichtet Lorenz, fielen ihm immer häufiger Menschen auf, die alles Mögliche aus den Mülltonnen fischen: von Pfandflaschen bis zu Zigarettenstummeln. "Es ist erschreckend", stellt der Sozialberater fest.

Das amerikanische Phänomen "working poor" - also Armut trotz Erwerbstätigkeit - mache sich auch hierzulande breit. Für Caritas-Geschäftsführer Peter Ehmann ist das ein Indiz für einen grundsätzlichen sozialen Wandel: "Bisher gab es Armut wegen Arbeitslosigkeit. Mittlerweile gibt es immer mehr Arme - trotz Arbeit." Der Fachbegriff für diese paradoxe Situation heißt "prekärer Wohlstand". Das ist der vermeintliche Wohlstand, der sich unmittelbar in Armut umkehrt, durch plötzliche Krankheit, den Verlust des Arbeitsplatzes , "aber auch durch die zunehmende Tarifflucht von Arbeitgebern", wie der Caritas-Geschäftsführer bereits 2008 in einem Bericht unserer Zeitung zur Armutssituation festgestellt hatte. So verzeichnet die Caritas ein neues Klientel: Auch Menschen aus der Mittelschicht werden zunehmend unterstützungsberechtigt. Grund: Die Nettoverdienste stimmen nicht mehr. "Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverträge wie Minijobs sind schuld, dass es trotz Arbeit Armut gibt", erklärt Werner Lorenz. Die Zahl der Armutsgefährdeten habe sich nicht reduziert, sondern sei vielmehr ansteigend , stellt der Sozialberater fest und warnt: "Kommen diese Leute ins Rentenalter, sind ihre Ruhestandsbezüge so gering, dass sie auf Grundsicherung angewiesen sind."

Beim Ausstellen der Berechtigungsscheine für den Sozialladen spürt die Caritas die Altersarmut. In dem Laden in der Birkenfelder Straße werden von Firmen gespendete Lebensmittel, die kurz vor dem Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums (MHD) stehen oder diese nur geringfügig überschritten haben, zu einem symbolischen Preis von zehn bis 15 Prozent des regulären Angebotes an bedürftige Personen verkauft. Von den 1350 Personen, die jährlich im Sozialladen einkaufen, sind immerhin zehn Prozent Senioren.

Tischlein-Deck-Dich abserviert

Bis 2013 hatte die Caritas für bedürftige alte Leute noch ein weiteres Hilfsangebot: Das "Tischlein-Deck-Dich". Angeregt durch die Privatinitiative einer Frau, die ältere Mitbürger regelmäßig zum Essen eingeladen hatte, entstand bei der Caritas die Idee, soziale Mittagstische in Stadt und Landkreis anzubieten. Das "Tischlein-Deck-Dich" war geboren. Ein Erfolgsrezept - das jedoch durch Auflagen zunichte gemacht worden ist. "Die Abschaffung unserer Mittagstische für Senioren auf Grund der Auflagen der Lebensmittelhygiene, das macht mich traurig", gesteht Caritas-Geschäftsführer Peter Ehmann.Vor allem, weil es nur Lappalien gewesen seien, die moniert worden waren.

Die Stadt Bamberg hat daraus gelernt. Sie gebe in Kürze einen Ratgeber heraus, so berichtet Ehmann, der Hilfsinitiativen darüber aufkläre, welche Hygienerichtlinien bei der Gründung einer Tafel zu beachten seien.
Ein weiteres Angebot für Bedürftige in Forchheim hat ebenfalls dichtgemacht: die Suppenküche im Kloster St. Anton. Grund dafür war keine Behörde, sondern schlicht und ergreifend der Auszug der Redemptoristen aus dem Kloster, das jetzt zu einem Wohnviertel wird.


Der Stadt geben die Zeichen der Zeit offenbar zu denken. Der Seniorenbeirat hat eine Erhebung veröffentlicht, die neue Einblicke in das Leben der älteren Generation gibt. Als Vorsitzender Klaus Thormann im vergangenen Jahr die Zahlen präsentierte, reagierten die Stadträte erschrocken: 39 Prozent der Senioren in der Stadt müssen mit weniger als 1000 Euro im Monat auskommen. Zehn Prozent sind gezwungen, mit nur 500 Euro über die Runden zu kommen.

Grundsicherung

Altersstütze: "Grundsicherung ist die Sozialhilfe für Menschen im Rentenalter, mit wenig oder keinem Einkommen", erläutert Caritas-Sozialberater Werner Lorenz.

Höhe: Die Grundsicherung für einen Einpersonen-Haushalt beträgt 399 Euro, zuzüglich angemessener Wohnkosten - wobei die Obergrenze der Kaltmiete bei 338 Euro, plus einer Heizkostenpauschale, liegt.

Zunahme: Immer mehr Senioren im Landkreis beziehen Grundsicherungsleistungen. Wie sich die Zunahme entwickelt zeigt Bernhard Rettig auf, der am Landratsamt für soziale Angelegenheiten zuständig ist: 2010 waren es 252 Leistungsbezieher, 2013 bereits 306. Die Sozialbehörde erwartet eine stetige Steigerung.


Kommentar: Ein Armutszeugnis

Ursprünglich war das Armutszeugnis der amtliche Nachweis materieller Bedürftigkeit. Doch wenn alte Leute aus finanzieller Not in die Tonne greifen müssen und damit einen Staatsanwalt beschäftigen, dann ist dies nicht ein Armutszeugnis für die insolventen Senioren, sondern für unseren Wohlstandsstaat. Der spannt Rettungsschirme für Banken und marode Staaten auf, zahlt Sozialbezüge auch an Menschen, die so gut wie nichts in unser Sozialsystem eingebracht haben, lässt aber die im Regen stehen, die ihr Leben lang viel gearbeitet haben - für wenig Geld. Diese Menschen schlagen jetzt als Rentner bei der Grundsicherung auf. Schlimm genug, dass die zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig ist. Schlimmer noch ist, dass der Staat diesen Menschen auch die Chance nimmt, sich etwas dazuzuverdienen, weil jedes Zusatzeinkommen auf die Grundsicherung angerechnet wird.

Aber auch wer Altersvorsorge betrieben hat, ist nicht gefeit vor Altersarmut. Denn für viele neue Rentner entpuppt sich ihre betrieblichen Altersvorsorge als übles Überraschungsei, wenn von der Versicherungssumme die vollen Krankenkassenbeiträge geschröpft werden. Diese Mogelpackung wurde übrigens vor über zehn Jahren geschnürt, als die Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und den Grünen verabschiedet wurde. Als Gesundheitsministerin federführend war damals Ulla Schmidt (SPD).