Schulrektor aus Unterleinleiter findet Sitzenbleiben demütigend

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Michael Bauer
Michael Bauer

Michael Bauer, Schulrektor aus Unterleinleiter, widerstrebt das Denken in Klassen-Zielen.

Michael Bauer ist Rektor an der Grundschule Unterleinleiter. Der 55-jährige Pädagoge hat die Vision einer Gesellschaft, in der Bildungsgerechtigkeit herrscht.

Erleben Ihre Schüler das Sitzenbleiben als demütigend?
Michael Bauer: Ja, als demütigend, frustrierend und beschämend.

Also besser keine Ehrenrunden?
Solange wir ein Schulsystem haben, in dem es Klassen-Ziele gibt und solange es ein gegliedertes Schulsystem gibt, muss man sagen dürfen, du hast das Klassenziel nicht erreicht. Das System ist nicht inklusiv, es ist selektiv und daher gibt es Schüler, die Klassen wiederholen.

Sie meinen, es ist sinnlos, die Ehrenrunden abzuschaffen, solange es keine Inklusion gibt?
Es geht um viele Faktoren, nicht nur um die Ehrenrunden.
Das ganze ist eine Pyramide, die auf vielen Bausteinen steht. Auf die Ehrenrunde verzichten, das wäre nur sinnvoll, wenn es auch keine Noten mehr gäbe. Keine Noten heißt auch: kein gegliedertes System. Der Verzicht auf dieses System heißt: Keine reine Jahrgangsklassen. Bildungsgerechtigkeit bedeutet, allen dieselben Bildungsangebote machen, jedoch unterschiedliche und erreichbare Ziele gemeinsam zu setzen und so die Schüler individuell zu fördern.

Fühlen Sie sich alleine mit solchen Forderungen?
Keineswegs. Ich habe genug Kongresse besucht, um zu wissen, dass eine große Zahl von Pädagogen so denkt. Aber eine neue Pädagogik muss auch politisch gewollt sein. Unsere Gesellschaft ist offenbar noch nicht so weit. Die Gesellschaft denkt exklusiv, da nützt es nichts, eine inklusive Schule zu fordern, das ist nur Wortklauberei. Ich halte Inklusion für richtig. Und wenn ich etwas für richtig halte, will ich es auch tun. Dass Inklusion möglich ist, das zeigen andere Länder. Ich erwähne immer wieder das Beispiel Südtirol.

Dort wird Inklusion behinderter Menschen vorbildlich praktiziert. Ist das für alle Schüler denkbar?

Wo sollen die Grenzen sein? Was ist der Unterschied zwischen behinderten und nichtbehinderten Schülern? Wenn Sie schlecht in Latein sind und ausgeschlossen werden, fühlt sich das auch wie eine Behinderung an.

Haben Sie selbst schlechte Erfahrungen als Schüler gemacht?
Ich bin nie sitzen geblieben. Aber ich war kein guter Schüler. Auch der Druck, der entsteht, wenn man sitzen bleiben könnte, ist schmerzhaft.

An so etwas wie einen heilsamen Schock für Sitzenbleiber glauben Sie also nicht?
Den heilsamen Schock als Argument für das Sitzenbleiben zu benutzen, halte ich für sehr fraglich. Es geht meist lediglich um die Angst vor neuen und den Erhalt bestehender Systeme.