Lagebericht 1938: "Am allernotwendigsten hatten die Bauern der Umgebung"

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Bertha (geb. 1873) und Karl (geb. 1867, † 1943) Fleischmann flüchteten nach der "Judenaktion" aus Aufseß zu ihrem Sohn nach Bayreuth. Hier verstarb Bertha 1941, Karl wurde später ins KZ Theresienstadt deportiert. Foto: aus Arnold Fleischmann (Enkel): Lights & Shadows. A Memoir, Baltimore 2010
Bertha (geb. 1873) und Karl (geb. 1867, † 1943) Fleischmann flüchteten nach der "Judenaktion" aus Aufseß zu ihrem Sohn nach Bayreuth. Hier verstarb Bertha 1941, Karl wurde später ins KZ Theresienstadt deportiert.  Foto: aus Arnold Fleischmann (Enkel): Lights & Shadows. A Memoir, Baltimore 2010

Bei der Aktion gegen die Juden am 10.11.1938 in Aufseß wurden von Bayreuther Angehörigen der SS sämtliche Juden festgenommen und in ein Nebenzimmer der Kath. Schrenkerschen Gastwirtschaft verbracht.

Abschrift aus dem Lagebericht der Polizeistation Aufseß vom 25. November 1938 im Staatsarchiv Bamberg (Signatur: KLs 26/48, K 106 - 842 -1):

"Bei der Aktion gegen die Juden am 10.11.1938 in Aufseß wurden von Bayreuther Angehörigen der SS unter Führung des Sturmführers Karl Telle von Bayreuth, sämtliche Juden, zwei Männer und drei Frauen, alle über 60 Jahre alt festgenommen und in ein Nebenzimmer der Kath. Schrenkerschen Gastwirtschaft verbracht. Die Wohnungen wurden hierauf von SS-Angehörigen und dem Bürgermeister Seitz von hier durchsucht und alles vorgefundene Bargeld beschlagnahmt. Hiebei wurden in den Wohnungen der Juden die Möbel umgeworfen und die Inneneinrichtungen der Zimmer zum größten Teil demoliert.

Am allernotwendigsten hatten die Bauern der Umgebung, die bei dem früheren Viehhändler Karl Fleischmann in Aufseß noch Schulden hatten. Es handelt sich hier teilweise um geliehenes Bargeld und teilweise Schulden, die durch Belieferung mit Vieh entstanden waren. Dem Juden Fleischmann wie auch teilweise dem Juden David von hier wurden mit Blei vorgeschriebene Quittungen vorgelegt, die sie unterschreiben und in ihnen erklären mußten, dass sie auf die Zurückzahlung der Schulden Verzicht leisten. Wollten sie nicht unterschreiben, dann wurden sie durch entsprechende Einwirkungen gefügig gemacht.

Bei dem Juden Fleischmann in Aufseß wurden Schuldscheine im Gesamtbetrage von etwa 15 000 Mark beschlagnahmt. Die Schuldscheine befinden sich bei der Kreisleitung in Heiligenstadt.

Die von den Juden unterschriebenen Quittungen hat ein gewisser Hans Neuner vom Gaupropagandaamt an sich und mit nach Bayreuth genommen.

Weiter wurde der Jude Fleischmann in Aufseß durch entsprechende Einwirkungen veranlasst, sein gesamtes Anwesen mit 14 Tagwerk Grund und Boden im Gesamtwerte von etwa 16 000 M. ohne Entschädigung der Gemeinde Aufseß zu übergeben. Letzteres ist bereits geschehen und notarisch verbrieft. Die Gemeinde Aufseß hat daher alles Vieh und die sonstigen landw. Arbeitsgeräte öffentlich versteigern lassen und hiefür den Betrag von über 1200 M. vereinnahmt.

Weiter wurden während der Aktion von der SS beschlagnahmt: von dem Juden Karl Fleischmann 1330 M. und von dem Juden Moritz David in Aufseß 374 M. Der Gesamtbetrag in Höhe von 1704 M. wurde gegen Quittung der Gendarmerie abgeliefert. Weiter befinden sich bei der Gendarmerie in Aufseß in Verwahrung ein Geldpfandbrief - gehört der Jüdin Günther - in Höhe von 1000 M., ein weiterer in Höhe von 100 M. sowie ein Depotschein auf den Juden Fleischmann lautend, in Höhe von 8700 M. Der Depotschein ist von der Staatsbank in Bayreuth ausgefertigt.

Der Jude Fleischmann ist vor einigen Tagen mit seiner Frau nach Bayreuth zu seiner Schwiegertochter gereist. Wie man hört, soll er sich im Krankenhaus befinden.

Die hies. Juden sind niedergeschlagen und fürchten um ihr Leben. Die Jüdin David in Aufseß hat geäußert, dass, wenn ihr Mann mitgetan hätte, sie freiwillig aus dem Leben geschieden wäre. Die hier noch wohnhaften Juden wären zu jeder Stunde bereit auszuwandern, denn sie haben alle Verwandte und Kinder in Amerika. Die Art und Weise der Durchführung der Vergeltungsmaßnahme hat mit wenigen Ausnahmen bei der Gesamtbevölkerung des Bezirks den denkbar schlechtesten Eindruck gemacht und hinterlassen. Schon die Art und Weise, wie man sich bei den Juden schuldenfrei machte und wie man ihr Vermögen an sich zog, hat besonders bei der Bevölkerung, die sonst nichts mit den Juden zu tun haben wollte und auch keine Geschäfte mit den Juden betätigte, ein erhebliches Maß von Missfallen erregt. Es hat bald ausgesehen wie in den Zeiten des Umsturzes mit dem Motto "Bereichert euch".

Diese Vorkommnisse schädigen das Ansehen der Partei und des Staates, so dass es notwendig ist, dass wegen des jüdischen Vermögens und dessen gerechte Erfassung, Staat und Partei entsprechen eingreifen.

Gez. Kraus, Gend. Kom."mf