In einer Wohngruppe in Gößweinstein lernen vernachlässigte Kinder die Rückkehr in ein normales Leben.
Wer hier wohnt, erzählt nicht gerne aus seinem Leben und legt keinen Wert darauf, dass sein Name in der Zeitung auftaucht. Wer hier wohnt, gilt als Kind aus "schwierigen Verhältnissen". Und obwohl die Kinder und Jugendlichen dieser Wohngruppe alle erdenkliche Unterstützung erfahren, haben sie in der Regel nur ein Ziel: Sie wollen zurück zu ihren Eltern.
Vernachlässigung hat viele Gesichter. Die eine bekam zu Hause zu wenig zu essen, der andere zu wenig Kleider. "Oder er musste betteln für das, was man braucht, um Kind sein zu können", erzählt Hans-Heinrich Köhlerschmidt, der Vorsitzende des Vereins für innovative Sozialarbeit (Iso). Das heißt: Auch wer aus einer betuchten Familie stammt, kann ein Schicksal der Vernachlässigung erleiden.
Ausgelöst durch Eltern, "die alles haben, aber keine Empathie", wie Köhlerschmidt sagt.
Der Verein Iso (mit Sitz in Bamberg) hat im Sommer das Haus in Gößweinstein übernommen. Zuvor hatte hier 34 Jahre lang das Johannische Sozialwerk Berlin das Sagen gehabt. Der Kontakt zwischen Berlin und der Fränkischen Schweiz war immer brüchiger geworden. Das Sozialwerk zog sich zurück und ließ ein Haus zurück, das nicht im besten Zustand war. Die Einrichtung drohte zu zerfallen. Dann hätten die acht Bewohner des "Kleinstheimes" (so hatten die Berliner die Einrichtung genannt) in verschiedene Einrichtungen verteilt werden müssen.
"Das wollten wir auf alle Fälle vermeiden, deshalb sind wir als Träger eingestiegen", sagt Matthias Gensner, der Iso-Geschäftsführer. Der Sozialpädagoge ist auch Industriekaufmann.
In Zusammenarbeit mit den Brose Baskets und mit regionalen Firmen sorgt Gensner dafür, dass sich nicht nur sportlich was tut in der Wohngruppe. Sondern dass die Jugendlichen Anschluss finden in der Berufswelt.
Der neue Träger denkt auch über einen Umzug nach. Doch aktuell versucht Iso , bessere Verhältnisse zu schaffen in der Etzdorfer Straße 11. Der Hausaltar in der Eingangshalle ist verschwunden. Und mit ihm die verpflichtenden abendlichen und morgendlichen Betstunden, erzählt eine junge Bewohnerin. Sie vermisse das Beten nicht. Die Mädchen und Jungs (zwischen neun und vierzehn Jahre alt) zeigen ihre Zimmer, die frisch gestrichen wurden. Matthias Gensner hat zudem einen Sponsor für Möbel gefunden.
Die innovativen Sozialarbeiter aus Bamberg sind nicht nur rührig, ihr Engagement ist rührend.
Der Verein scheut sich nicht, seine Reserven von etwa 20.000 Euro aufzubrauchen, um die Wohngruppe auf Vordermann zu bringen. Inhaltlich profitiert Iso unter anderem von den Erfahrungen Hans-Heinrich Köhlerschmidts. Der Vorsitzende (im Ehrenamt) hat 15 Jahre profession
ell in der Jugendhilfe gearbeitet. Für ihn und Renate Müller (Leiterin der Wohngruppe) ist die "Rückführung" das zentrale Thema. "Kinder gehören zu den Eltern", sagt Köhlerschmidt kategorisch. "Unsere Aufgabe ist es, dass sie zurückkehren. Wir können und wollen keine neue Familie für sie schaffen." Gemeinsam mit ihren Eltern durchlaufen die Jugendlichen einen Lernprozess. Am Ende steht im Idealfall ein selbstbestimmtes Leben.
"Die Kinder sollen lernen, sie können was", sagt Köhlerschmidt.
"Wir sind kein Heim", betont Gensner: "Wenn Leute Heim hören, denken viele an Waisenkinder und an Häuser, in denen 40 Kinder zusammenleben. Bei uns dagegen wird eine familienähnliche Lebenssituation simuliert, damit sich die Kinder in das Gemeinwesen integrieren können."
Gute zwei Jahre bleibt ein Kind durchschnittlich in der Wohngruppe. Pro Kind stellen die Jugendämter im Jahr 800 Euro zur Verfügung. Das reicht für das Nötigste. Zum Leben gehören aber auch Computer, Stirnlampen für Nachtwanderungen, ein neues Oberbett oder eine Reise. Nächsten Sommer will die Gruppe nach Italien. Und wer die Jugendlichen fragt, hört noch viele andere offene Wünsche. Sein Fahrrad sei sehr alt, erzählt ein Junge. Ein anderer spart sein monatliches Taschengeld von 25 Euro für einen Cityroller.