Während die Abstimmung über den Namen des ehemaligen Altstadtfestes läuft und die Wirte mit einem offenen Brief in die Offensive gehen, versucht FBF-Stadtrat und Psychiater Paul Nerb den Streit mit Freud zu verstehen.
Wie soll das ehemaligen Altstadtfest künftig heißen? Der Streit beherrscht seit Wochen die öffentliche Meinung. In der Redaktion melden sich Menschen, die darauf pochen, dass der Name "Mauerscheißer" nie mehr fallen darf. Gleichzeitig läuft eine Abstimmung der Stadt, die von der CSU boykottiert wird; sie möchte zum alten Namen zurück.
Das hat am Mittwoch die Gastronomen auf den Plan gerufen. In einem offenen Brief an die "Vertreter der Stadt" erinnern die sieben Wirte ( Losteria, Arizona, Stadtlockal, Lübbis, Zollhaus, Parkcafe, ElGringo) daran, dass die Gastronomie finanziell den Löwenanteil trage und "daher auch ein Mitspracherecht" erwarte. Wirte-Sprecher Christoph Kauer sagte dem FT, er könne die Aufregung nicht nachvollziehen: "Der Name Mauerscheißer-Fest wurde von Ulli Raab bei der Konzeption des Tourismus-Konzeptes ins Gespräch gebracht und erfuhr dort große Zustimmung." Im offenen Brief heißt es: "Wir sehen die aktuelle Diskussion, gerade auch in den sozialen Medien, durchaus kritisch und am eigentlichen Punkt vorbei. Es wird nur über den Namen und nicht über die Inhalte und Hintergründe gesprochen."
Dass so viel vom "Mauerscheißer" die Rede ist, überrascht auch Stadtrat Paul Nerb (FBF). "Nicht dass Forchheim sonst keine Probleme hätte", merkt er ironisch an und erinnert an die Rathaus-Sanierung oder an die "unklare Zweckbestimmung" des Kolpingshauses: "Keines dieser objektiv wichtigen Vorhaben hat solche Wellen geschlagen und erbitterte Auseinandersetzungen provoziert wie dieser Versuch einer Namensgebung für ein Fest."
Freud sprechen lassen
Und weil er von Beruf Psychiater ist, versucht Paul Nerb "diese ungewöhnlichen Reaktionen" mit der Motivationstheorie des "Altmeisters Sigmund Freud" zu erklären. Der stelle sich ja den seelischen Apparat aus drei Instanzen zusammengesetzt vor: Es, Ich und Über-Ich. Wobei das Es die Triebe und Motive beherbergen soll, das Ich die Heimat der Vernunft und des rationalen Denkens sein soll und das Über-Ich sich aus den Normen und Vorschriften zusammensetzt.
Davon ausgehend, analysiert Paul Nerb wie folgt: "Als sehr überraschend Anfang Dezember die Citymanagerin das Label Mauerscheißer vorstellte, wurden sofort die starken Gefühle des Es unter Umgehung des Ich angesprochen. Bei einigen wenigen ließ das Über-Ich diese Reaktion zu und diese konnten dann auch den Namen zunächst annehmen. Bei den meisten kam es zu einer Über-Ich Dominanz über das Es mit der Folge, dass der Name aus moralischen Bedenken sofort abgelehnt wurde. Manche zeigten ein fast inquisitorisches Verhalten, was beweist, welche starken Gefühle im Spiel waren, die durch ein übertrieben anmutendes Abwehrverhalten in Schach gehalten werden mussten. "
Die Bürgerbefragung, die dann ins Spiel kam, könne in diesem Modell von Freud als zeitweilige "Lösung" gesehen werden, sagt Nerb: "Als Lösung nämlich, um das Über-Ich zu beruhigen und keinen weiteren Konflikt zwischen Es und Über-Ich zu riskieren, kann die geplante Bürgerbefragung angesehen werden."
Im Verlauf der bis heute andauernden Auseinandersetzungen schienen zunächst die Befürworter dieses provozierenden Namens in der Mehrheit, beobachtet Nerb. Auch bei einer Probeabstimmung im Stadtrat Mitte Dezember war das noch so. Zunehmend gewannen dann aber die Gegner die Überhand. Wahrscheinlich deshalb, so vermutet Nerb mit Freud, "weil Verdrängungsprozesse einsetzten". Die Konsequenz: "Das Es, welches am Anfang verführen konnte durch die Faszination des Derben, Schmutzigen, ja Anstößigen, wurde jetzt durch Vernunftargumente des Ich zurückgedrängt."